"Crimson Peak", USA 2015
Regie: Guillermo del Toro, Darsteller: Mia Wasikowska, Jessica Chastain, Tom Hiddleston, Charlie Hunnam, Jim Beaver, 118 Min.
Romantische Kämpfer
"Crimson Peak", "The Tribe" und "American Ultra" - Helden, die durch geisterhafte, brutale und verschwörerische Manipulationskräfte aus ihrer gewohnten Welt gerissen werden, stehen im Mittelpunkt der drei Kino-Neustarts.
Buffalo, New York, 1901. Edith, die selbstbewusste Tochter eines Stahltycoons, verliebt sich in den weltgewandten, englischen Baron Sir Thomas Sharpe. Aber irgendwas stimmt nicht mit diesem vollendeten Kavalier, heimlich stellt Ediths Vater Nachforschungen an – und verstirbt plötzlich. Edith entschließt sich, mit Thomas nach England zu gehen, die Ankunft aber verläuft alles andere als erhofft. Der Sitz der Sharpes ist ein verwittertes, düsteres Schloss, und Thomas' Schwester Lucille, diabolisch gespielt von Jessica Chastain, bereitet Edith einen eiskalten Empfang:
Filmausschnitt: "Ach Lucille, dürfte ich, wenn es nichts ausmacht, um einen Satz Hausschlüssel bitten? – Das ist nicht nötig. – Verzeihung? – Es gibt Bereich des Hauses, die nicht sicher sind. Es wird etwas dauern, bis Du Dich eingewöhnt hast. Solltest Du dann immer noch den Wunsch haben, lasse ich Dir welche nachmachen."
Lucille ist nicht die einzige unangenehme Überraschung, das alte Gemäuer entpuppt sich als reinstes Gruselschloss. Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro lässt "Crimson Peak" sehr reizvoll als prächtigen Kostümfilm beginnen, der sich dann langsam in einen Gruselschocker mit Anleihen bei Hitchcocks "Rebecca" entwickelt. Wie beim Meister des magischen Kinos del Toro üblich, dient das Geisterhafte auch hier als Metapher verborgener psychologischer Deformationen. Nur ist man in "Crimson Peak" dank der eher simpel gestrickten psychologischen Konstruktion leider arg früh im Bilde, wohin der Hase läuft, und weil die Gespenster mit einer Regelmäßigkeit wie in der Geisterbahn auftreten, dehnt sich der Film zum überraschungslosen und langatmigen Schauermärchen.
Mit komplexer Psychologie hält sich der ukrainische Film "The Tribe" auch nicht lange auf, dafür zeigt er eine raue Realität, die dokumentarisch wirkt bis in die Poren. Sergey kommt auf ein Internat für Gehörlose. Aber die Anstalt erweist sich als reinste Gangster-Kaderschmiede, und auch der junge Taubstumme schließt sich, weil das hier eben so üblich ist, einer Gang an, die nicht nur raubt, sondern auch Mädchen auf den Strich schickt. Das stört Sergey zunächst überhaupt nicht – bis er sich in eins von ihnen verliebt.
Regisseur Miroslav Slaboshpitsky hat den Film über die gehörlosen Kriminellen ausschließlich in Gebärdensprache gedreht – mit erstaunlicher Wirkung. Die in langen Einstellungen gefilmten, lautlosen Gewalt- wie Sexszenen entwickeln eine intensive Dynamik, die mitunter kaum auszuhalten ist. Am schlimmsten ist oft die Beiläufigkeit der Brutalität. Dieser kompromisslose Ansatz des Regisseurs hat "The Tribe" bereits zahlreiche internationale Preise beschert.
"The Tribe", Ukraine/Niederlande 2014
Regie: Miroslav Slaboshpitsky, Darsteller: Grigoriy Fesenko, Yana Novikova, Rosa Babiy, 132 Min.
Wie eine soziale Zustandsbeschreibung wirkt zunächst auch "American Ultra". Mike, gespielt von Jesse Eisenberg, ist ein Schluffi, der im Supermarkt jobbt, dauerkifft, aber eine tolle Freundin hat. Phoebe, gespielt von Kristen Stewart, ist im Gegensatz zu ihm ziemlich tough, und sie passt eigentlich gar nicht zu ihm. Das ist auch Mike bewusst: Als die beiden einen Unfallort betrachten, an dem ein Auto mit voller Wucht gegen einen Baum geknallt ist, kommt er ins Grübeln:
Filmausschnitt: "Da ist dieser Baum, der nie was auf die Reihe gekriegt hat und einfach nur dasteht. Und dann zerstört er diesen wunderschönen Gegenstand. – Warum weinst Du? – Weil, irgendwie frage ich mich, bin ich dieser Baum? – Nein. – Ich bin der Baum, fürchte ich, und Du bist das Auto, und ich bremse Dich aus."
Die beiden sind total verschieden, aber zusammen rührend. Zunächst wirkt der Film wie eine stimmungsvolle Außenseitergeschichte mit Indie-Charme. Doch dann nimmt "American Ultra" eine radikale Wende. Im Supermarkt spricht eine Fremde Mike auf komische Art an:
Filmausschnitt: "Cherry Progressive, Achtung: Mandelbrotset hat begonnen! – Sind das Lyrics oder so?"
Die Frau scheint zu spinnen. Aber als Mark aus heiterem Himmel von bewaffneten Männern angegriffen wird, zeigt sich, dass die Worte der Fremden irgendwas in ihm aktiviert haben. Plötzlich kämpft Mike wie ein professioneller Krieger, der seine Angreifer alleine mit einem Löffel erledigt. Aber das ist erst der Anfang, Mike hat nicht nur ungeahnte Kräfte, sondern wird nun auch von rätselhaften Mächten gejagt, und "American Ultra" mutiert zum rasanten Agententhriller.
Der iranisch-britische Regisseur Nima Nourizadeh hat – nach einem Drehbuch von Max Landis, der schon in seinem Debüt "Chronicle" eine bemerkenswerte Mischung aus Science Fiction und Coming-of-Age-Geschichte vorgelegt hatte – einen stimmig konstruierten Genremix inszeniert. "American Ultra" macht nicht nur Spaß, sondern spinnt auch eine ziemlich originelle Manipulationsgeschichte, in der Jesse Eisenberg ein atemberaubendes Wandlungsvermögen an den Tag legt. Und zusammen mit Kristen Stewart verkörpert er das romantischste Kämpferpärchen im Kino seit Bonnie und Clyde.
"American Ultra", USA 2015
Regie: Nima Nourizadeh, Darsteller: Jesse Eisenberg, Kristen Stewart, Topher Grace, 96 Min.