The Irishman
Drama, USA 2019
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Robert de Niro, Al Pacino, Joe Pesci, Harvey Keitel
Länge: 210 Minuten, FSK: ab 16
Abgesang auf die organisierte Gewalt
06:30 Minuten
Martin Scorsese widmet sich in "The Irishman" wieder der Mafia. Dafür versammelt er seine Veteranen Robert De Niro, Harvey Keitel und Joe Pesci - und verjüngt sie sogar digital. Ein inhaltlich überzeugendes Werk, das leider optisch enttäuscht.
Es ist nach "Roma", ein weiterer Coup des erfolgreichsten Streaming Dienstes Netflix. Mit "The Irishman" produzierte man den neuen Mafia-Film von Martin Scorsese für etwa 160 Millionen Dollar. Ab Ende November kann man den Film auf Netflix sehen, in Deutschland vorher auch zwei Wochen exklusiv im Kino.
Es beginnt furios und dann mit einer faustdicken Überraschung: In einer langen Kamerafahrt (die ganz bewusst an den Scorsese-Film "Casino" erinnert) fährt man durch Flure und Räume und landet bei einem alten Mann im Rollstuhl. Diesen Greis spielt Robert De Niro. Er verkörpert Frank Sheeran, den irischen Killer der Mafia, der es vom Fleischlieferanten bis in den inneren Zirkel der mächtigen Teamster-Gewerkschaft um den schillernden Boss Jimmy Hoffa (Al Pacino) schaffte. In mehreren Zeitebenen erzählt Martin Scorsese in epischen dreieinhalb Stunden vom Aufstieg und Fall korrupter Gewerkschaftler, selbstherrlicher Gangster und von kleinen Handlangern. Aber anders als in "Casino" oder "Good Fellas" taucht Scorsese nicht fulminant in die schillernde Halbwelt ein und dreht diesmal einen sehr ruhigen, fast unspektakulären Abgesang auf die organisierte Gewalt.
Digital verjüngt, bieder gefilmt
Sehenswert sind die Darsteller um De Niro, Pacino und den stark gealterten Joe Pesci. Scorsese hat sie für die Zeitebenen der 60er- und 70er-Jahre digital verjüngt, und auch deshalb war "The Irishman" so unfassbar teuer. Das sieht optisch durchaus ansprechend aus, bringt aber nicht so viel, wie von vielen erwartet. Positiv fällt auf, dass der Altmeister diesmal auf brutale Mordszenen fast völlig verzichtet. Das Töten ist schnell und schmutzig, geschieht oft sogar im Off.
Aber irgendwann in den sehr langen 210 Minuten, die sich vor allem in der letzten Stunde doch etwas ziehen, bemerkt man, wie bieder und konventionell "The Irishman" gefilmt ist. Er besteht in den vielen Dialogszenen vor allem aus klassischen TV-Bildern: Halbtotalen-Großaufnahmen-Zweiern und viel Schuss-Gegenschuss. Ist das eine Konzession an Netflix, an den kleineren Bildschirm oder ein ironischer Bildkommentar? Banale, zunehmend langweilige alte Männer werden immer banaler und langweiliger gefilmt?
Und so zeigt "The Irishman" auch ganz klare Schwächen des Scorsese-Universums auf. Frauen? Fehlanzeige. Anna Paquin, die eine Tochter von Frank Sheeran spielt, darf vielleicht zwei vollständige Sätze sagen. Scorsese ist und bleibt ein Männer-Regisseur. Sein Alterswerk ist bei weitem nicht sein größter Wurf seit 30 Jahren, wie vor allem amerikanische und britische Kritiker behaupten. Es ist ein sehenswertes Werk, das optisch enttäuscht, inhaltlich überrascht und darstellerisch überzeugt.