Neu im Kino: "Toni Erdmann"

Lebenshilfe vom Vater

"Toni Erdmann"
Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in "Toni Erdmann" © picture alliance/dpa/Foto: Komplizen Film/NFP
Von Hannelore Heider |
Endlich kommt "Toni Erdmann", der die Kritiker begeistert, in die Kinos. Regisseurin Maren Ade erzählt darin die Geschichte der karrierebessesenen Ines und ihrem Vater. Der versucht mit falschem Gebiss und Perücke, seiner Tochter wieder Lebensfreude beizubringen.
Es ist nicht ganz ungefährlich, wenn ein Film -mit so viel Vorschusslorbeeren bedacht – dann ins Kino kommt. Im Fall von "Toni Erdmann" war es ja ein ganzes Filmfestival und nicht irgendeines, sondern Cannes, das den deutschen Wettbewerbsbeitrag bejubelte, mit Ausnahme der Jury. Maren Ades Film ist ein Zweipersonenstück, was nicht heißen soll, dass die Inszenierung etwas statisch-theatralisch ist. Im Gegenteil: Der Konflikt eines Vaters (Peter Simonischek) und seiner Tochter (Sandra Hüller) wird über genau beobachtete, lange eingefangene, meist unspektakuläre Situationen und mit minimalistischen Ausdrucksmitteln erzählt. Die Wirkung ist um so intensiver, was natürlich an dem Vermögen der beiden Ausnahmedarsteller liegt, gleichermaßen aber an der Absicht der Autorin und Regisseurin, eben kein dramatisch aufgeheiztes Familientreffen zu inszenieren. Wohl hat Winfried (Peter Simonischek) geplant, seine ständig abwesende Tochter Ines zu stellen und zwar da, wo er sie treffen kann.

Ines verweigert die Nähe zur Familie

Seit Jahren macht sie Karriere als Unternehmensberaterin, immer im Ausland und selbst bei ihren raren Besuchen verweigert sie die Nähe zur Familie, zu ihrer Mutter, die inzwischen mit einem neuen Mann lebt, zu ihrer Großmutter, die sie aus Konvention mit zu Grabe trägt, zu ihrem Vater, der ihr, das zeigen schon die ersten Szenen, nicht geheuer ist. Ein 65-jähriger Mann, der mit seinem Hund zusammenlebt und Spaß daran hat, als Musiklehrer die Schüler zu skurrilen Auftritten in der Öffentlichkeit herauszufordern. Ruhig und gründlich gibt ihn uns Maren Ade zur Beobachtung frei, so dass wir seine verrückten Einfälle, sich mit falschem Gebiss und Perücke als Idiot zu verkleiden, nicht lächerlich finden. Als er in Rumänien eintrifft, wo seine Tochter arbeitet, kennen wir ihn gut, nicht so sie.

Winfried stalkt seine Tochter

Ines ist besessen vom Karrieremachen, sie hat die Regeln im Business so verinnerlicht, dass sie zur Maske erstarrt ist. Die muss Winfried aufbrechen, koste es was es wolle. Dem zuzusehen ist ein Vergnügen, auch wenn es uns oft genug quält. Der Vater wird zum Stalker seiner eigenen Tochter, er brüskiert ihre Umwelt, wo er nur kann, er sperrt Fluchtwege, er stellt Ines, die dann doch anfängt, sich zu wehren. Das ist feinste psychologische Schauspielkunst. Was besonders Sandra Hüller dabei leistet, ist einzigartig. Verletzung, Angst, Aufbegehren, Trotz, endlich sogar diebischer Spaß am Spiel. Das alles mitzuerleben und die Komik zu genießen, ist nicht nur höchstes Vergnügen, sondern im schwierigen Schulfach Familienleben auch lehrreich auf hohem Niveau!

"Toni Erdmann"
D/Österreich 2015 - Regie: Maren Ade
Darsteller: Sandra Hüller, Peter Simonischek
162 Minuten, ab 12 Jahren

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