"Spotlight", USA 2016
Regie: Tom McCarthy; Darsteller: Michael Keaton, Mark Ruffalo, Rachel McAdams; 128 Min.
Über Missstände und den Umgang damit
Von "beklemmend" bis "satirisch" reicht die Palette der "Vorgespult"-Tipps: "Spotlight" erzählt von der Enthüllung einer monströsen Missbrauchsserie, Michael Moore ist auf der Suche nach dem europäischen Erfolgsmodell und "Mustang" beschreibt das Leben junger Mädchen in der türkischen Provinz.
Gekonnte Inszenierung in der Tradition von "Die Unbestechlichen"
Boston im Jahr 2001. Marty Baron, der neue Chefredakteur des "Boston Globe", liest zufällig eine kleine Meldung über einen Fall von Kindesmissbrauch in der örtlichen katholischen Kirche – nichts, was in der Stadt mit hohem Katholikenanteil für gesteigerte Aufmerksamkeit sorgen würde. Baron setzt den Leiter des investigativen "Spotlight"-Teams der Zeitung, Walter Robinson - gespielt von Michael Keaton - darauf an. Im Laufe ihrer Recherchen stoßen die Reporter nicht nur auf ein erschütterndes Ausmaß an Missbrauchsfällen, sondern auch der Vertuschung:
- "Erzählen Sie mir, dass die katholische Kirche Beweismittel aus dem Gerichtsgebäude entfernt hat?"
- "Checken Sie das Register, Sie werden sehen, die kontrollieren alles."
- "Checken Sie das Register, Sie werden sehen, die kontrollieren alles."
Der amerikanische Film "Spotlight" orientiert sich nah an einer wahren Geschichte. 2003 wurde das reale Spotlight-Team für seine Recherchen im Missbrauchsskandal mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Und Regisseur Tom McCarthy inszeniert den Fall unaufgeregt und dialogreich in der Tradition von Enthüllungsjournalismus-Filmen wie Alan Pakulas "Die Unbestechlichen".
"Spotlight" fächert präzise verdichtet die eingeübten Verdrängungsmechanismen auf, wie sie in einer Gesellschaft vielfach verbandelter Abhängigkeiten wirksam werden. Es musste erst der jüdische Außenseiter Marty Baron kommen, um einen Skandal ans Licht zu bringen, an dessen Aufklärung auch in der Presse vorher kein Interesse bestand.
Ein neuer filmischer Rundumschlag
Auf eine Recherche ganz anderer Art hat sich Michael Moore für seinen neuen filmischen Rundumschlag "Where to invade next" begeben: "Am 2. Januar wurde ich in aller Stille zum Pentagon beordert, um mich mit den dort versammelten Generalstabschefs zu treffen."
Seit 1945 haben die USA keinen Krieg mehr erfolgreich beendet. Die Militärs sind so verzweifelt – wie man im Film erfährt -, dass sie Michael Moore rufen und ihn - auf seinen Rat hin - nach Europa schicken. Dort will er für sein krisengeschütteltes Land Ideen stehlen. Moore macht sich auf den Weg und erlebt Erstaunliches – zum Beispiel in Italien:
"15 days more. – Acht Wochen bezahlter Urlaub?"
Ungläubig starrt Moore dieses italienische Ehepaar an. Nicht weniger überrascht reagiert er beim Besuch einer französischen Schulmensa:
"An diesem Tag wurden den Kindern Lammspießchen und Huhn auf Couscous serviert. Ein Vier-Gänge-Menu."
Dann sieht man Filmaufnahmen amerikanischer Schulmensen, wo fettiger Fraß serviert wird. Moore reist weiter nach Deutschland, dort lernt er vorbildliche Vergangenheitsbewältigung und zufriedene Arbeiter kennen, und er besucht norwegische Gefängnisse, die nach Erholungsheimen aussehen. Man erlebt Europa als Garten Eden, aber Moore gibt schließlich ganz offen zu, dass er sich nicht das Unkraut, sondern die Blumen herauspicken will.
Und gerade in Europa findet Moore viele Ideen umgesetzt, die eigentlich in den USA erdacht wurden – zum Beispiel bezahlter Urlaub und humaner Strafvollzug. In diesem Sinn ist "Where to Invade Next" ein polemischer, aber auch tiefernster, patriotischer Appell ans amerikanische Publikum. Zugleich ist es aber auch für Europäer ein großer Spaß, dieses verklärt-skurrile Bild unseres problembeladenen Kontinents anzuschauen.
"Where to Invade Next", USA 2015
Regie: Michael Moore; Dokumentation; 119 Min.
Ein Film, der in seiner Sinnlichkeit betört
Alles andere als verklärt ist der Blick, den der türkisch-französische Film "Mustang" auf das Leben junger Mädchen in der Türkei wirft. Die kleine Lale und ihre Schwestern wachsen in der türkischen Provinz bei Verwandten auf. Sie führen ein unbeschwertes Leben, bis zu jenem Tag, als sie nach der Schule mit den Jungs im Wasser herumtollen: Der Badespaß hat Folgen. Eine Frau aus dem Dorf sieht die Jugendlichen und petzt beim Onkel der Mädchen.
"Weißt Du, was die Leute im Dorf über uns reden? ...Wessen Idee war das? ...Oder steckt ihr alle dahinter? Wer von euch ist die Schlampe? Oder seid ihr alle Schlampen?"
Von einem Tag auf den anderen ist es mit dem freien Leben vorbei. Kein Schulbesuch mehr, das Haus wird zur Festung umgebaut, und Lale und ihre Schwestern erfahren ein Umerziehungsprogramm:
"Unser Haus wurde zu einer Hausfrauenfabrik, aus der wir nicht herauskamen."
Die lebenshungrigen Mädchen lassen sich nicht so leicht unterdrücken, doch bald droht ihnen die Zwangsverheiratung.
Das Wunderbare an "Mustang" ist, dass die junge türkische Regisseurin Deniz Gamze Ergüven, die in Paris Film studiert hat, ihr Spielfilmdebüt einerseits mit der luftigen Leichtigkeit einer französischen Sommerromanze inszeniert, andererseits aber den Zwang und die Folgen einer verheerenden Doppelmoral, die sich für eine der Schwestern entsetzlich auswirken wird, grausam vor Augen führt. Eine seltene Perle von einem Film, der in seiner Sinnlichkeit betört und schockiert zugleich - und trotzdem Hoffnung macht.
"Mustang", Türkei , Frankreich , Deutschland 2016
Regie: Deniz Gamze Ergüven; Darsteller: Güneş Nezihe Şensoy, Doğa Zeynep Doğuşlu, Elit İşcan; 93 Min.