Neuanfang in Sibirien
In Michael Ebmeyers Roman "Der Neuling" wird Matthias Bleuel, Angestellter in einem Logistikunternehmen, von seinem Chef nach Sibirien geschickt. Dort verliebt er sich in eine schamanische Sängerin. Bleuel beschließt, in Sibirien zu bleiben und einen Neuanfang zu wagen.
Es klingt erstmal nach Folklore-Kitsch und viel Klischee: Der biedere Angestellte Matthias Bleuel aus Stuttgart fährt auf Wunsch seines Chefs auf "Dienstreise" nach Sibirien. Dort verliebt er sich in eine schamanische Sängerin, die als Angehörige des kleinen indigenen Volks der Schoren sogar für die Bewohner Sibiriens ausgesprochen exotisch ist. Trotz fehlender Sprachkenntnisse und des Mangels jeglicher "Zukunftsperspektiven", wagt Bleuel mit seinen 42 Jahren dennoch den Neuanfang in einer Region. Bis heute wird diese eher als Bestrafung denn als Ort zum "Aussteigen" wahrgenommen.
Skepsis scheint angebracht nach dieser kurzen Inhaltsangabe des Romans "Der Neuling" - doch dem Autor gelingt es, selbst den kritischen Leser nach 285 Seiten von dieser Geschichte und ihrer Darstellung zu überzeugen. Michael Ebmeyer, Jahrgang 1973, ist bislang als Journalist und Verfasser von Erzählungen und Romanen in Erscheinung getreten. Er arbeitet als Übersetzer aus dem Spanischen und Katalanischen und ist außerdem Mitglied der Musikgruppe "Fön". Nun hat Ebmeyer am eigenen Leib eine ihm fremde Region als "Neuling" erkundet: Mit dem "Grenzgänger-Recherche-Stipendium" der Robert Bosch Stiftung verbrachte er mehrere Monate in Sibirien und beschäftigte sich dort u.a. mit dem Turkvolk der Schoren.
Michael Ebmeyer erzählt zwar eine fiktive Geschichte, aber - darauf deuten die Anmerkungen am Ende des Buches hin - er schöpft dabei offensichtlich aus realen Erlebnissen und Recherchen. Das gilt zunächst nicht notwendigerweise für den angedeuteten tristen Alltag von Matthias Bleuel als Logistiker in einem schwäbischen Modeversand – wenige Monate nach der demütigenden Scheidung von seiner Frau Ilka, die ihm in wiederkehrenden Träumen immer noch das Leben schwer macht. Die Authentizität liegt vor allem in der Entdeckung einer überraschend anderen Welt, die bereits beim unfreiwilligen Zwischenstopp in Moskau für neue Impulse in Bleuels grauer Wahrnehmung sorgt. Der Autor lässt uns am neuen "Erblühen" seines Protagonisten in dessen Perspektive unmittelbar teilhaben. Ein unverstellter frischer Blick, die Genauigkeit der Beobachtungen, ein bilderreicher Erzählton, Ironie und Witz zeichnen Ebmeyers Stil aus. Er nimmt den Leser auf ein großes, liebevoll ausgeschmücktes Abenteuer mit und macht ihn fast nebenbei vertraut mit der unbekannten Kultur der Schoren, ohne zu belehren oder zu langweilen. In der Figur des jungen russischen Übersetzers Artjom gelingt es Ebmeyer außerdem, neben der Minderheiten-Kultur der Schoren auch die klischeebeladene russische Seele neu zum Atmen zu bringen. Mit diesen Figuren und ihrem ungeschönten Lebenshintergrund entsteht eine erstaunliche Umkehrung der Verhältnisse: Der vermeintlich freudlose Landstrich Sibirien wird zum Ort der Verheißung, während die Heimat des Protagonisten – die Gegend nördlich von Heilbronn, die "Badisch-Sibirien" genannt wird - als eigentlicher Hort der Trostlosigkeit erscheint.
Rezensiert von Olga Hochweis
Michael Ebmeyer: Der Neuling
Roman
Kein & Aber, Zürich 2009
285 Seiten, 19,90 Euro
Skepsis scheint angebracht nach dieser kurzen Inhaltsangabe des Romans "Der Neuling" - doch dem Autor gelingt es, selbst den kritischen Leser nach 285 Seiten von dieser Geschichte und ihrer Darstellung zu überzeugen. Michael Ebmeyer, Jahrgang 1973, ist bislang als Journalist und Verfasser von Erzählungen und Romanen in Erscheinung getreten. Er arbeitet als Übersetzer aus dem Spanischen und Katalanischen und ist außerdem Mitglied der Musikgruppe "Fön". Nun hat Ebmeyer am eigenen Leib eine ihm fremde Region als "Neuling" erkundet: Mit dem "Grenzgänger-Recherche-Stipendium" der Robert Bosch Stiftung verbrachte er mehrere Monate in Sibirien und beschäftigte sich dort u.a. mit dem Turkvolk der Schoren.
Michael Ebmeyer erzählt zwar eine fiktive Geschichte, aber - darauf deuten die Anmerkungen am Ende des Buches hin - er schöpft dabei offensichtlich aus realen Erlebnissen und Recherchen. Das gilt zunächst nicht notwendigerweise für den angedeuteten tristen Alltag von Matthias Bleuel als Logistiker in einem schwäbischen Modeversand – wenige Monate nach der demütigenden Scheidung von seiner Frau Ilka, die ihm in wiederkehrenden Träumen immer noch das Leben schwer macht. Die Authentizität liegt vor allem in der Entdeckung einer überraschend anderen Welt, die bereits beim unfreiwilligen Zwischenstopp in Moskau für neue Impulse in Bleuels grauer Wahrnehmung sorgt. Der Autor lässt uns am neuen "Erblühen" seines Protagonisten in dessen Perspektive unmittelbar teilhaben. Ein unverstellter frischer Blick, die Genauigkeit der Beobachtungen, ein bilderreicher Erzählton, Ironie und Witz zeichnen Ebmeyers Stil aus. Er nimmt den Leser auf ein großes, liebevoll ausgeschmücktes Abenteuer mit und macht ihn fast nebenbei vertraut mit der unbekannten Kultur der Schoren, ohne zu belehren oder zu langweilen. In der Figur des jungen russischen Übersetzers Artjom gelingt es Ebmeyer außerdem, neben der Minderheiten-Kultur der Schoren auch die klischeebeladene russische Seele neu zum Atmen zu bringen. Mit diesen Figuren und ihrem ungeschönten Lebenshintergrund entsteht eine erstaunliche Umkehrung der Verhältnisse: Der vermeintlich freudlose Landstrich Sibirien wird zum Ort der Verheißung, während die Heimat des Protagonisten – die Gegend nördlich von Heilbronn, die "Badisch-Sibirien" genannt wird - als eigentlicher Hort der Trostlosigkeit erscheint.
Rezensiert von Olga Hochweis
Michael Ebmeyer: Der Neuling
Roman
Kein & Aber, Zürich 2009
285 Seiten, 19,90 Euro