Angst vor höheren Mieten für Kreuzberger und Neuköllner
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Der Konzern Karstadt/Kaufhof schließt in Deutschland viele Warenhäuser. Das Haus am Berliner Hermannplatz gehört nicht dazu - dort soll ein Gebäude aus den 1920er-Jahren neu entstehen. Doch aus dem angrenzenden Kreuzberg kommt Widerstand.
Detlef, Klaus, Bernd und Michelle sitzen bei "Brinks", ihrer Eckkneipe am Hermannplatz. Sie blicken auf das größte Gebäude am Platz, eine unauffällige Muschelkalkfassade mit gläsernem Vorbau, nur drei Stockwerke hoch.
"Das ist doch ein Neuköllner Wahrzeichen, das Karstadt. Wir sind doch Neuköllner, waschechte." Klaus meint nicht das Warenhaus aus den 50er-Jahren, das da steht, sondern den Bau von 1929, der hier die Ästhetik der Weltstadt New York verbreitete und 1930 das beliebteste Postkartenmotiv Berlins war: zwei steil aufragende wuchtige Türme, nach oben abgestuft, mit leuchtenden Quadern auf den Spitzen – eine Ikone der 1920er-Jahre, eine Mischung aus Expressionismus und Art Déco. Kurz vor dem Einmarsch sowjetischer Soldaten, im April 1945, kam das Ende.
"Ich hab‘ einen Bekannten, der hat das noch miterlebt, wo die SS das gesprengt hat – zur Plünderung freigegeben und gesprengt hat."
"Ich finde das gar nicht verkehrt, wenn sie das in diesem Stil wiederaufbauen würden, weil es mir auf alle Fälle besser gefällt als dieser Schrumpfkasten."
Vorwurf: "Unlautere Mittel"
Vor anderthalb Jahren machte die österreichische Signa-Gruppe, der Eigentümer der Warenhauskette Karstadt-Kaufhof, den Vorschlag, das Gebäude wiederaufzubauen. Es steht auf Kreuzberger Gebiet, direkt an der Grenze zu Neukölln. Die Stadtplaner der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln nahmen Stellung. Der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen lehnte das Projekt entschieden ab: "überzogen", "unangemessen", ein "Fremdkörper" im Stadtgefüge. Seither herrscht Funkstille zwischen ihm und dem Investor. Der Vorstandsvorsitzende der Signa Deutschland, Timo Herzberg, bedauert, der Kreuzberger Baustadtrat sei für ihn nicht erreichbar.
"Er hat sich seit acht Monaten bei uns nicht mehr gemeldet und reagiert auch auf unsere Kontaktversuche nicht."
Dem hält Schmidt entgegen:
"Es hat mich schon sehr gewundert, dass der Geschäftsführer der Signa behauptet hätte, dass er mich auch nicht auf dem Handy erreicht. Ich erinnere mich nicht, ihm meine Handynummer gegeben zu haben, und ich habe auch kein Anruf von ihm erhalten oder keine SMS oder sonst was. Daran zeigt sich schon, dass man jetzt anfängt, mit unlauteren Mitteln zu arbeiten."
Schmidt will kein Beteiligungsverfahren für die Bürger in Gang setzen. Damit ist der Weg zum Bebauungsplan versperrt. Zudem fehlten ihm derzeit Personalkapazitäten für ein aufwendiges Verfahren.
Versprechen: 2000 zusätzliche Arbeitsplätze
Auf eigene Faust hat die Signa im Hof des Kaufhauses ein Café aufgestellt. Ein cooles Ambiente soll es sein mit Palmen, grünen Graffiti und Stühlen, die aus Holzpaletten zusammengebaut sind. Hier sollen die Kreuzberger über das Projekt diskutieren und können Verbesserungsvorschläge an eine Wand pinnen. Interviews sind allerdings nicht erlaubt.
Timo Herzberg wirbt in seinem Büro im Berliner Westen für den Neubau: "Uns geht es darum, am Hermannplatz wieder einen lebendigen Ort zu schaffen. Der Hermannplatz soll sehr wohl wieder Anziehungspunkt sein und mit besserer Attraktivität für die Bürger und seine Besucher ausgestattet werden."
Herzberg verspricht nach einer drei- bis vierjährigen Bauphase ein neues Karstadt-Warenhaus am Hermannplatz sowie insgesamt 2000 zusätzliche Arbeitsplätze am Standort.
"Und insbesondere die künftige Nutzung des Warenhaues muss abgesichert werden. Und dies scheint uns nur dann der Fall zu sein, wenn an diesem Ort wieder ein lebenswerter, attraktiver Nutzungsmix entsteht, der wieder zum Lieblingsort werden kann, damit dadurch auch die Synergien entstehen, den Warenhausstandort in die Zukunft zu tragen." Die Signa-Gruppe wolle auch die nächsten 90 Jahre den Karstadt am Hermannplatz betreiben", so Herzberg.
In dem gigantischen Gebäudekomplex will er eine Markthalle, ein Hotel, Restaurants, eine öffentliche Dachterrasse und ein Fitness-Center unterbringen. Passend zum Standort lockt er die Kreuzberger – mit 7000 Quadratmetern für Kunst und Kultur und 1500 Quadratmetern für "bezahlbare Wohnungen". Mit alledem soll das Warenhaus selbst gerettet werden. Sieben von zwölf Karstadt-und Kaufhof-Warenhäusern in Berlin wird die Signa in den kommenden Monaten schließen, der Standort am Hermannplatz ist – noch – nicht darunter.
Wirtschaftssenatorin will den Neubau
In dieser prekären Lage begrüßt die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen die Umbaupläne der Signa am Hermannplatz – im Gegensatz zu ihrem Parteifreund Florian Schmidt.
"Die Frage stellt sich, glaube ich, dramatischerweise, jetzt noch mal mit Corona besonders befördert: Kann dieses Kaufhaus überhaupt überleben oder braucht es dafür eine neue Konzeption, um dieses Kaufhaus auch in die Zukunft zu überführen? Insofern: Die Variante ‚es bleibt alles, wie es ist‘, gibt es gar nicht aus meiner Sicht."
Pop ist sich mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller von der SPD einig. Auch er will das 450-Millionen-Euro-Projekt an Land ziehen. Deshalb sagt die Wirtschaftssenatorin:
"Wenn tatsächlich an einer Stelle jemand sagt: Wir wollen das Kaufhaus modernisieren, wir wollen das neu ausbauen, wir wollen dem auch sicherlich von außen einen neuen Anstrich oder ein neues Angesicht geben, dass man das gut finden muss, weil eben Kaufhäuser sich verändern müssen, wenn sie Schritt halten wollen und vor allem, wenn sie weiter bestehen wollen für die Zukunft."
Aufwertung im negativen Sinn
Florian Schmidt, den Kreuzberger Baustadtrat, rührt das wenig. Er befürchtet, das spektakuläre neue Gebäude könnte den Hermannplatz im negativen Sinne aufwerten.
"Die Fassade wird quasi genutzt, als ein Signet, was Aufmerksamkeit, Attraktivität hat, und das Ganze setzt sich dann eben immobilienwirtschaftlich fort, dass man höhere Mieten nehmen kann. Es ist wie mit dem Chrysler Building in New York. Das ist einfach eine Weltmarke, und eine Weltmarke, darin ein Büro zu haben, da zahlt man einfach mehr zu."
Schmidt ist mit seinen Befürchtungen nicht allein. Die "Initiative Hermannplatz", von Anwohnern betrieben, setzt sich gegen den Neubau ein. In ihrem Sinne meint ein 70-jähriger Mann, der in der Eckkneipe gegenüber ein Bier trinkt, "dass das ein Grund wäre zu sagen: Das ist jetzt ein Highlight hier in Neukölln, und jetzt von da ausgehend wird ganz Neukölln jetzt, nicht wahr – Wertzuwachs für Immobilien."
Heute wohnen, handeln und arbeiten am Hermannplatz und in den Straßen der Umgebung viele Einwanderer, vor allem Türken und Araber. Kleingewerbe bestimmt das Bild: arabische Bäckereien, Handy-Läden, Wettbüros. Auf dem rechteckigen Hermannplatz selbst verkaufen Markthändler Lebensmittel, Schmuck und türkische Pizza. Die historische Rekonstruktion des Warenhauses von 1929 würde die "geordnete und ausgewogene Entwicklung des gesamten Hauptzentrums" aus der Balance bringen, sorgt sich Baustadtrat Schmidt.
"Das ist ein Zeichen, so ein monumentales Gebäude, für einen ganz zentralen Ort – einen Ort, wo aus der ganzen Stadt Leute hinkommen. Und das war es damals auch. Das ist es aber jetzt nicht mehr. Und wenn man diese Fassade sozusagen bringt, dann will man auch, dass diese Entwicklung kommt, dass es sozusagen zu einem Anziehungspunkt aus der ganzen Stadt wird."
Mehrwert für die Betreiber, nicht für die Menschen
Schmidt will verhindern, mit dem Kaufhausgebäude einen touristischen Anziehungspunkt für ganz Berlin zu schaffen, über Kreuzberg und Neukölln hinaus.
"Ein zentraler Ort an dieser Stelle hat eigentlich keinen Mehrwert für die Menschen. Die sind versorgt. Sondern es hat einen Mehrwert für den Immobilienbetreiber."
Für Florian Schmidt geht es hier um mehr als Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Schmidt glaubt, dass der neue Karstadt ein reiches, kaufkräftiges und damit fremdes Publikum nach Kreuzberg und Neukölln bringen würde. Zudem glaubt er, "dass eben es durchaus eine Art strukturellen Rassismus gibt, wenn eben ein bestimmtes Publikum lieber gesehen wird - ich sage mal Expats und Biodeutsche, ja als sozusagen das kaufkräftige, hippe Publikum, weil das die Angebotsstrukturen sind – als eben ein klassischer Kaufhof, klassischer Großhandel oder Groß-Einzelhandelsflächen, wo man eben nicht unbedingt diese Hipness spürt."
Der Streit um das legendäre Warenhaus wird noch lange dauern. Die Debatte, so scheint es, wird aber nicht im Café geführt, das die Signa-Gruppe im Karstadt-Hof eingerichtet hat, sondern in der Eckkneipe gegenüber:
"Das glaube ich nicht, dass nur reiche Leute hierherkommen. Die haben ein bisschen Bammel vor den Ausländern."
"Das ist doch genauso wie das KaDeWe. Da kommen auch die ganzen Touristen hin. Und das alte Karstadt, wenn das wieder so wär, dann würden sie wahrscheinlich auch herkommen."
"Hauptsache ich kann einkaufen. Der Rest ist mir egal."