Die Musterstadt der Palästinenser
Eine neue Stadt mitten in der Westbank: Rawabi wird mit Geld aus Katar gebaut. Eine moderne, sichere und freundliche Heimat für die palästinensische Mittelschicht soll hier entstehen - geplant für 40.000 Bewohner und unter israelischer Militärbesatzung.
Ich bin eingeladen bei Familie Kamal. Vor fünf Wochen sind sie eingezogen. Mitten auf der größten Baustelle im Westjordanland. Manche Straßen sind schon asphaltiert, andere noch nicht. Deshalb fahren wir in einem Geländewagen vor. Über Sand, Geröll und Staub, und dann in die Tiefgarage. Der Aufzug funktioniert schon. Hoch in den sechsten Stock.
An ihrer Tür begrüßen mich die Kamals, drei Töchter und die Eltern – zwei Wirtschaftswissenschaftler, Nidal und seine Frau Hannah. Die Kamals sind eine der ersten Familien, die in Rawabi eingezogen sind. Hannah schenkt mir frisch gepressten Granatapfelsaft ein.
Wir sind in dem Raum, in dem die Kamals ihre Gäste empfangen. Sessel bestickt mit einem Rosenblüten-Muster. Eine holzvertäfelte Wand. Auf dem Couchtisch eine Box Papiertücher und Süßigkeiten.
Hannah: "Das ist Mamoul: Datteln, Mehl, und viel, viel Butter. Das ist traditionell für unser Opferfest. Ich habe Youtube geöffnet und das iPad hier hingestellt. Und dann habe ich es Schritt für Schritt nachgemacht."
Das braucht Zeit und Arbeit.
Hannah: "Aber für das erste Opferfest in der neuen Wohnung in Rawabi ist das nur angemessen."
Abgesehen vom Empfangsraum ist es eine modern eingerichtete Wohnung. Mit einer großen Küche, elektrischen Fensterläden, mit Kinderzimmer, zwei Badezimmern und drei Toiletten, und dem Schlafzimmer für die Eltern, das sie hier den Master-Room nennen.
Nidal: "Was möchte ich Ihnen zuerst zeigen? Der Balkon, das ist der interessanteste Ort. Ich sitze hier früh am Morgen, wenn ich von der Arbeit nachhause komme, nachts."
Die Aussicht ist beeindruckend: auf die kargen Berge Palästinas, auf die Nachbardörfer und die Minarette der Moscheen. Und auf die jüdische Siedlung Ateret auf dem gegenüberliegenden Hügel. Bei klarer Sicht, wenn die Sonne sich am Abend senkt, dann lässt sie das Meer glitzern, und die Hochhäuser von Tel Aviv tauchen am Horizont auf. Nur 40 Kilometer Luftlinie von hier. Nachts sieht Nidal dort die Lichter funkeln. Ganz besonders schätzt er aber die Aussicht auf das Nachbargebäude:
"Dieses Gebäude unterscheidet sich von allen Gebäuden, die Sie sonst in der Westbank sehen. Es gibt keine schwarzen Wassertanks auf dem Dach. Keine Satellitenschüsseln. An den Wänden hängen keine Klimaanlagen. Sie haben sich hier um alles gekümmert. Und deshalb haben wir einen guten Ausblick, hier haben wir keine, wie sagt man, Verschandelung des Ortsbilds."
Rawabi wird eine moderne Stadt mit Strom- und Wasserleitungen unter der Erde, mit Internet aus Glasfaserkabeln. Im Zentrum teure Restaurants, ein Park, ein Einkaufszentrum. Mit kleinen Stadtvierteln, jedes mit eigenem Spielplatz. Vor allem darüber freut sich die Familie.
Nidal: "Reden Sie mit meinen Kindern, die sind so glücklich."
Dina, mit acht Jahren die jüngste, spielt am liebsten Basketball mit ihren Freunden:
"When I get down, I like to play basketball. I like it, because I play with my friends. Or we play football. We can play anything."
Nidal: "Ich kann entspannt sein, wenn meine Kinder runtergehen und spielen. Das kann ich Ihnen vom anderen Balkon zeigen. Da unten ist der Basketball-Platz. Ich kann meine Kinder sehen. Sie können auch mit ihren Fahrrädern fahren. Als wir in Ramallah gewohnt haben, habe ich ihnen verboten, ihre Fahrräder zu benutzen. Hier kann ich sie machen lassen, was sie wollen. Ich fühle mich sehr sicher."
Hannah: "Ich fühle mich hier ruhig und ausgeglichen. Wir brauchen diese Ruhe."
Gegenentwurf zum lauten Ramallah
Ramallah und die anderen palästinensischen Städte sind, zumindest tagsüber, laut und hektisch. Viele Palästinenser fühlen sich dort auch nicht sicher. Rawabi soll der Gegenwurf dazu sein. Aber noch ist Rawabi vor allem eine Baustelle. Nur ein gutes Dutzend Familien sind bisher eingezogen. 600 Familien haben hier schon gekauft, und warten nun darauf, dass ihre Wohnungen fertig gestellt werden. Die Schulen und Geschäfte der Stadt haben auch noch nicht geöffnet. Für jedes Pita-Brot und für jede Tüte Milch müssen die Menschen in eines der Nachbardörfer fahren. Rawabi gleicht noch einer Geisterstadt. Seit fünf Jahren bauen sie schon.
Als ich im Sommer das letzte Mal hier war, lebte noch niemand in Rawabi. Damals hat mich Jack Nassar mitgenommen. Er zeigte mir, wie sie Rawabi aus dem Fels schneiden.
"Du musst vorsichtig sein", sagt mir Jack, als wir aus dem Jeep stiegen. Das hier ist der größte Steinbruch des Westjordanlands. Mit gewaltigen Sägen zertrennen Arbeiter die Felsblöcke, die sie aus den Hügeln des Westjordanlands gebrochen haben. Jeder Stein, den sie in dort oben in der Stadt verbauen, nur wenige hundert Meter den Hang aufwärts, wird hier unten geschnitten und behauen. Denn Roadblocks der israelischen Armee bringen den Verkehr in der Westbank oft zum Erliegen.
Das größte Projekt in der Geschichte Palästinas soll nicht von Material abhängig sein, das erst nach Rawabi gebracht werden muss. So will es Bashar Masri, der arabisch-amerikanische Geschäftsmann, dessen Traum Rawabi war – und der mit Geld aus Katar diese Stadt jetzt Wirklichkeit werden lässt. Jack Nassar ist sein persönlicher Assistent. Er zeigt mir das zwei mal drei Kilometer große Gelände:
"Now we go there, to the city."
Wir fahren über staubige Wege den Hügel hinauf. Dort oben stehen die Baukräne, die die neunstöckigen Apartment-Gebäude in die Höhe ziehen. Hunderte Bauarbeiter fahren Bagger und Planierraupen, asphaltieren Straßen, verlegen Steine.
In der Mitte der geplanten Stadt, im Commercial Center, steht Mustafa auf einem Gerüst. Mit einem Hammer schlägt er Nägel in Holzbalken. Wie viele andere palästinensische Arbeiter hatte er bis vor drei Jahren auf seiner Suche nach Arbeit jüdische Siedlungen gebaut. Jetzt baut er eine palästinensische Stadt:
"Ich kann es gar nicht beschreiben. Es ist ein Gefühl wie über den Wolken. Ich arbeite in meinem eigenen Land."
Zuhause, in seinem Dorf schätzen ihn die Nachbarn wieder mehr. Seine Kinder sind stolz auf ihn.
Mustafa: "Gott sei Dank arbeite ich jetzt hier, Gott sei Dank."
4000 Menschen haben hier Arbeit gefunden. Sie arbeiten für eine Firma, die den Geldgebern aus Katar und dem palästinensischen Firmenimperium von Bashar Masri gehört, der treibenden Kraft hinter Rawabi. Mustafas Kollege, der Baggerfahrer, hat die Musik aufgedreht. Hier in der Stadtmitte gibt es noch viel zu tun: Geschäfte, Cafés, Restaurants, Wohngebäude und Büros. Ein Schwimmbad, ein Fitness-Studio, ein 4D-Kino, und ein 5-Sterne-Hotel. Eigentlich sollten die ersten Geschäfte schon im Sommer öffnen. Doch man ist ein gutes Jahr hinter dem Plan.
Ingenieurin Amal Abunimre inspiziert die Baustelle:
"Der Rohbau steht. Die Wände sind schon mit Steinen verkleidet. Und jetzt gehen die Arbeiter in die Gebäude rein und verlegen Fließen und Stromleitungen und alles andere. Malerarbeiten, Holz, Raumteiler und so weiter."
Amal läuft über den Schotter. Sie hat ganz in der Nähe studiert, an der Birzeit-Universität, in einem Vorort von Ramallah. Auch Rawabi liegt nur neun Kilometer nördlich von Ramallah. Eine weibliche Ingenieurin ist hier im Westjordanland eine Besonderheit. Und eine Herausforderung, sagt sie.
"Ich arbeite mit den Bauarbeitern. Und manchmal respektieren sie deine Idee und dich als weibliche Ingenieurin nicht, wegen den Gedanken in ihren Köpfen über Frauen."
Schon seit dem ersten Spatenstich arbeitet sie in Rawabi:
"Ich bin nicht nur eine Frau – ich bin verheiratet, Mutter von zwei Kindern. Das gibt mir Kraft, hier weiterzumachen."
Und das, was sie hier baut, gibt ihr auch Kraft, sagt sie:
"Ich bin stolz, in Rawabi zu arbeiten. Das macht nicht nur mich, sondern alle Palästinenser stolz."
Von dieser quasi nationalen Bedeutung hat sich auch die Architektur inspirieren lassen. Arkadengänge werden gebaut und Pfeiler mit orientalischen Bögen. Und alle Gebäude werden mit hellen, behauenen Steinen verkleidet, wie in Jerusalem.
Abunimre: "Du fühlst die Seele der Altstädte von Palästina. Ich kann mir vorstellen, wenn wir die Stadtmitte fertiggestellt haben, wird es sein wie ein Spaziergang durch die Altstadt von Nablus, Hebron, die Altstadt von Jerusalem. Wir mögen dieses Gefühl, die Inspiration, die in solchen Orten steckt. Wir haben versucht, etwas zu bauen, das uns mit unseren Wurzeln verbindet."
Irgendwie sieht es wie Europa aus
Unten wie die Altstadt von Jerusalem, oben wie New York: Über den Steinbögen geht es sechs Stockwerke in die Höhe. In Rawabi treffen orientalische und westliche Architektur-Vorbilder aufeinander. Rawabi soll die erste moderne Stadt im Westjordanland werden. Im Zentrum entsteht ein Platz, 44.000 Quadratmeter. Ungewöhnlich groß für palästinische Städte. Sie nennen es eine "Plaza". Irgendwie sieht es hier auch aus wie in Europa.
In den Ladenzeilen sollen Geschäfte einziehen, die auch italienische Mode verkaufen. Und sie werden Marken anbieten, die Menschen im Westjordanland bisher kaum kaufen konnten. Adidas, Nike, Hugo Boss – alles original und nicht nachgemacht. Um so einkaufen zu gehen, mussten Palästinenser bisher ihr Land verlassen.
Abunimre: "Wir möchten die Anlaufstelle sein für Menschen in Palästina, die zum Shoppen eigentlich nach Jordanien oder nach Israel fahren. Die wollen wir hier haben. Entweder um eine sehr gute Pizza zu essen oder Lasagne, oder um die Marken zu kaufen, die sie wollen."
Rawabi will das Lebensgefühl der palästinensischen Mittelschicht bedienen. Die künftigen Bewohner sind gut ausgebildet, viele haben im Ausland studiert, hart gearbeitet. Jetzt wollen sie ihr Geld in Palästina ausgeben.
Abunimre: "Ja natürlich, viele Menschen wollen das. Wir Palästinenser haben unsere Bedürfnisse wie alle anderen Menschen auf der Welt, und wir mögen gutes Essen und neue Restaurants und die internationale Küche und wir wollen Markenkleidung tragen, gute Kleider und Accessoires und Schuhe und alles andere."
Kinder sollen an sicherem Ort aufwachsen
Luxusgüter sind Palästinensern wichtig. Die Wirtschaft im Westjordanland brach während der zweiten Intifada fast vollständig zusammen. Seit deren Ende vor zehn Jahren hat sich die Lage für viele Palästinenser nur langsam verbessert. Daher freut sich Ahmad Kadri schon jetzt auf das Einkaufszentrum, das er bald aus seinem Küchenfenster sehen wird.
Kadri: "This is my apartment."
Wir sind im Rohbau seiner Wohnung. Erst im Sommer 2016 werden er und seine Familie hier einziehen können. Wir laufen über 90 Quadratmeter grauen Beton. Schlafzimmer, Küche. Auch er wird von seinem Wohnzimmer-Sofa eine sagenhafte Aussicht haben über die Hügel und an guten Tagen bis zum Meer.
Kadri: "Look to this view."
Ein Kinderzimmer hat er auch schon eingeplant:
"My baby should be here. It's name is Zen."
Ähnlich wie die Kamals hat Kadri vor allem wegen Zen, seiner neugeborenen Tochter, dieses Apartment in Rawabi gekauft. Seine Kinder sollen an einem sichereren Ort aufwachsen als Nablus, wo Kadri selbst aufgewachsen ist. Kadri hofft, Rawabi werde dieser sichere Ort sein. Ein Ort, der vor allem die palästinensische Mittelschicht anzieht. 62.000 Dollar hat er dafür gezahlt. Das ist zwar günstiger als eine vergleichbare Eigentumswohnung in Nablus, sogar günstiger als in Ramallah – aber immer noch viel Geld für einen jungen Palästinenser.
Kadri gehört jetzt zu dieser Mittelschicht, seitdem er hier einen Job gefunden hat: Er ist der Social-Media-Experte, twittert für Rawabi und lädt neue Posts bei Facebook hoch. Fair bezahlt. Den Rest leiht er sich von der Bank – und dann sei doch alles einfach.
Kredite von Banken sind im Westjordanland vergleichsweise neu. In der Nähe der Baustelle haben sich bereits vier Banken niedergelassen, die ihre Kredite den Käufern in Rawabi anbieten.
Wir steigen wieder in den Jeep. Jack am Steuer, wir fahren runter zum neuen Amphitheater: Jacks Lieblingsort:
"Now we are going to the best part of Rawabi. This is my favourite place."
Sitzplätze für 15.000 Zuschauer. Eine Open-Air-Bühne, 700 Quadratmeter groß. Darauf römische Säulen und zwei kleine Balkone in der Wand, aus denen Julia ihrem Romeo bald zuwinken kann. Wir werden hier viel Spaß haben, sagt Jack:
"It is going to be the fun area. We are going to spend all the good time here."
Jack arbeitet nicht nur hier, er hat sich auch schon ein Apartment gekauft. Er freut sich auf Konzerte mit arabischen Sängern und Künstlern aus der ganzen Welt – genau wie Ingenieurin Amal. Bisher gibt es im Westjordanland keinen Ort, an dem größere Konzerte stattfinden können.
Abunimre: "Das hier wird das kulturelle Leben in ganz Palästina verändern. Es gibt bisher nur sehr kleine Theater hier und da, aber nichts in dieser Größenordnung."
Und der einzige Ort, an dem Weltstars in dieser Ecke der Erde auftreten, ist Tel Aviv. Für die Fahrt dorthin müssen viele Palästinenser eine Sondergenehmigung beim israelischen Militär beantragen.
Abunimre: "Wir bauen Rawabi nicht nur für die Menschen, die in Rawabi leben. Das hier ist eine Attraktion für Menschen aus der ganzen Region. Nicht nur aus Palästina, sondern auch aus Jordanien."
Stars, die in Tel Aviv auftreten, werden von pro-palästinensischen Gruppen auf der ganzen Welt kritisiert – und aufgefordert, Israel zu boykottieren. Ein anschließender Auftritt im Westjordanland wäre die Gelegenheit, die Kritiker zu besänftigen.
Abunimre: "It's all politics, but I hope it will be possible."
Vorbild für den Staat Palästina
Rawabi, das wird zwischen den pompösen Säulen auf dieser Bühne klar, will mehr sein als nur eine neue, moderne Stadt. Hier wollen Bashar Masri und die Kataris das Zentrum Palästinas bauen. Und das macht sie alle hier stolz.
Nassar: "Of course we are proud of Rawabi. This is how we build our nation. It's a planned city, it's organized, new, clean. It has the best infrastructure. That is how we build our state."
Sauber, neu, gut geplant. So wie Rawabi soll in der Zukunft auch ein palästinensischer Staat aussehen, sagt Jack. Wir sind auf dem Weg zu den Büros am Rande der Baustelle. In einem Container ohne Klimaanlage sitzt: Bashar Masri.
Dunkelblauer Anzug, eng geschnitten. Bashar Masri ist ein Geschäftsmann mit Charisma, in Nablus geboren, in den USA ausgebildet, dort hat er sein breites Lächeln gelernt. Das Geld für Rawabi hat er an einem einzigen Tag eingesammelt, bei Investoren in Katar. Die Summe verrät er nicht. Geschätzt: eine Milliarde Dollar:
"I think for the first time in our history, the Palestinians feel, we are doing something, wow, a bang, a big project. We are now building a city, we are capable of building a state."
Er sagt, wenn die Palästinenser es schaffen, diese Stadt zu bauen, können sie beweisen, dass sie einen eigenen Staat verdient haben. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Die israelische Armee entscheidet im von ihr besetzten Westjordanland, ob Masri eine breitere Straße nach Rawabi bauen darf, und ob er die Stadt ans israelische Wassernetz anschließen kann. Nach langem Streit hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erst im Frühjahr 2015 die Genehmigung dafür erteilt.
Masri: "Dafür musste ich mindestens 200 Meetings abhalten. Stellen Sie sich vor, ich bin als Manager dieser Firma der größte Arbeitgeber im Land, und ich verbringe 85 Prozent meiner Zeit damit, mit den Besatzern zu verhandeln."
Für Masri längst Routine. Er wurde 1961 in Nablus im Westjordanland geboren:
"Seit ich denken kann, war ich unter Besatzung. Ich wuchs an einem Ort auf, an dem mein ganzes Leben sich um Politik und Soldaten drehte. Wo gehen sie hin? Wo verstecken wir uns vor ihnen? Wie können wir etwas planen?"
Masri war ein Steinewerfer. Im Alter von 14 Jahren kam er dafür einige Tage ins Gefängnis. Als 16-Jähriger ein weiteres Mal. Nach seiner Freilassung schickte ihn sein Vater nach Kairo, dort beendete er die Schule. Anschließend ging er zum Studium in die USA. Doch die Israelis ließen ihn nicht mehr zurück ins Land.
Masri: "Ich habe meinen Wohnsitz in Palästina verloren, und kann ihn nicht zurückbekommen. Also konnte ich erst wieder einreisen, als ich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. Das war 1988."
Seitdem schlägt er sich mit Touristenvisa durch:
"I am on a tourist visa. And my visa says: I am not permitted to work."
"Keine Arbeitsgenehmigung", das steht auf dem Visum in seinem amerikanischem Pass. Und dabei ist er einer der größten Arbeitgeber im Westjordanland. Alle drei Monate muss er das Visum erneuern lassen. Er nimmt seine braune Aktentasche und sucht darin nach seinem amerikanischen Pass. Findet ihn nicht. Seine Mitarbeiter kümmern sich wohl gerade um das Visum.
Steine werfen, das war früher für ihn Widerstand. Und um Widerstand, sagt er, ginge es ihm auch heute – nicht um Profit.
Masri: "Darum geht es in Rawabi. Jeder vernünftige Mensch würde nicht in ein solches Projekt investieren. Ich und tausende andere Palästinenser, die in Palästina investiert haben, wollen nach Hause und wollen etwas für ihr Zuhause tun."
Dabei wünscht sich Masri auch Unterstützung von der Palästinensischen Autonomiebehörde:
"Unglücklicherweise ist das nicht passiert. Ich glaube, als unser Kabinett die öffentlich-private Partnerschaft beschlossen hat, haben sie vielleicht gedacht, dass wir träumen und dass aus dem Projekt nichts wird. Nun, aus dem Projekt ist etwas geworden. Und bis jetzt hat die Palästinensische Autonomiebehörde nicht einen Penny in das Projekt gesteckt. Eine große Enttäuschung."
Angst vor der Normalisierung?
Die Autonomiebehörde ist so zurückhaltend, weil viele Palästinenser etwas fürchten, was sie hier "Normalisierung" nennen: Eine erfolgreiche, lebendige Stadt könnte international den Eindruck erwecken, das Leben unter israelischer Besatzung sei normal und doch gar nicht so schlecht. Und das könnte die Aufmerksamkeit vom Leiden der Palästinenser abziehen. Also muss Masri selbst die Schulen und Kläranlage bauen. Er hatte gehofft, dass die Geberländer, einschließlich Deutschland, daher auch direkt an ihn Geld überweisen werden, und nicht nur an die Autonomiebehörde:
"Ich hatte gehofft, dass die Spender nicht weiter diese fette und unnütze Autonomiebehörde aufbauen, mit vielen Angestellten, die nicht allzu viel machen."
Für Masri steht viel auf dem Spiel. Sein Name als erfolgreicher Geschäftsmann, Geld, und die Hoffnung der Palästinenser. Trotz der fehlenden politischen Unterstützung ist er optimistisch:
"Ich bin überzeugt, dass Rawabi ein Erfolg wird. Die große Frage ist, wird es ein Erfolg in einem Jahr oder in zehn Jahren. Wenn Rawabi in einem Jahr erfolgreich ist, dann werden wir Rawabi 2, 3, 4 und 5 in den nächsten fünf Jahren sehen. Rawabi ist nur der Anfang. Der Anfang einer Kettenreaktion, die die ganze Wirtschaft beflügeln wird."
Damit Rawabi auch ein Erfolg wird, hat Masri an der höchsten Stelle der Stadt einen Showroom bauen lassen. Dort oben zeigt er Rawabi in voller Pracht. Eine riesige Fensterfront hin zur Baustelle, Marmor-Fußboden, Modelle der einzelnen Gebäude in Glasvitrinen. Alle Apartments der ersten Tranche sind verkauft. Jetzt stehen die nächsten Bauabschnitte an. Insgesamt sind noch 5000 Wohnungen zu haben.
Auf einer Leinwand läuft ein Werbefilm. Kemal und Ibrahim tragen 3D-Brillen. Sie fliegen virtuell durch eine Computer-Animation, am Minarett der Moschee vorbei, rein ins Shopping Center. Da kann man schon mal ins Träumen kommen. Das ist das neue Leben, sagt Kemal.
Hier im Showroom treffen die Käufer alle Entscheidungen: Was für ein Gebäude? Wie groß die Wohnung? Und wie soll die von innen aussehen? Soll das Bad eher vornehm beige oder frisch und grün gefliest sein. Kemal hat sich in der Probe-Küche für eine Arbeitsplatte entschieden aus weißem Marmor, aus Deutschland:
"I like Marble Blanko. It's the good material of all the world. It's a German material."
Kemal und Ibrahim leben nicht im Westjordanland, sondern auf der anderen Seite der Sperranlage, die Palästina und Israel trennt. Sie sind sogenannte israelische Araber:
"We have passport Israel, but I am Palestinian."
Ibrahim nimmt die Pläne des ehemaligen israelischen Außenministers Liebermann ernst, dass falls eines Tages ein palästinensischer Staat gegründet werde, die israelischen Araber dort wohnen sollen. Ibrahim hätte schon eine Wohnung:
"I have a house here. The future, we don't know, what's the future."
Und sein Freund Kemal sagt, für ihn gehe ein Traum in Erfüllung, endlich in Palästina zu leben:
"Because it is a dream to be in Palestine." – "Nun ja, Sie hätten ja schon in Ramallah oder Nablus eine Wohnung kaufen können." – "Das hier ist neu. Es gibt hier alles. Schnelles Internet. Ich hab die Zukunft gesehen."
Den Brain-Drain stoppen
Als ich fünf Monate später wieder komme, sitzt Bashar Masri noch immer in seinem Büro-Container. Er lacht noch breiter als im Sommer:
"Wir haben seit vielen Jahren auf diesen Moment gewartet. Und jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen und Familien ziehen ein. Es ist ein wundervolles Gefühl, die Kinder beim Spielen zu beobachten, auf den Spielplätzen am Abend. Die Menschen kommen von der Arbeit nach Hause. Und am Morgen stehen sie mit ihren Kindern an der Bushaltestelle aufgereiht und warten auf den Bus zur Schule. So habe ich mir das schon immer vorgestellt. Jetzt sehe ich es in echt. Noch nicht viele, aber es werden jeden Tag mehr.
Als ich rumgelaufen bin, und ich mache das oft, weil ich es liebe, sah ich diesen Mann, wie er seine Möbel trägt. Und zum ersten Mal haben ich dann seinen erwachsenen Sohn und seine Tochter kennengelernt. Die Tochter sagte mir, dass sie und ihr Bruder aus dem Ausland zurückgekommen seien, um in Rawabi zu leben. Sie lebte in den USA, ihr Bruder in Dubai. Ich habe mich so gut gefühlt, dass der Einfluss von Rawabi schon so viel weiter reicht, als nur den Lebensstandard zu verbessern und Jobs zu schaffen. Wir stoppen den Brain-Drain und bringen Menschen aus dem Ausland zurück."
Die, die jetzt kommen, seien die Pioniere. Sie nehmen in Kauf, dass sich der Aufbau der gesamten Infrastruktur lange hinzieht, sie noch nicht einmal Lebensmittel in Rawabi einkaufen können. Der Druck aber steigt, dass zumindest ein kleiner Laden mit dem Nötigsten bald hier öffnet:
"Wir werden einen ersten kleinen Supermarkt, eine Apotheke, eine Reinigung in den nächsten Monaten bekommen. Aber im Zentrum, die Geschäfte und Restaurants werden nicht vor dem dritten Quartal des nächsten Jahres öffnen."
Auch Familie Kamal in ihrer neuen Wohnung im sechsten Stock hofft auf die nächsten Monate.
Dina und Hannah: "Can I go out now? – Go out now, challas!"
Dina, die acht Jahre alte Tochter darf runter, auf den Spielplatz vor dem Haus – damit ist sie schon voll und ganz zufrieden. Aber Tuqa, die 20 Jahre alte Tochter, will ihren Freundinnen von der Birzeit-Universität endlich mehr bieten.
Vater Nidal freut sich auf das Unterhaltungsprogramm im Amphitheater. Das wird aber auch noch ein Jahr brauchen. Die Kamals haben gewusst, auf was sie sich jetzt erst mal eingelassen haben: Auf eine "Geisterstadt", das haben schon Hannahs alte Nachbarn in Ramallah gesagt.
Hannah: "Wenn wir mit anderen über Rawabi sprechen, sagen sie: Die setzen euch in die Wüste. Niemand kommt hierher, der nicht langfristig denkt."
Rawabi ist ein Langzeit-Experiment. Eine neue Stadt, die sie vom Reißbrett aus einem Hügel schneiden. Es ist das größte Projekt, das Palästina je gesehen hat, hochriskant noch dazu. Und es ist ein Versprechen an die palästinensische Mittelschicht für ein besseres Leben. Noch ist Rawabi eine Baustelle.
Hannah: "We will see, we will see. Maybe thinks will become better, Insha'Allah."