Neubauten in Köln

Wohnen über donnernden Güterzügen

08:00 Minuten
Im Miniaturmodell des Neubauprojekts am Clarenbachplatz wird dargestellt, wie später Güterzüge durch einen Tunnel im Gebäude fahren werden.
Neubauprojekt am Clarenbachplatz – hier werden später Güterzüge durch einen Tunnel im Gebäude fahren. © Bruno
Von Vivien Leue |
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Eine Wohnung in Köln gefällig? Es gäbe da welche für 5000 bis 6500 Euro pro Quadratmeter im Angebot. Es gibt allerdings einen Haken: Durch das Haus werden Güterzüge fahren – also mittendurch. Oberbürgermeisterin Reker freut solche Risikobereitschaft.
"Das ist kein 08-15-Projekt. Das wissen Sie alle, die es geplant haben, alle, die es umsetzen werden."
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach steht in Köln inmitten einer Baustelle auf einer kleinen Bühne. Hier wird gleich die Grundsteinlegung eines besonderen Neubauprojekts gefeiert.
"Investoren, die etwas Neues versuchen, dürfen und müssen auf Offenheit bauen können. Sonst würden wir nie was Neues anpacken, wenn wir immer nur das bauen, was wir schon kennen."
Etwas Neues – das ist es auf jeden Fall, was hier, am Clarenbachplatz im Stadtteil Braunsfeld entsteht. Denn durch die drei neuen Häuser mit insgesamt 67 Wohnungen und einigen Gewerbeflächen werden künftig Güterzüge fahren – lange, schwere Güterzüge.
"Bauen über einer Zugstrecke, ist für Köln was Neues", sagt denn auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. "Man muss eben in solchen verdichteten Gebieten an vieles denken und auch mal ein Risiko eingehen."

"Das ist in der Tat ein Pionierprojekt"

Köln erwartet in den nächsten gut 20 Jahren einen Bevölkerungszuwachs von rund 70.000 Menschen – die Stadt kommt, wie viele andere Metropolen in Deutschland, kaum hinterher, entsprechend neuen Wohnraum zu schaffen. Das liegt nicht nur an den Bauzeiten, es fehlen vor allem auch die Flächen. Wohnraumnachverdichtung ist deshalb das Stichwort. In vielen Großstädten entstehen Neubauten mittlerweile in Innenhöfen, auf Parkdächern oder in der kleinsten Lücke, wie hier in Köln-Braunsfeld.
Mitten durch die Baustelle am Kölner Clarenbachplatz hindurch führen die Gleise, eine Strecke für Güterzüge.
Noch liegen die Gleise frei, die am Kölner Clarenbachplatz bald unter einem Wohnhaus hindurchführen werden.© Bruno
Dass aber Gütergleise überbaut werden, das sei weltweit einmalig, sagt der verantwortliche Bauunternehmer Anton Bausinger. "Man konnte nicht auf irgendeine Referenz zurückgreifen oder etwas aus der Schublade ziehen, das gibt es ja noch nicht. So viele Gutachten und Bewertungen, das haben wir noch nie gehabt."
Der Geschäftsführer des Bauunternehmens, Friedrich Wassermann, hatte schon vor zwei Jahrzehnten die Idee, den schmalen, langgestreckten Platz rund um die Güterbahngleise zu nutzen. Denn das Stadtviertel Braunsfeld ist beliebt – nahe am Stadtwald, mit guter Anbindung an die Innenstadt.
"Jetzt überbauen wir auf einer Länge von 160 Metern eine aktive Güterbahntrasse mit Wohnungen. Das ist in der Tat ein Pionierprojekt."

Kontrovers diskutiert in der Nachbarschaft

Ende nächsten Jahres sollen die Wohnungen fertig sein. In der Nachbarschaft wird der Neubau kontrovers diskutiert.
"Ja, wat Neues bringt Leben rein hier, ne? Das war zum Schluss ein Abstellplatz für alten Müll und so. Es sieht besser aus, viel besser."
"Gut, dass Wohnraum geschaffen wird. Ich glaube, die Art des Wohnraums, die brauchen wir nicht unbedingt hier."
Draufsicht auf die Baugrube des Neubauprojekts am Clarenbachplatz in Köln.
Die Baugrube des Neubauprojekts am Clarenbachplatz in Köln.© Bruno
Die Wohnungen werden aktuell zum Kauf angeboten: für gut 5000 bis 6500 Euro pro Quadratmeter.
Doch ein Problem bleibt: In Köln, wie in vielen anderen deutschen Metropolen, hat etwa die Hälfte der Bevölkerung ein Anrecht auf eine günstigere Sozialwohnung. Die fehlen aber weiterhin. Die Stadt hat ihr Ziel, pro Jahr 1000 neue Sozialwohnungen zu bauen, im vergangenen Jahr knapp verfehlt.

Zahl der Sozialwohnungen steigt in Münster

Ortswechsel.
Auch in Münster ist Wohnraum knapp. Und auch hier brauchen viele Bürger vor allem günstige Wohnungen.
"Das ist alles neu entstanden hier in den letzten 10 Jahren."
Der Münsteraner Immobilien-Dezernent Matthias Peck läuft durch eine grüne Wohnstraße, etwa zehn Fahrradminuten nordöstlich der Innenstadt, nicht weit von der Uni entfernt.
Gemessen an der Einwohnerzahl wird in Münster bundesweit aktuell am meisten gebaut. Und die Stadt schafft dabei, was viele Kommunen nicht schaffen: Die Gesamtzahl der Sozialwohnungen steigt von Jahr zu Jahr. Dafür sorgt unter anderem das städtische Wohnungsunternehmen, die Wohn und Stadtbau. Ihr Chef, Christian Jäger, zeigt auf eine helle Häuserreihe.
"Jetzt sind wir hier bei den Yorkhöfen."
Hinter der Häuserreihe erstrecken sich weitere Wohnungen und dazwischen mehrere Höfe, üppig begrünt. Hier ein Boule-Feld, dort ein Kinderspielplatz, Bänke stehen in der Sonne. 190 neue Wohnungen sind in den Yorkhöfen entstanden, 100 davon sozial gefördert – die Miete beträgt hier gut sechs Euro pro Quadratmeter, halb so viel wie bei den frei finanzierten Wohnungen.
"Wichtig bei solchen Projekten ist immer, eine sozial ausgewogene Mieterstruktur zu bekommen. Es muss ein hoher Prozentsatz an sozialem Wohnraum entstehen, weil wir preisgünstigen Wohnraum brauchen. Aber natürlich haben wir auch eine extreme Unterversorgung an Kitas, das heißt, es kommt auch immer eine Kita hier rein", erklärt Peck, läuft in einen anderen Innenhof und zeigt auf das Außengelände eines Kindergartens.

"Der Druck von außen ist extrem"

"Die Stadt wächst extrem. Wir haben in den letzten 10 Jahren 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner dazu bekommen. Das heißt, der Druck von außen ist extrem und wir müssen vor allem bezahlbaren Wohnraum schaffen."
Um solchen Wohnraum zu schaffen, hat Münster 2014 das Konzept der sozialgerechten Bodennutzung verabschiedet, das mittlerweile als Münsteraner Modell bekannt ist. Will zum Beispiel ein Landwirt sein Grundstück verkaufen, muss er – damit dieses Grundstück später Bauland wird – die Hälfte davon an die Stadt veräußern. So erhält Münster den Boden, den es braucht, um sozialgerecht zu bauen, erklärt Peck.
Blick aus der Untersicht auf einen Münsteraner Neubau, noch im Gerüst.
Auch in Münster entstehen seit einigen Jahren zahlreiche Neubauprojekte – darunter viele Sozialwohnungen.© Picture Alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
"Wir haben im letzten Jahr für 25 Millionen Euro Land gekauft und werden in diesem Jahr für 71 Millionen Euro Land kaufen. Also wir haben fast 100 Hektar Land bekommen."
Wenn die Stadt diese Flächen später wieder an Investoren vergibt, dann nicht nach dem üblichen Höchstbieterprinzip. Sie bietet das Grundstück zu einem gutachterlich berechneten Festpreis an – und verkauft es an den Investor, der die geringste Startmiete bietet.
"Das heißt, die Bieter müssen sich gegenseitig unterbieten."

Offenbar lohnt sich das Geschäft

Außerdem muss ein neues Quartier mindestens 30 Prozent Sozialwohnungen ausweisen. Baut die Stadt selbst, sind es, wie in den Yorkhöfen, 60 Prozent.
"In den letzten drei Jahren kann man sagen, die Anzahl der sozial geförderten Wohnräume sind jedes Jahr um 20 Prozent gestiegen. Ein großer Player ist die Wohn- und Stadtbau dabei, aber es sind eben auch Privatinvestoren dabei. Weil das ist eben common sense, das wird gemacht."
Common Sense? Letztlich bleibt den Investoren beim Münsteraner Modell natürlich keine Wahl, wenn sie in der Stadt bauen wollen. Aber offenbar lohnt sich das Geschäft trotz allem. Für neue Grundstücke gibt es ausreichend Interessenten.
"Man muss eben darauf achten, dass die Stadt auch eine Stadt für alle bleibt. Das heißt, auch die Krankenschwester und der Erzieher und die Bäckereifachverkäuferin, die müssen hier Wohnraum haben. Ich will nicht nur die Reichen und Schönen im Innenstadtbereich haben."
Ob das Münsteraner Modell auch beim Clarenbachplatz in Köln funktioniert hätte? Bei einem Projekt, das für Investoren riskant ist, teuer ist. Die Mischung macht’s, sagte NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach bei der dortigen Grundsteinlegung. Um neuen Wohnraum zu schaffen, muss es wohl beides geben: Innovative Ideen und Kommunen, die aktiv darauf achten, die soziale Frage nicht aus den Augen zu verlieren.
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