Neubeurteilung der literarischen Kultur

Von Marli Feldvoß |
T.S. Eliot wurde mit dem 1922 veröffentlichten Gedicht "The Waste Land" (Das öde Land) zum tonangebenden Lyriker und Kulturschaffenden der westlichen Welt. Komplementär zu seinem lyrischen Werk entwickelte er in seinen Essays eine Poetik, die als Schlüssel seiner eigenen Arbeiten angesehen wird.
"April is the cruelest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
Winter kept us warm, covering
Earth in forgetful snow, feeding
A little life with dried tubers.”


"April ist der übelste Monat von allen, treibt Flieder aus der toten Erde …". Unheilschwanger lässt T.S. Eliot sein weltberühmtes Gedicht "The Waste Land" beginnen. "Ein Hohelied der Bitternis, mit trockener Kehle verfasst", befindet der Lyriker Norbert Hummelt, der den Klassiker von 1922 neu übersetzt und ihm den Titel "Das öde Land" verpasst hat. Eliot war hier Dichterseher und Zeitdiagnostiker, der die tiefen Wunden beklagte, die der Erste Weltkrieg in der westlichen Kultur und im traditionellen Wertesystem hinterlassen hat. Das Werk machte ihn auf einen Schlag zur führenden Stimme der literarischen Avantgarde. Seine innovative Form, der Montagestil, der beinahe anti-lyrische Klang der Verse, der von der Rhetorik der Epoche befreite persönliche Ton, der ironische Konversationsstil und die Alltagssprache - all das zeigte sich bereits in seinem Frühwerk, im Liebesgedicht über den melancholischen, vom Weltschmerz geplagten Kleinbürger J. Alfred Prufrock:

"Let us go then you and I,
When the evening is spread out against the sky
Like a patient etherized upon a table;”


"Geh’n wir also, du und ich,
Wenn der Abend ausgestreckt am Himmel liegt,
Wie ein Patient im Ätherrausch auf einem Tisch;"

Mit seinem Mentor Ezra Pound verband T.S. Eliot eine lebenslange Dichterfreundschaft. Pound hatte das ursprünglich 54 Seiten umfassende Konvolut "The Waste Land" erst in Form gebracht und auf ein Drittel gekürzt. Wie den "Yankee" Pound verschlug es auch Thomas Stearns Eliot, der am 26. September 1888 in St. Louis, Missouri geboren wurde, schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach England. Sein Studium der Mathematik und Philosophie absolvierte er zunächst in Harvard, beschäftigte sich mit orientalischen Religionen, erlernte Sanskrit, vertiefte sich in die Dichtung provenzalischer Troubadours - und verfasste zu Übungszwecken täglich ein Sonett. 1927 wurde Eliot britischer Staatsbürger, lehrte in Cambridge und als Gastprofessor in Harvard. Ab 1917 ging er zusätzlich einem Broterwerb als Bankbeamter nach, später als Lektor und Verlagsleiter bei Faber & Faber in London. Nach Büroschluss schrieb er Essays und Gedichte. Seit seinem Übertritt zur anglikanischen Kirche im Juni 1927 bezeichnete er sich als

"Anglo-Katholik im religiösen, Klassizist im literarischen, Monarchist im politischen Leben."

Die dichterische Produktion Eliots war hinfort christlich grundiert. Aus dem avantgardistischen Poeten wurde ein katholischer Dramatiker mit enormem Erfolg. Sein erstes Mysterienspiel "Murder in the Cathedral" entstand im Auftrag der anglikanischen Kirche. Spätere Bühnenstücke, am bekanntesten "The Cocktailparty", tragen das Gewand moderner Salonkomödien, kreisen jedoch um die zentralen Sinnfragen der fünfziger und sechziger Jahre, um Freiheit, Moral und Ich-Suche. Für Eliot waren Lyrik und das durch ihn erneuerte Versdrama zwei Wege zum gleichen Ziel. Das von ihm selbst besonders geschätzte Stück "The Family Reunion" ("Der Familientag"), 1939 in London uraufgeführt, trägt autobiografische Züge. Elisabeth Flickenschildt liest die Rolle der Amy:

"Erst jetzt, in meinem Alter, fange ich gerade an zu erkennen,
Daß es Dinge gibt, die zu ändern es zu spät ist.
Und das heißt: alt sein.
Trotzdem bin ich froh, daß ich noch zu dieser Erkenntnis kam.
Ich habe immer zuviel für meine Kinder verlangt,
Mehr als das Leben gewähren kann.
Nun hab ’ich dafür die Strafe."

T.S. Eliot, der Dichter mit dem dröhnenden Lachen, erhielt 1948 den Nobelpreis für Literatur und unzählige Ehrungen weltweit. Im Grunde war er ein früher Popstar. Seine schönsten Nonsens-Gedichte schmücken das Libretto des Erfolgsmusicals "Cats" von Andrew Lloyd-Webber, die Firma Esso warb mit einem Eliot-Zitat und ein Vortrag über Literaturkritik in Minnesota wurde wegen des Ansturms in ein Baseballstadion verlegt. T.S. Eliot starb am
4. Januar 1965 in London. Er wurde 76 Jahre alt.