Svenja Hardecker u. Philip Kohler: "Erweckung aus der ‚start-up school‘? Die Gründungswelle neucharismatischer Ausbildungsstätten"
Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 3/2020, 173-180
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Der Heilige Geist macht Schule
11:54 Minuten
Ihre Webseiten sehen hip aus, ihr Ziel ist Identitätsfindung: Neucharismatische Schulen boomen. Svenja Hardecker, kirchliche Referentin für Weltanschauungsfragen rät, sich über die Angebote gut zu informieren.
Anne Françoise Weber: "Theologische Akademie Stuttgart", "School of His Power" oder "Schule der Erweckung", so nennen sich einige Ausbildungsstätten, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Sie sind alle auf neucharismatische Gemeinschaften zurückzuführen. Was wird da gelehrt, und welche Ziele verfolgen diese meist kleinen Gemeinschaften mit solchen Start-up-Schulen?
Das sind Fragen, die ich mit Svenja Hardecker besprechen möchte. Sie ist Referentin für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und hat kürzlich zusammen mit ihrem Kollegen Philipp Kohler eine kleine Studie über den Boom dieser neucharismatischen Schulen veröffentlicht. Vorweg eine kurze Definitionsfrage: Woran erkennt man denn diese neucharismatischen Gemeinschaften, was zeichnet die aus?
Svenja Hardecker: Der Begriff neucharismatisch bezieht sich auf eine bestimmte Form von Gemeindegründung. Im Strom der Pfingstbewegung gab es ab den späten 80ern und Anfang der 90er-Jahre eine neue Welle, man nennt das auch die dritte Welle der Pfingstbewegung, in der sich neue Gemeinden gründeten, oft einfach durch Einzelpersonen oder durch leitende Ehepaare. Die wurden zu Trägern dieser Frömmigkeitsform.
Übernatürliche Erfahrungen werden betont
Weber: Charismatisch kommt von Charisma, von den Gnadengaben. Da geht es also viel darum, was der Heilige Geist einem gibt, sei es Zungenreden, sei es Heilen oder solche Dinge?
Hardecker: Ganz genau. Es geht immer um besondere Erfahrungen mit dem Heiligen Geist und übernatürliche Erfahrungen. In der neucharismatischen Bewegung sind diese Erfahrungen besonders stark betont, noch mal stärker als bei ihren Vorläufern. Da geht es dann eben sehr darum, wie der Alltag eines jeden Christen durchflossen werden kann vom Heiligen Geist, wie er sich ausdrückt dann in Heilungen, Wundern, in Gebetserhörungen, in Prophetien. Das ist das Spezifikum dieser Gemeinden und auch der Ausbildungsstätten, die jetzt aus ihnen erwachsen sind.
Das Gefühl, am Anfang einer Massenbewegung zu stehen
Weber: Sie zitieren in Ihrer Studie auch die Webseite einer Schule, da heißt es: "Es ist uns besonders wichtig, dass jeder Student in einen übernatürlichen Lebensstil von Intimität mit Gott, Zeichen und Wundern, Prophetie und Heiligung hineinwächst". Übernatürlicher Lebensstil klingt für nicht Eingeweihte ganz schön abgefahren. Und vor allem, wie soll man das lehren, wird da das Wundervollbringen gelehrt oder wie kann man sich das vorstellen?
Hardecker: Der Anspruch ist schon der, dass man durch eine besondere Einsicht in die eigene Identität als Kind Gottes, als Geistbegabter, auch in die Lage kommt, Wunder zu tun, Heilungen zu erleben, Zeichen zu setzen für das ankommende neue Reich Gottes. Man meint, damit am Anfang einer ganz neuen Zeit zu stehen, einer Zeit, in der wirklich eine große Erweckung kommen wird, die nicht nur mehr wenige betrifft, sondern die große Masse.
Manche wollen vor allem die Persönlichkeit schulen
Weber: Mit einem klassischen Theologiestudium, wo man die Originalsprachen der Bibel lernt, ganz viel Textarbeit und Kirchengeschichte macht, hat das wenig zu tun. Das ist dann eher eine Arbeit an der Persönlichkeit und am eigenen Glauben, kann man das so sagen?
!Hardecker: Das geht eben weit auseinander. Diese neuen Ausbildungsstätten sind jede für sich ein Einzelunternehmen erst mal in seinem eigenen Gepräge. Es gibt welche, die vertreten gar keinen Anspruch, hier wirklich eine Form von theologischer Ausbildung zu vermitteln. Die wollen eine Art Persönlichkeitsschule sein, nennen sich oft Schule, weil der Begriff "School" im Englischen ein bisschen lockerer ist. Das hat mit einer deutschen Schule dann erst mal nicht so viel zu tun.
Auf der anderen Seite gibt es aber schon Einrichtungen, die versuchen, eine Form von theologischer Ausbildung zu bieten, die allerdings nicht nur nicht vergleichbar ist mit den deutschen Hochschulen, wo evangelische Theologie gelehrt wird, sondern auch nicht mit den Bibelschulen, die bei uns ja schon etwas etablierter sind und die ein festes Curriculum anbieten.
In der Regel kein anerkannter Abschluss
Weber: Wenn man an einer solchen Ausbildungsstätte landet, die den Anspruch hat, einen zur Predigerin oder Gemeindeleiterin auszubilden, dann ist man aber auch ziemlich festgelegt, dass man nun genau in einer Gemeinde landet, die diese Ausrichtung hat? Oder gibt es da irgendwie Zusammenschlüsse?
Hardecker: Es gibt da bisher keine Zusammenschlüsse. Wir müssen unterscheiden zwischen diesen neuen neucharismatischen Ausbildungsstätten und der Ausbildungsstätte des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden in Beröa, die ihre eigene Professionalisierung durchgemacht hat und tatsächlich zu einer Form von Pastorenamt befähigt.
Diese neuen Schulen bieten in aller Regel keinen anerkannten Abschluss, es gibt normalerweise irgendeine Form von Zertifikat, aber wenn man daraus beruflich etwas machen will, muss man darauf vertrauen, dass eine Gemeinde aus diesem Spektrum einen zu einer Art Dienst anstellt.
Eltern wollen mehr wissen über die Angebote
Weber: Anlass für Ihre Studie war auch, dass Sie festgestellt haben, dass es mehr Beratungsbedarf gibt, auch bei Ihrer Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen. Heißt das, da kommt jemand und sagt, meine Tochter will unbedingt an dieser Schule eine Ausbildung machen und ich weiß gar nicht, was das ist? Oder was ist das für eine Form von Anfrage, die Sie bekommen?
Hardecker: Mit Bezug auf diese Einrichtungen hatten wir viele Informationsanfragen von Angehörigen, die sich vielleicht berechtigt sorgen, dass das keine Qualifikation bietet. Oder sich auch sorgten wegen der Inhalte, die auf den Homepages stehen, dass das Kind sich dort radikalisiert. Denn diese Einrichtungen richten sich zum größten Teil an Menschen, die mit der eigentlichen Schule fertig sind, im jungen Erwachsenenalter sind und eine Form von Qualifizierung oder von Jüngerschaftsschule einbauen in ihren Lebenslauf. Das heißt, das sind oft Menschen, wo die Eltern noch involviert sind, wo die Eltern auch gebeten werden, etwas zu bezahlen, wo dann Fragen über die Seriosität der Institution auftauchen.
Jede Ausbildungsstätte einzeln betrachten
Weber: Was können Sie dann sagen? Geben Sie Kriterien an die Hand, dass jemand sich noch mal selbst anschaut, ob das seriös ist? Oder gibt es Schulen, wo Sie direkt sagen: Da müssen wir abraten? Wie sieht das aus?
Hardecker: Im Prinzip ist das Ziel unserer Beratungsarbeit immer, so viel Informationen und Orientierung zu vermitteln, dass die Menschen selbst zu einer für sie stimmigen Entscheidung kommen können. Das ist im Bezug auf diese Ausbildungsstätten wirklich so, dass wir da sagen würden, man muss jede einzeln anschauen und man muss bei jeder einzeln fragen: Was ist das Ziel, das sie angeben? Mit welchen Wegen und Mitteln versuchen sie, dieses Ziel zu erreichen? Und dann muss man schauen, ob dieses Angebot passt. Denn es mag Leute geben, zu denen das genau passt, für andere wäre das keine gute Wahl. Deshalb versuchen wir eigentlich eher Fragen zu stellen und die Antworten für die Menschen so aufzubereiten, dass sie sie verstehen können. Und dann kommen sie hoffentlich zu einer Einschätzung.
Geraten weltliche Zusammenhänge aus dem Blick?
Weber: Wo schrillen bei Ihnen die Alarmglocken, wenn Sie sich jetzt eine neue Webseite von so einer Schule angucken? Die sind ja oft sehr trendy gemacht, klingen so, also ob da vor allem die Person im Mittelpunkt steht und das ganz toll ist. Wo gucken Sie hin, wo sagen Sie: Das klingt aber komisch.
Hardecker: Eine Art rote Flagge sind für uns einerseits Kosten. Wenn die Kosten in keinem Verhältnis zu dem zu stehen scheinen, was man dort erhält. Manchmal ist es zum Beispiel so, dass man etwas bezahlen soll und auch noch dort arbeitet. Das ist so ein bisschen die Frage, ob das seriös ist.
Auf der anderen Seite gibt es viele inhaltliche rote Flaggen, wo wir zum Beispiel fragen würden, wenn wir den Eindruck haben, es wird so viel Augenmerk gelegt auf das Übernatürliche, dass die Perspektive von ganz normalen weltlichen Zusammenhängen, psychologischer Art, gesellschaftlicher Art völlig aus dem Blick gerät, dass man sich da tatsächlich verrennen könnte.
Andererseits, wenn praktisch die Ängste, die mit so einem übernatürlichen Lebensstil zusammenhängen können – vor Dämonen, vor bösen Einflüssen –, wenn das da schon herauskommt in der Ausschreibung, dass das da eine große Rolle spielt. Da würden wir sagen: Da müssen wir darauf achten, das kann potenziell Risiken bergen.
Unterordnung statt Selbstbewusstsein
Weber: Kann problematisch auch sein, wenn eine Gemeinde so sehr auf einen Prediger, eine Predigerin zentriert ist und da so ein gewisser Personenkult entsteht? Oder würden Sie sagen: Das gehört dazu bei diesen Gemeinschaften?
Hardecker: In gewisser Weise gehört es dazu, trotzdem gibt es unterschiedliche Auswirkungen. Es gibt auch Gemeinschaften, die sind gerade für junge Menschen, die nach Orientierung suchen, potenziell gefährlich, weil sie ihnen kein Selbstbewusstsein vermitteln, sondern eigentlich eine Form von Unterordnung lehren, die ich auch nicht für christlich halte. Das man sich unter seine Leiter, unter seine Hauskreisleiter, unter seine Lehrer unterzuordnen hat, bis zu dem Punkt hin, dass man eben keine Rückfrage stellen darf, dass man nicht etwas ernsthaft in Zweifel ziehen kann, was dort gelehrt wird, sondern sich dann offensichtlich schon auf der falschen Seite der Geschichte befindet, wenn man anfängt nachzufragen.
Weber: Also ein sehr autoritäres Denken?
Hardecker: Ja, es ist oft so, dass hinter dem ganzen coolen Äußeren sich antimoderne Theologie verbirgt, ein antimodernes Familienbild und die Vorstellungen davon, was man mit seinem Leben anfangen kann, doch sehr wenig Varianz lassen.
Konkurrenz um die Zukunft
Weber: Nun ist Ihr Arbeitgeber nicht weltanschaulich neutral, sondern es ist die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Ist das manchmal auch schwierig, gibt es manchmal vielleicht eine Konkurrenz um diese Gläubigen, die auf jeden Fall christlich interessiert sind, die man vielleicht auch gerne in einer auch in Württemberg schrumpfenden Landeskirche hätte?
Hardecker: Einerseits ja, andererseits nein. Es gibt zwischen allen christlichen Religionsgemeinschaften so eine latente Konkurrenz um die Zukunft, dass man natürlich denkt, seine eigene Form ist irgendwie so wertvoll, die muss erhalten bleiben, dafür muss man doch Leute begeistern können. Das mag grundsätzlich schon zutreffen.
Jetzt für unsere eigene Arbeit ist es so: Wir sind sozusagen gesandt, hier einen seriösen Beratungsdienst zu machen und uns dafür auch von dieser Perspektive unserer eigenen Kirche ein Stück weit zu verabschieden und möglichst gute Informationen aufzubereiten.
Die sind natürlich, wenn man nach unserer eigenen Einschätzung fragt, dann auch geprägt. Das ist auch geprägt durch mein Studium und Einsichten, die ich dort hatte. Aber sie sind zumindest vom Anspruch her so neutral, dass auch jemand mit einer ganz anderen Einstellung nach einem Gespräch mit mir oder einem meiner Kollegen fröhlich gehen kann und eine andere Entscheidung treffen, als ich sie getroffen hätte.
Die Schulen sollen die Erweckung fördern
Weber: Wie erklären Sie diesen Boom der Ausbildungsstätten? Boomen denn die neucharismatischen Gemeinschaften so, dass da so viel Nachwuchs ist, oder hat das finanzielle Gründe?
Hardecker: Die Gemeinden wachsen nicht besonders stark. Wir vermuten auch keine finanziellen Gründe, sondern wir vermuten, dass es die nächste neue Welle ist, mit der man versucht, innerhalb der Bewegung die Erweckung zu befördern und auch für sich selbst im Leben noch mal eine Stufe weiterzukommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.