Gewinne eine Reise in eine Diktatur
Verfasse ein Flugblatt gegen eine Diktatur und gewinne ein Netflix-Abo: Mit dem irrwitzig inszenierten Schülerwettbewerb "Scholl 2017" trifft das "Zentrum für Politische Schönheit" wie so oft einen Nerv – mit einer klaren und berechtigten Botschaft.
Nun also "Scholl" statt "Elser": Hans und Sophie Scholl, die ihren legendären Flugblatt-Wurf im Lichthof der Münchner Universität mit dem Leben bezahlten und damit zum Inbegriff des jugendlichen Widerstands gegen das Naziregime wurden. Zum Inbegriff eines Aufstands gegen Diktatur, der laut Zentrum für Politische Schönheit längst der Wiederbelebung bedarf. Besonders in der Oase Bayern.
"Wir können stolz sein auf unseren schönen Freistaat. Unsere Demokratie und unserer Meinungsfreiheit. Zum ersten Mal richtet die bayerische Staatsregierung den Geschwister-Scholl-Wettbewerb aus. Gemeinsam mit Schülern und Studenten fragen wir in einer beispiellosen Zeit des Friedens und des Wohlstands: Wie würden Hans und Sophie Scholl das Schweigen heute brechen? Wie würden sie die Welt von Tyrannen befreien?"
In einem Hochglanz-Video ruft das Zentrum für Politische Schönheit unter der vorgegebenen Schirmherrschaft der Bayerischen Staatsregierung einen Schülerwettbewerb aus: "Scholl 2017 – Aus der Vergangenheit lernen". Was heute frühmorgens online beginnt, setzt sich ab 12.00 Uhr im Münchner Sophie-Scholl-Gymnasium auf dem Pausenhof fort:
"Was wir uns immer gefragt haben ist, könntet ihr jetzt sozusagen die Geschwister Scholl sein 2017? Was würdet ihr dann schreiben auf das Flugblatt? Genau. Und das geht auch ganz easy – auf der Seite könnt ihr euch registrieren…"
Gewinne ein iPad oder ein Netflix-Abo
Verfasse ein Flugblatt gegen die Diktatur, gewinne ein iPad oder ein Netflix-Abo und – wenn du mutig und alt genug bist und am Ende der Woche im Netz dafür ausgewählt wurdest – verteile das Gewinnerflugblatt in der Türkei oder in Syrien oder in Südkorea, eben in der Diktatur deiner Wahl! So lautet noch bis Donnerstag das Angebot an die Schüler und Studenten.
Ruch: "Ich weiß nicht, ob ihr ältere Geschwister habt?"
Kinder: "Jaaa."
Ruch: "Super, dann sagt denen mal folgendes. Wir suchen junge mutige Menschen, die bereit sind, in eine Diktatur zu reisen, und dort diese Flugblätter zu verteilen, also genau das, was Hans und Sophie Scholl gemacht haben."
Kind: "Kann mein Bruder, der ist 16, kann der dann auch mit machen…"
Ruch: "Ja, alle Schüler im Freistaat Bayern können mitmachen, alle."
Kind: "Und da müssen wir, also mein Bruder, einfach nur dahin gehen und das abgeben…"
Ruch: "Genau…"
Kinder: "Jaaa."
Ruch: "Super, dann sagt denen mal folgendes. Wir suchen junge mutige Menschen, die bereit sind, in eine Diktatur zu reisen, und dort diese Flugblätter zu verteilen, also genau das, was Hans und Sophie Scholl gemacht haben."
Kind: "Kann mein Bruder, der ist 16, kann der dann auch mit machen…"
Ruch: "Ja, alle Schüler im Freistaat Bayern können mitmachen, alle."
Kind: "Und da müssen wir, also mein Bruder, einfach nur dahin gehen und das abgeben…"
Ruch: "Genau…"
Das Nachspielen der Scholl-Taten als Gewinnspiel und Abenteuerreise; der mehr oder weniger riskante Widerstand als staatliches Bildungsprojekt. Es ist ein schillerndes Spiel zwischen ernst gemeinter Aufklärung, berechtigtem Appell und Kommentar auf die vermeintlich spaßorientierte Jugend, das Philip Ruch und seine Komplizen inszenieren. Ein Spiel in dem schon in den ersten Stunden der Aktion jeder seine Rolle sehr gut spielt: Kinder, die begeistert sind, Medien die alles aufzeichnen und ein Schulleiter, der interveniert:
Ruch: "Das ist der Rektor, der findet das nicht so gut, was wir hier machen."
Ich: "Was passiert jetzt?"
Rektor: "Naja, ich habe sie gebeten abzubrechen."
Ich: "Warum?"
Rektor: "Weil es eine politische Aktion ist und keine künstlerische Aktion."
Ruch: "Der Rektor sieht Politik statt Kunst, er glaubt dem Logo nicht, dann müsste es natürlich Kunst sein."
Rektor: "Naja, das Logo"
Ruch dazwischen: "Er sagt aber: das ist Politik. Und er will Hans und Sophie Scholl im Jahr 2017 in Deutschland verbieten, er will das auf seinem Schulhof nicht, wir haben gesagt, wir spielen trotzdem."
Ich: "Was passiert jetzt?"
Rektor: "Naja, ich habe sie gebeten abzubrechen."
Ich: "Warum?"
Rektor: "Weil es eine politische Aktion ist und keine künstlerische Aktion."
Ruch: "Der Rektor sieht Politik statt Kunst, er glaubt dem Logo nicht, dann müsste es natürlich Kunst sein."
Rektor: "Naja, das Logo"
Ruch dazwischen: "Er sagt aber: das ist Politik. Und er will Hans und Sophie Scholl im Jahr 2017 in Deutschland verbieten, er will das auf seinem Schulhof nicht, wir haben gesagt, wir spielen trotzdem."
Die Botschaft ist sehr klar und berechtigt
Und sie spielen tatsächlich weiter, wenn auch nicht auf dem Pausenhof in Nord-Schwabing. Wie immer bei den aktionskünstlerischen Interventionen des Zentrums ist die politische Botschaft sehr klar und berechtigt. Wie immer sind die inszenatorischen Mittel extrem ausgefeilt: perfekter Internetauftritt, faktenreiches Unterrichtsmaterial, ein Bus, in dem man sich registrieren lassen kann und sogenannter Ersatzunterricht im Theater, wenn die Geschichtslehrer nicht mit ziehen.
Und wie immer geht es auch diesmal darum, die Provokation der Kunst, nämlich Kinder und Jugendlichen dem Risiko diktatorischer Repression auszusetzen, an die Politiker – bei uns und in den Diktaturen – also an die Wirklichkeit zurückzuspielen.
Mit "Scholl 2017" hat das Zentrum also wieder einen Prozess in Gang gesetzt, bei dem sich erst noch zeigen wird, wie konsequent und damit erfolgreich die Provokation tatsächlich angenommen wird. Und zwar auf beiden Seiten: auf der der Kunstaktivisten und der der Politik.