Das muss man gehört haben - oder auch nicht
Die Neuerscheinungen der Woche rufen bei unserem Kritiker Martin Risel nicht gerade Begeisterungsstürme hervor: Das Comeback von New Order findet er "schlimm" und die neue Platte von Fehlfarben "geht so". Sein heißer Tipp hingegen kommt aus den USA.
New Order – "Music Complete"
Nach für viele Fans zähen zehn Jahren nun das zehnte Studio-Album der direkten Erbfolger von Joy Division. Deren wertvolles ArtRock-Erbe hatten New Order damals in den 80ern vorschnell verscherbelt zugunsten eines in Massenwirkung und Klangbild breit aufgestellten Elektropops, der an Prolligkeit und Populismus nur noch durch die Pet Shop Boys überboten wurde. Elektronische Sounds für Leute, die mit Elektro oder gar Techno nichts anfangen können. Ich muss wohl nicht mehr erwähnen, dass ich New Order schon immer für überschätzt halte. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie ihren Siegeszug um die Welt zeitgleich mit dem des Neoliberalismus von Maggie Thatcher und anderen konservativen Kanaillen begannen.
2015 klingen die Breitwand-Briten - noch schlimmer als vor 30 Jahren – nach nichtssagendem Nihilismus, nach der schön geschminkten Hure Pop am Straßenstrich des verkommenen Kapitalismus.
Hazmat Modine – "Extra-Deluxe-Supreme"
Die US-BrassBigBand kreiert – im Gegensatz zu New Order – etwas Originäres, Wertvolles aus den Wurzeln der Musikgeschichte. In diesem Fall: Americana, Blues und Klezmer, Jazz, Folk und traditionelle Musik verschiedener Kontinente. Von multikulturellen Musikern miteinander montiert im Melting Pot New York, aufgenommen auch in einem alten Bauernhaus nahe Osnabrück.
Ihr deutsches Label wird sich nicht freuen, dass "Extra-Deluxe-Supreme" erst das dritte Album in 17 Jahren ist. Auf die Reproduktionsrhythmen der kapitalistischen Popmaschine pfeifen Hazmat Modine – und in diesem Fall: Stampfen und blasen und improvisieren als gäb’s kein Morgen. Großartig.
Fehlfarben – "Über … Menschen"
Mit Nietzsches "Übermensch" will der, der sich da alter Sack nennt, nichts am Hut haben. Und auch nicht mit "Dinkelstangen knuspernden Mittelschichtsmenschen mit Binnen-I". Fehlfarben-Sänger Peter Hein sieht sich inzwischen als geriatrischer Punk, der früher gegen die Alten, jetzt gegen die Jungen wettert. Die mit dem Blick auf die App unters Auto geraten.
Aber was soll’s? "Davon geht die Welt nicht unter, dass man sie zerstört," singt er anderer Stelle. Oder: "Es muss sich was ändern, aber egal ob oder auch nicht." Seine stets zitat-taugliche und wunderbare Wut ist inzwischen einem rheinländischen Fatalismus gewichen. Und da frage ich mich zum ersten Mal: Wie relevant sind Fehlfarben noch für die Gesellschaft – oder wenigstens fürs Feuilleton?
"Monarchie und Alltag" war vor 35 Jahren das Über-Album des deutschen Pop. "Über … Menschen" kommt nicht mal an "Knietief im Dispo" von 2002 heran. Aber immerhin: Im Vergleich mit den genauso alten New Order mag man diese alten Säcke immer noch meckern hören.