Kalte Wut und gute Beats
Die Musiker Haftbefehl und Xatar rappen zusammen unter dem Namen Coup und bringen heute ein Gemeinschaftsalbum raus. "Der Holland Job", so der Titel, ist ein Trip durchs Gangsterleben, die Beats ein nervöses Trap-Gerippe. Ein echtes Erlebnis, so Martin Böttcher.
Milliarden – Betrüger
Zwei Berliner Jungs, die rotzig ins Mikrofon rufen und dazu Gitarren erklingen lassen. Das Konzept der Rio-Reiser-Kopie ist ja auch nicht mehr ganz neu, in diesem Fall nennen sich die beiden Milliarden - eine dieser Bands, die von ihrer Major-Label-Plattenfirma gerne als "brutal ehrlich" und "wunderschön poetisch" beworben werden und genau das nicht sind. Betrüger also – und "Betrüger" heißt auch ihre erste richtige Platte. Irgendwie typisch sauber-laut produzierter Pop-Rock, der so tut, als sei er eigentlich Punk. Mit Texten, die behaupten, Musik gewordenes Freiheitsgefühl zu sein, aber wohl nur der freiheitsliebenden jugendlichen Zielgruppe das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Was für eine Enttäuschung, finde ich - als Milliarden das erste Mal auf der Bildfläche auftauchten, roch die Luft noch nach Schwefel und ein Hauch von Wahnsinn lag über allem. Davon ist nichts übrig. Gar nichts.
Coup – Der Holland Job
Aber es ist ja eh ein Kreuz mit den Klängen aus Deutschland – wenn man überhaupt noch irgendwo so etwas wie Wahnsinn und Wagemut verspüren kann, dann im deutschsprachigem Hip-Hop. Und da legen diese Woche die beiden Tunichtgute Haftbefehl und Xathar unter dem Projektnamen Coup ein Album vor, das aufhorchen lässt.
Posen gehören zum Rap, auch zum deutschen, aber hinter der Pose müssen Haltung und Cleverness stehen, sonst wird's unerträglich. Die Rapper Haftbefehl und Xathar, haben beides – dazu noch eine kalte Wut und ziemlich gute Beats. Der Holland Job, so der Titel ihrer Platte, ist ein Trip durchs Gangsterleben, die Beats ein nervöses Trap-Gerippe. Die Sprache in ihrer babylonischen Vielseitigkeit, ihrem internationalen Mischmasch ein echtes Erlebnis. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Die beiden sind keine verkannten Genies, kein Schiller und Goethe der Straße. Aber kalt lassen kann diese Musik niemanden – außer natürlich die, die sie aus Prinzip nicht hören, weil das alles zu hart und zu schroff und zu real ist.
Uff, erst einmal Luft holen. Und das geht ganz gut mit Musik von Abay.
Abay – Everythings Amazing And Nobody Is Happy
Abay, das ist das Duo von Aido Abay und Jonas Pfetzing. Ihre erste gemeinsame Platte "Everythings Amazing and Nobody is Happy" ist ein rares Gut: In Deutschland aufgenommene Musik, die weder peinlich, noch pathetisch, noch tanzflächenelektronisch, noch gerappt ist. Einfach nur eine Handvoll guter Indierock-Songs, die einen daran erinnern, dass Musik auch Seelenbalsam sein kann.
Alles hört sich so locker und ungezwungen an, wie man es aus unseren Landen eigentlich nicht kennt. Ein Wunder, vor allem, wenn man weiß, dass es wohl gar nicht so ungezwungen zugegangen ist: Vier Jahre saßen die beiden an ihren Songs, diverse Studios und zwei Dutzend Musiker spannten sie ein – was lange währt, wird endlich gut.
Zum Schluss noch was ganz anderes: Of Montreal mit Innocence Reaches.
Of Montreal – Innocence Reaches
Innocence Reaches ist das 14. Album von Kevin Barnes und seiner Band, die mal mehr, mal weniger Mitglieder aufzuweisen hat. Und noch immer gehen die Ideen nicht aus: Melodien zum Mitsingen, tiefe Gedanken – und immer wieder gleichzeitig schräge und eingängige Sounds. Sogar die Electronic Dance Music, die EDM wird hier von Of Montreal zitiert, aber auf eine Art und Weise, die Fans von David Guetta eher erschrecken dürfte. Musik als Waffe gegen Langeweile, nach diesem Prinzip funktioniert diese Platte. Und mehr braucht es ja manchmal auch gar nicht.