Klänge aus einer höheren Sphäre
Zur Schau gestellte Gefühle sind ihm ein Graus. Vielleicht vermag er deshalb so anzurühren: Christian Gerhaher. Nach 14 Jahren haben er und sein Klavierpartner Gerold Huber Schuberts "Schöne Müllerin" zum zweiten Mal aufgenommen - ergreifend.
Olga Scheps - "Tshaikovsky"
Ihr Debüt symbolisierte für mich die Verkommenheit der Musikindustrie. Äußerlich Modelmaß, pianistisch Mittel - oder sagen wir ruhig: Untermaß - so präsentierte sich Olga Scheps 2009 mit Chopin, als letzter Beweis, dass große Labels mehr auf Augen als auf Ohren setzen. Auch die folgenden Platten trugen mit keiner Note dazu bei, den verheerenden ersten Eindruck zu revidieren - bis jetzt.
Entweder trägt - oder erträgt - Tschaikowskis Schlachtross noch mehr als gedacht, oder Olga Scheps hat sich tatsächlich entwickelt. Nicht falsch verstehen: Hier ist keine neue Martha Argerich am Werk, aber immerhin fühlt man sich nicht mehr an "Jugend musiziert" erinnert. Pianistische Zauberkunst sucht man vergebens, aber handwerklich ist es eine solide - Töne und Tempo stimmen und ein gewisses Temperament bricht sich zumindest im Konzert Bahn. Die pedantisch-glanzlose Interpretation der nachfolgenden Solostücke wird ein gutgesinnter Hörer vielleicht als "wohltuende Schlichtheit" empfinden, und anderen als diesen sei die Aufnahme, trotz positiver Überraschung, auch nicht empfohlen.
Christian Ferras - "The Complete HMV & Telefunken-Recordings"
Heute kennen ihn nurmehr Eingeweihte - zu Lebzeiten war er jedoch einer der bekanntesten Vertreter französischer Geigenkunst: Christian Ferras.
Sein Klang: ebenso duftig wie fiebrig- intensiv, sein Spiel konnte gefährlich glühen um sich im nächsten Moment wieder einzuschmeicheln. Eine neue Box mit 13 CDs zeigt Christian Ferras in den frühen und besten Jahren seiner Karriere, im legendären Duo zusammen mit Pierre Babizet, als Solist in großen Konzerten oder an der Seite von Yehudi Menuhin.
Christian Ferras war ein Perfektionist, der das Nachlassen künstlerischer Perfektion aufgrund von gesundheitlichen Problem nicht verkraftete; mit nur 49 Jahren nahm er sich das Leben. Es lohnt sich, sein mitreißendes Spiel wiederzuentdecken.
Christian Gerhaher - "Die schöne Müllerin"
Zur Schau gestellte Gefühle sind ihm ein Graus - und vielleicht vermag er deshalb so anzurühren wie kein anderer Sänger. Christian Gerhaher verbindet die Natürlichkeit eines Fritz Wunderlich mit dem Intellekt und Schmelz Fischer-Dieskaus - ein Liedsänger, der das Ohr für andere Stimmen verdirbt.
Nach 14 Jahren haben er und sein Klavierpartner Gerold Huber Schuberts "Schöne Müllerin" zum zweiten Mal aufgenommen. Noch konzentrierter auf das Wesentliche, ergreifend in seiner Schlichtheit, in der Reinheit des Ausdrucks.
Beglückt, mit zugeschnürter Kehle, und nicht-enden-wollendem Staunen hat mich diese Aufnahme zurückgelassen - staunend über Klänge, die aus einer höheren Sphäre zu uns gefunden haben müssen.