Neue Alben

Von Low Fidelity bis Keyboardwahnsinn

Die Tasten eines Midi-Keyboards aus Kunststoff.
Die Tasten eines Midi-Keyboards aus Kunststoff. © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Carsten Rochow |
Fünf neue Platten stellen wir vor: 70er-Jahre-Rock mit elektronischen Elementen, einen Sampler mit unveröffentlichter Musik aus Hamburg, kunstvollen Indiepop, knochigen Basssound und eine Neuauflage von 1984.
Zeus - Classic Zeus
In erster Linie bleiben die Kanadier dem 70er-Jahre-Rock treu, erweitern aber ihre Klangpalette um einige elektronische Elemente, was unterm Strich manchmal ein wenig zu viel ist, finde ich. Aber wahrscheinlich stehe ich noch zu sehr unter dem Eindruck des Vorgängeralbums Busting Visions, was wirklich grossartig ist (Achtung: Unterschwellige Empfehlung!). Wenn Sie Yes oder Queen mal im praktischen Beatles-Popsongformat hören wollen, greifen Sie bitte unbedingt zu Classic Zeus.
Label: So Recordings

Low Fidelity - Various Artists
"Hans E. Plattes Briefe gegen den Mainstram" heißt das Buch von Gereon Klug, in dem eine Auswahl seiner extrem unterhaltsamen Newsletter abgedruckt sind. Der Musikjournalist, Autor und Plattenladenbetreiber Klug hat nicht nur ungewöhnliche Gedankengänge und viel Humor, sondern ist auch ein Kenner der Hamburger Musikszene. Zeitgleich zum Buch erscheint heute ein Sampler, der ebenfalls Low Fidelity heisst und genau das bietet: Sympathisch schlampige und bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Erobique, Rocko Schamoni, Tocotronic, Deichkind, Die Sterne usw. exklusiv zusammengestellt von Hans E. Platte.
Die CD kommt mit dem Hinweis: "Von den Machern des Kapitalismus empfohlen!" Ich empfehle Ihnen vor allem die von Hans E. Platte bzw. Gereon Klug verfassten Liner Notes. Herrlich!
Label: Staatsakt

Blonde Redhead - Barragán
Haben mal als krachige Gitarrenband angefangen, viel rumgeschrien und stark an Punk und Sonic Youth erinnert. Lang ist es her. 20 Jahre übern Daumen gepeilt. Das Trio aus New York hat ganz allmählich seinen Sound von Album zu Album immer mehr aufgeräumt. Dann sind zunehmend elektronische Spielereien eingeflossen. Es gab immer etwas, woran sich die Fans gerieben haben. Erst recht als auf dem letzten Album Penny Sparkle Gitarren nur noch als Spurenelemente in der Düsterelektropopselters auftauchten. Aber auch das haben die Fans akzeptiert.
Immerhin ist es eine der erfolgreichsten Blonde-Redhead-Platten geworden. Jetzt also Album Nummer 9: Barragán. Es beginnt mit Vogelgezwitscher, gezupfter Akustigitarre und Querflöte! Was ist denn nun los? Danach kommt kunstvoller Indiepop mit einem Ausflug in den Krautrock. Fans werden sicher wieder was finden, woran sie sich reiben. Aber das geht ok. Blonde Redhead wollen es einem eben nicht zu leicht machen.
Label: Asawa Kuru/Kobalt

Zammuto - Anchor
Zammuto lebt mit seiner Frau und drei kleinen Kindern im ländlichen Vermont im Nordosten der USA. Das ist es schön grün und bewaldet. Im Sommer baut seine Frau Obst und Gemüse an, im Winter liegt so viel Schnee, dass es Nick Zammuto kaum zu seiner kleinen Hütte hinterm Haus schafft, in der sein voll ausgestattetes Studio untergebracht ist.
Er bastelt seltsame Musikgeräte, wie zum Beispiel einen Bassprojektor, den er auch per Video auf seiner Website erklärt. Sein Debütsoloalbum hat er per Crowdfunding finanziert, das neue auch. Nur hat er diesmal er seine Unterstützer mit ausführlichen Emails über den Entstehungsprozess der Songs am Laufenden gehalten. Und die hab ich alle mit Begeisterung gelesen, weil sie wirklich Einblick gewährt haben, in das Denken, in den kreativen Prozess, dieses außergewöhnlichen Musikers.
Dementsprechend außergewöhnlich klingt Zammutos Musik. Rhythmisch vielschichtig, stark von elektronischen Instrumenten geprägt und bei einigen Stücken von diesem knochigen Basssound, fast wie früher bei seine alten Band The Books. Bei aller Experimentierfreude klingt Anchor eigentlich gar nicht so verkopft. Denn die Melodien und Harmonien kommen aus dem Bauch. Und das macht die Platte absolut hörenswert.
Label: Temporary Residence

Dan Mastroianni - Tears And Whispers
Der Song "Just One Touch" hat mich direkt an Michael Jacksons "Another Part Of Me" erinnert. Dan Mastroiannis Album Tears and Whispers ist aber drei Jahre älter. Plagiatsvorwürfe ade! Wir haben es mit einem Original zu tun. Dan Mastroianni dürfte dennoch den Wenigsten ein Begriff sein, denn dieses Album von 1984 gab's nur in einer privaten Mini-Auflage. Das Label BBE aus England bringt es jetzt neu raus.
Soundmässig begeben wir uns in den Jurassic Park der Keyboards – 1984 noch ganz neu und aufregend. Und so kommen sie auch massiv zum Einsatz bei abenteuerlichen Harmoniefolgen und wilden Synthie-Soli, dazu treibende Funk-Music. Wenn Sie diese Platte im Kreise von Freunden auflegen, ich wette, Sie bekommen mindestens ein erstauntes: "Ey, wer is'n das?"
Label: BBE