Neue Ansichten aus New York
New York ist nicht nur eine Stadt, New York ist eine Legende. Und sie ist vermutlich die am meisten fotografierte Metropole überhaupt. Dennoch gibt es von dort immer wieder neue, überraschende Bilder, wie zwei kürzlich erschienene Bände belegen.
Paolo Pellegrin zeigt die Stadt im Gegenlicht. Auf einem Bild gehen drei Menschen in strahlendem Sonnenschein durch eine Straßenschlucht. Die Hausfassaden rechts und links liegen in tiefem Schatten, nur der Wolkenkratzer am Ende der Straße reflektiert auf einer scharf begrenzten Bahn das Sonnenlicht in die Straße hinein. Die leuchtend gelblich-braunen Strahlen der Sonne haben die Gestalten wie mit einem Laser aus dem Hintergrund herausgeschnitten. Die Stadt ist nicht hell und dunkel, die Stadt ist bei Pellegrin golden und schwarz. Auf einem anderen Bild gleißt selbst die öde Metallwand einer dreispurigen Unterführung im Licht der Autoscheinwerfer wie eine Mauer aus purem Gold.
New York ist mehr als eine Stadt. Sie ist eine Stadt-Ikone. Anders aber als beispielsweise Venedig, wo man bei Sonnenschein oder Regen die Kamera irgendwo hinhalten muss und es wird immer ein schönes Foto, entzieht sich das spektakuläre New York dem einfachen Zugriff. Der Fotograf muss aus der Fülle auswählen, muss ein Motiv finden, das die Stadt beschreibt. Zwei Fotobände sind in diesem Jahr erschienen, die versuchen, der Stadt neue Aspekte abzugewinnen. Da ist aus dem Mare-Verlag der Band mit Fotografien von Paolo Pellegrin und Stefan Pielow.
Paolo Pellegrin ist Reporter. Als Reporter misstraut Pellegrin der Oberfläche - seine Fotos enthüllen eine Vielschichtigkeit, die die Stadt sichtbar, aber nicht erklärbar macht. Seine Bilder lassen ahnen, dass zu jeder Situation, zu jeder Person Geheimnisse gehören und Geschichten. Von Stefan Pielow stammt die zweite Hälfte des Mare-Bandes. Während Pellegrin die Stadt fotografiert, wie er sie vorfindet, inszeniert Pielow ihre Bewohner. Gut ausgeleuchtet, glatt, mit geschmackvoller Oberfläche.
Auch hier der Rückgriff auf die Nähe der Stadt zum Wasser: Im Schattengeflecht, das von der Hochbahn auf den Asphalt geworfen wird, geht eine Frau mit einem Surfbrett unter dem Arm. Im nebenstehenden Text erzählt Diana Mattison, Profi-Surferin und Philosophin, wie der deutsche Fotograf sie inszenierte. Ein Mann mit weißer Kapitänsmütze, mit dunkelblauem Blazer und weißer Hose, steht in der untergehenden Sonne am Steuerruder eines Segelschiffes - Chris van Nees, das Motiv dieses fast schon klischeehaften Bildes, war jahrelang Kapitän und drei Mal Sieger im Wettbewerb "Bester Geschichtenerzähler im New Yorker Hafen". Eigentlich gibt nur diese ungewöhnliche Information dem konventionellen Foto einen Reiz. Drei Matrosen stehen im Abendlicht an einem Hafengeländer und schauen in die Kamera - ein Postkartenmotiv. Im Text daneben heißt es: "Es dauerte nicht lange, bis die ersten Touristinnen um ein Foto mit den Matrosen baten" - Männern also, die sie gar nicht kannten. Das erzählt etwas über New York.
Während Pellegrins Bilder für sich stehen und die Stadt erzählen, funktionieren Pielows sehr nahe liegende Inszenierungen - ein Freizeitsportler übt einen Luftsprung aus - nur mit der Textbegleitung. So gesehen liefert der Band, der beide Erzählweisen vereint, eine insgesamt kontraststarke Kombination von Bildern der Stadt als urbanem Konglomerat und den Porträts ihrer Bewohner.
Während der Band aus dem Mare-Verlag naheliegenderweise sich auf die Wasserseite New Yorks konzentriert, rückt die Sammlung "New York Rooftop Gardens" des französischen Fotografen Charles de Vaivre die Menschen gemachte Natur ins Bild. Wir sehen Dachanlangen, die ihre Vorbilder in den Zen-Gärten von Kyoto haben, raffiniert angelegte Wasserfälle aus Farnen, den Pergola geschmückten Innenhof, dessen Vorbild eine italienische Villa sein dürfte - und im Hintergrund einen runden, hölzernen Wassertank auf Ständern wie von einem Wild-West-Bahnhof.
De Vaivre zeigt uns die Gärten als einzelne Grünanlagen, als lauschige Exklaven über einer tobenden Großstadt. Dann sehen wir in einer Großaufnahme die Skyline von New York und dort ein Ensemble von drei oder vier Gärten, das wie eine Gartenstadt über der Mega-City liegt. De Vaivres Band dokumentiert einen unglaublichen Ideenreichtum von Designern, Garten- und Stadtliebhabern. Man kann einen Abend darin verblättern. Die Adressen, Besitzer und Designer der Gärten sind im Anhang aufgelistet - was ein wenig rätselhaft ist, denn wer neugierig ist und ein wenig Chuzpe besitzt, könnte bei seinem nächsten New York-Besuch unten klingeln und den doorman fragen, ob er nicht einmal bis ganz nach oben darf. Ob das so gemeint ist ... ?
Besprochen von Paul Stäner
Nikolaus Gelpke (Hrsg.): New York
Fotografien von Paolo Pellegrin und Stefan Pielow, mit Texten von Karl Spurzem
Mare Buchverlag, Hamburg 2011
144 Seiten, 58 Euro
Charles de Vaivre: New York Rooftop Gardens
teNeues Verlag, Kempen, 2011
216 Seiten, 49,90 Euro
New York ist mehr als eine Stadt. Sie ist eine Stadt-Ikone. Anders aber als beispielsweise Venedig, wo man bei Sonnenschein oder Regen die Kamera irgendwo hinhalten muss und es wird immer ein schönes Foto, entzieht sich das spektakuläre New York dem einfachen Zugriff. Der Fotograf muss aus der Fülle auswählen, muss ein Motiv finden, das die Stadt beschreibt. Zwei Fotobände sind in diesem Jahr erschienen, die versuchen, der Stadt neue Aspekte abzugewinnen. Da ist aus dem Mare-Verlag der Band mit Fotografien von Paolo Pellegrin und Stefan Pielow.
Paolo Pellegrin ist Reporter. Als Reporter misstraut Pellegrin der Oberfläche - seine Fotos enthüllen eine Vielschichtigkeit, die die Stadt sichtbar, aber nicht erklärbar macht. Seine Bilder lassen ahnen, dass zu jeder Situation, zu jeder Person Geheimnisse gehören und Geschichten. Von Stefan Pielow stammt die zweite Hälfte des Mare-Bandes. Während Pellegrin die Stadt fotografiert, wie er sie vorfindet, inszeniert Pielow ihre Bewohner. Gut ausgeleuchtet, glatt, mit geschmackvoller Oberfläche.
Auch hier der Rückgriff auf die Nähe der Stadt zum Wasser: Im Schattengeflecht, das von der Hochbahn auf den Asphalt geworfen wird, geht eine Frau mit einem Surfbrett unter dem Arm. Im nebenstehenden Text erzählt Diana Mattison, Profi-Surferin und Philosophin, wie der deutsche Fotograf sie inszenierte. Ein Mann mit weißer Kapitänsmütze, mit dunkelblauem Blazer und weißer Hose, steht in der untergehenden Sonne am Steuerruder eines Segelschiffes - Chris van Nees, das Motiv dieses fast schon klischeehaften Bildes, war jahrelang Kapitän und drei Mal Sieger im Wettbewerb "Bester Geschichtenerzähler im New Yorker Hafen". Eigentlich gibt nur diese ungewöhnliche Information dem konventionellen Foto einen Reiz. Drei Matrosen stehen im Abendlicht an einem Hafengeländer und schauen in die Kamera - ein Postkartenmotiv. Im Text daneben heißt es: "Es dauerte nicht lange, bis die ersten Touristinnen um ein Foto mit den Matrosen baten" - Männern also, die sie gar nicht kannten. Das erzählt etwas über New York.
Während Pellegrins Bilder für sich stehen und die Stadt erzählen, funktionieren Pielows sehr nahe liegende Inszenierungen - ein Freizeitsportler übt einen Luftsprung aus - nur mit der Textbegleitung. So gesehen liefert der Band, der beide Erzählweisen vereint, eine insgesamt kontraststarke Kombination von Bildern der Stadt als urbanem Konglomerat und den Porträts ihrer Bewohner.
Während der Band aus dem Mare-Verlag naheliegenderweise sich auf die Wasserseite New Yorks konzentriert, rückt die Sammlung "New York Rooftop Gardens" des französischen Fotografen Charles de Vaivre die Menschen gemachte Natur ins Bild. Wir sehen Dachanlangen, die ihre Vorbilder in den Zen-Gärten von Kyoto haben, raffiniert angelegte Wasserfälle aus Farnen, den Pergola geschmückten Innenhof, dessen Vorbild eine italienische Villa sein dürfte - und im Hintergrund einen runden, hölzernen Wassertank auf Ständern wie von einem Wild-West-Bahnhof.
De Vaivre zeigt uns die Gärten als einzelne Grünanlagen, als lauschige Exklaven über einer tobenden Großstadt. Dann sehen wir in einer Großaufnahme die Skyline von New York und dort ein Ensemble von drei oder vier Gärten, das wie eine Gartenstadt über der Mega-City liegt. De Vaivres Band dokumentiert einen unglaublichen Ideenreichtum von Designern, Garten- und Stadtliebhabern. Man kann einen Abend darin verblättern. Die Adressen, Besitzer und Designer der Gärten sind im Anhang aufgelistet - was ein wenig rätselhaft ist, denn wer neugierig ist und ein wenig Chuzpe besitzt, könnte bei seinem nächsten New York-Besuch unten klingeln und den doorman fragen, ob er nicht einmal bis ganz nach oben darf. Ob das so gemeint ist ... ?
Besprochen von Paul Stäner
Nikolaus Gelpke (Hrsg.): New York
Fotografien von Paolo Pellegrin und Stefan Pielow, mit Texten von Karl Spurzem
Mare Buchverlag, Hamburg 2011
144 Seiten, 58 Euro
Charles de Vaivre: New York Rooftop Gardens
teNeues Verlag, Kempen, 2011
216 Seiten, 49,90 Euro