Improvisierte Computermusik
Computer sind heute von vielen Live-Bühnen nicht mehr wegzudenken. Allerdings blieb bislang kein Raum für spontane Ideen und Interaktionen mit der Maschine. Jetzt gibt es mit der App "Senode" eine Kompositionssoftware, mit der sich improvisieren lässt.
"Zum Beispiel spiel ich einen Akkord – das heißt, ich kann diesen Akkord jetzt aufnehmen und habe einen Kreis auf meiner grafischen Oberfläche, die diesen Akkord darstellt.
Jetzt kann ich einen zweiten Akkord spielen und diesen ebenfalls aufnehmen: Dann haben wir zwei Kreise, die haben einen Pfeil dazwischen, und der Trommler kann jetzt immer von dem einen Akkord zum nächsten springen."
Und bei acht Akkorden wird das schon recht kompliziert...
Sebastian Arnold ist Schlagzeuger, kommt vom experimentellen Jazz und stand dort irgendwann vor der Frage: Wie schaffe ich es auf der Bühne, allein komplexe Improvisations-Musik mit weiteren Instrumenten zu spielen, obwohl ich nur mein Schlagzeug bediene?
Nicht loopen - spielen!
Natürlich griff er dafür in die große Kiste der elektronischen Helferlein, die Musikcomputer heute liefern. Und auch Arnold entdeckte, was vielen echten Musikern zu schaffen macht – dass nämlich die modernen Musikprogramme ihm zwar starke Tools in die Hand gaben, die für ihn als Musiker bereits viele Probleme lösten, aber der Computer dabei überhand nahm. Das Musizieren im ursprünglichen Sinne blieb dabei auf der Strecke.
"Ich wollte eine musikalische Umgebung schaffen, in der ich selbst mehrere Instrumente gleichzeitig spielen kann."
Spielen! – nicht abspulen, wie das mit Loops seit einiger Zeit auf der Bühne gern gemacht wird. Also fing er an, diese Umgebung selbst zusammenzubasteln.
"Mit tausend Kabeln, die dann am Ende sehr wenig Regeln abbilden konnten, das heißt: Ich musste für jeden Song irgendwie neue Kabel ziehen oder neue Computerprogramme starten..."
Und während er durch Jazzclubs, Galerien, über Festivals tingelte, kam er auf die Idee, einen so genannten "Zustandsautomaten" zu bauen: Dieses mathematische Modell wird auch in Wasserpumpen oder Fahrscheinautomaten eingesetzt und gibt darüber Auskunft, wann von einem Zustand in einen anderen gewechselt werden muss.
Bei "Senode" sind diese Zustände schlichte Kreise auf der Grafikoberfläche der App, die eine Komposition darstellen, die der Schlagzeuger dann beeinflussen kann. Denn tatsächlich funktioniert "Senode" überaus simpel: Auf einer Tastatur unten auf dem Bildschirm kann er Noten oder Akkorde einspielen, die werden darüber dann jeweils als Kreise abgebildet; mit Pfeilen zwischen den Kreisen gibt er die Richtung an, in der diese Noten nacheinander abgerufen werden. Mit einem MIDI-Keyboard oder eben dem Schlagzeug kann Arnold dann auslösen, wann und in welchem Tempo "Senode" diese Sequenzen abspielt. Der Clou aber ist nun, dass die Pfeile auch in verschiedene Richtungen zeigen können, womit der Computer dann selbst entscheidet, welchen Schritt er als nächsten vollzieht.
"'Senode' gibt mir die Impulse, ich reagiere darauf, und darauf wiederum reagiert 'Senode' – das heißt, wir können da wirklich in einen Dialog treten..."
Und so entstehen aus den ganz einfachen Kompositionen sehr komplexe Abläufe, die an das Konzept der Minimal Music aus den Sechzigern und Siebzigern erinnern.
Kompositionssoftware wie "Senode", mit der sich live auf der Bühne dynamisch interagieren lässt, hat es in dieser Form bislang noch nicht gegeben. Allerdings richtet sich die App nicht an die Fans monströser Klangteppiche, sondern an Freunde des handwerklichen Musizierens. Von diesen gibt es im Internet auch bereits viel Lob: Denn anscheinend hat der Entwickler ein Problem gelöst, das sich Praktikern stellt, indem er die Verschmelzung von Schlagzeug und Synthesizer perfektioniert hat.
App in der Freizeit entwickelt
Und er findet es selbst ein bisschen kurios, dass das auch beim Publikum so gut ankommt.
"Mit der Zeit über die Jahre hat sich natürlich auch der Sound verändert, die Leute haben angefangen zu tanzen, wenn es rhythmisch wurde, die Interaktion zwischen mir und der Maschine und dem Publikum und mir ist also irgendwie sehr lebendig geworden."
In den nächsten Wochen soll die iPad-Version von "Senode" in Apple's App-Store erscheinen, andere Plattformen sollen folgen – irgendwann.
"Ich entwickle 'Senode' in meiner Freizeit, und die ist meistens sehr spärlich, das heißt: Ich schaufle mir immer mal wieder ne Woche frei, in der ich daran entwickeln kann..."
Im Hauptberuf promoviert Sebastian Arnold nämlich gerade in Computerlinguistik über neuronale Netze, die geschriebene Sprache verstehen. Aber sein Ziel ist ja auch nicht das große kommerzielle Musikprogramm: Dafür ist das Interesse viel zu speziell, sagt er selbst. "Senode" ist eine App für Tüftler, wie Arnold einer ist, die immer wieder neu Musik erforschen wollen.
"Was möglich ist musikalisch abseits von Viertvierteltakt und 120 Beats die Minute und immer wieder festen Patterns, sondern einfach mal frei mit Tönen zu arbeiten und dieses Konzept der Minimal Music auch einfach mal zu erleben, weil man es ja anfassen kann und auch sieht, was hier passiert."