Neue Arbeitsfelder

Alte Schafwolle für neue Pflanzen

Ein Schaf blickt in die Kamera.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Schafbestand in Deutschland um 40 Prozent reduziert. © dpa picture alliance/ Nicolas Armer
Von Ernst-Ludwig von Aster |
Der Schafbestand schrumpft, aber die Schäfer werden die Wolle trotzdem nicht los. In Berlin wird mit neuen Absatzmärkten experimentiert. Zum Beispiel mit einer Matte für den Pflanzenanbau. Und auch als Gärtner in der Großstadt scheinen Schafe sich zu eignen.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Schafbestand in Deutschland um 40 Prozent reduziert. Heute grasen nur noch rund 1,6 Millionen Tiere auf Wiesen und Deichen. Und dennoch wissen viele Schäfer nicht mehr, wohin mit der Wolle. Der Rohstoff findet in der Bekleidungsindustrie kaum noch Abnehmer, wird allenfalls als Dämmstoff und Düngerzusatz verwendet.
"Ja, das ist das Quartier." Christoph von Canstein läuft über das Dach, lässt den Blick über eine Grünfläche schweifen. Auf Kirchturmhöhe breiten sich Pflanzen aus, dicht an dicht. Oben, auf einem Einkaufszentrum. Im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg.
"Hier haben wir eine Fläche von ca. 800 Quadratmeter, intensiver Bewuchs mit Vinca und sehr verunkrautet, ist Immergrün auf Deutsch. Wir haben bis vor drei Jahren immer alles mit der Hand rausgerissen, ist natürlich immer sehr arbeitsaufwändig."
Für den studierten Gärtner von Canstein. Und seine Kollegin. Dachbegrünungen liegen im Trend. Sie sind gut für das Stadtklima. Und sparen Bauherren ein Teil der Abwassergebühren.
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Satt und zufrieden nach der Grünpflege (Foto v. Aster).© Ernst Ludwig von Aster

Shropshire Schaf - der perfekte Gartenbaugehilfe

Aber auch Pflanzen auf dem Dach müssen regelmäßig gepflegt werden. Um Wildwuchs einzudämmen.
"Meine Kollegin saß hier bei 30 Grad und sagte dann auf einmal; 'Ich komme mir vor, wie ein Schaf.' Und dann hat es bei mir Klick gemacht. Und ich sagte, wieso eigentlich nicht Schafe hier einsetzen, die können das doch viel besser als wir, das Unkraut rauszupfen."
Und seitdem muss die Kollegin nicht mehr schwitzen. Drei Schafe erledigen den Job. Eines trinkt gerade unter einem kleinen Überdach, das zweite zupft hinten links auf der Grünfläche, das Dritte liegt entspannt wiederkäuend in der Mitte. Die Tiere sind Spezialisten. Mit einem selektiven Appetit:
"Diese Shropshire Schafe, die kommen aus England und werden vor allem in Weihnachtsbaumkulturen eingesetzt, schon länger, die Weihnachtsbäume, Fichten und Tannen verbeißen sie nicht. Sondern fressen nur das Unkraut unten drunter."
Der perfekte Gartenbaugehilfe. Ein altenglisches Nutzschaf. Das sich nur von Unkräutern ernährt. Doch bis zum ersten Einsatz auf dem Dach musste von Canstein erst einmal Überzeugungsarbeit leisten.
"Und dann habe ich recherchiert und habe beim Schafverband angerufen, in Brandenburg und in Deutschland. Und alle haben erstmal gesagt, die Idee ist zu schräg, machen wir nicht. Keiner war bereit, was mit dieser Idee anzufangen. Und dann kam ich auf den Karl-Heinz-Freitag aus Wandlitz. Und der sagte direkt ja."
Schäfer Freitag züchtet Shropshire-Schafe. Seine Tiere sorgen sonst in Tannenbaumkulturen und unter großen Solarfeldern für ordentlichen Bewuchs. Das neue Arbeitsfeld auf dem Dach aber stellte ungleich höhere Anforderungen als der bodennahe Einsatz. An den Menschen jedenfalls.

Feuerwehr und Bauamt haben den tierischen Einsatz genehmigt

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Grünpflegeeinsatz auf einem Dach in Berlin- Prenzlauer Berg © Ernst-Ludwig von Aster
Von Canstein musste erst einmal einen Bauantrag stellen, um das Dach umzunutzen. Dann brauchte er auch noch das Einverständnis der Feuerwehr.
"Und der Feuerwehrmann, der sagte auf gut Berlinerisch: 'Ist mir alles scheißegal, was mit den Schafen passiert, die Menschen gehen zuerst.' Dann hat er mir was Schriftliches ausgefüllt. Dass die Schafe von der Berliner Feuerwehr aus auf den Dächern grasen dürfen. Und damit bin ich dann zum Bauamt wieder gegangen, das haben die registriert. Und dann haben sie das ok gegeben."
Und damit war der Weg frei. Für den Schafeinsatz. Alle paar Wochen reisen die drei Shropshire-Damen jetzt in die Hauptstadt. Per Fahrstuhl geht es dann aufs Dach. Zur Gartenpflege. Für den Schäfer ein willkommener Zuverdienst.

Diese Dienstleistung Unkrautbekämpfung ist ein ganz neuer Aspekt, sagt er. Aber das lohnt sich. Der Schäfer sagte mir, Wolle wäre fast ein Abfallprodukt, er muss zuzahlen, wenn er die schert, er kann mit der Wolle nix anfangen. Das ist schade.

Schafwoll-Kokosfasermatte - die Zukunft der Dachbegrünung?

Mit der Wolle etwas anfangen, kann auf jeden Fall Susanne Herfort. Die Ingenieurin kommt gerade über den Campus Mitte der Humboldt-Uni. In der Hand ein waschlappengroßes, braunes Textilstück.
Das ist eine Schafwoll-Kokosfasermatte. Das ist das Produkt, das wir in der Zukunft einsetzen wollen für Dachbegrünungszwecke, Böschungsbegrünungen und Brachflächen.
Am Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte entwickeln Herfort und ihre Kollegen neue Produkte für den Garten- und Landschaftsbau. Mit der Schafwolle beschäftigen sie sich schon seit Jahren:
"Mal gucken, was drin ist, in dieser Schafwolle: Viel Stickstoff, viel Kalium, also wirklich wunderbar pflanzenphysiologische Nährstoffe, also Nährstoffe. Und die können wir doch für Pflanzen verwenden, das war unser Gedanke."
Schafwolle als Wuchshilfe. Kombiniert mit Kokosfaser. Beides zusammennähen. Fertig ist eine Vegetationsmatte. Als Untergrund für den Pflanzenanbau.

Schafwolle speichert wunderbar Wasser

"Ein Gartenbaubetrieb bekommt diese Matte und dann setzt der da diese Pflanzen ein und dann muss der die über ein halbes Jahr ungefähr vorkultivieren. So dass man wie einen fertigen Rollrasen diese fertige Matte bekommt und die dann gleich auslegen kann aufs Dach oder auf die Böschung und dann hat man gleich alles grün."
Und es funktioniert. Eine dünne Vegetationsmatte, für extensive Begrünung mit Sedum-Gewächsen, ist auf einem Campus-Flachdach schon seit Jahren im Einsatz. Alte Schafwolle für neue Pflanzen – der Ansatz interessierte auch das Ministerium für Wirtschaft- und Technologie: Zwei Jahre förderte es die Weiterentwicklung zu einem – Zitat - "ökoeffizienten multifunktionalen Vegetationsträger auf der Basis von Schafrohwolle." Susanne Herfort ist mit dem Ergebnis zufrieden:
"Weil eben die Schafwolle ja auch wunderbar Wasser speichert. Im Sommer 2017 hatten wir ja so viel Regen in Berlin, wir mussten nicht einmal die Matten zusätzlich wässern, von Mai bis September nicht ein einziges Mal. Und die Pflanzen blühen wie verrückt und haben sich vermehrt, das ist sehr, sehr schön."
Zurzeit sucht Herfort noch nach der optimalen Bewuchsmischung. Wenn dann die erste dicke Vegetationsmatte ausgerollt wird, schließt sich der grüne Schafwollkreislauf. Auf dem Dach.
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