Taugen Schulen als Integrationsagenturen?
Die Schulen nehmen derzeit viele Flüchtlingskinder auf. Was geschieht, wenn der normale Förderunterricht künftig ausfällt, weil der Deutschunterricht für Flüchtlinge vorgeht? Es ist ein neuer Wettbewerb um Bedürftigkeit mit ungewissem Ausgang ausgebrochen.
Gegenwärtig kommen so viele Flüchtlingskinder in die Schulen, dass kein Land wagt, Zahlen zu nennen oder gar über die künftige Integration nachzudenken. Alle sind damit beschäftigt, den Schulalltag zu bewältigen, der für Flüchtlingskinder spätestens nach sechs Monaten beginnt.
In den ersten drei oder sechs Monaten ist die Schulpflicht ausgesetzt. Das ist insofern sinnvoll, als Flüchtlinge und deren Familien keine Residenzpflicht haben, also von Bundesland zu Bundesland hin- und hergeschoben werden können.
Erschwert wird die Lage dadurch, dass die Schulpflicht in den Ländern unterschiedlich geregelt ist. In den meisten Ländern endet sie mit 17 Jahren.
Das sonst nicht für seine reformerische Vorreiterrolle bekannte Bayern hat aus der Erfahrung mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gelernt. Dort können Flüchtlinge jetzt bis zum Alter von 25 Jahren eine Schule besuchen. Andernorts reden sich junge Flüchtlinge zwischen 17 und 20 Jahren damit heraus, ihren Pass verloren zu haben, um sich Zugang zur Schule zu verschaffen.
Den Schulen drohen jede Menge Konflikte
Auf die Schulen kommen viele Konflikte zu. Sie sollen Schüler mit unterschiedlichem Bildungshintergrund auf möglichst einen Leistungsstand bringen, Behinderte und Migrantenkinder integrieren. Schon dafür bräuchten sie mehr Lehrer als bisher vorgesehen. Zwar haben die Länder inzwischen Nachtragshaushalte verabschiedet, aber mit mehr Dauerstellen ist nicht zu rechnen. Vielmehr werden pensionierte Deutschlehrer wieder aktiviert oder andere Fachlehrer auf die Schnelle nachqualifiziert.
Obwohl seit Jahren von der Notwendigkeit des Deutschlernens die Rede ist, gibt es noch immer kaum ein Land, das Lehrern in ihrer Ausbildung eine Zusatzqualifikation in Deutsch als Fremdsprache, kurz DaZ, vermittelt. Jetzt werden Hunderte von Lehrern mit Grundkenntnissen vertraut gemacht, ganz gleich, ob sie eigentlich Sport- oder Mathematiklehrer sind.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, hat den Vorschlag gemacht, arbeitslose Deutschlehrer für DaZ nachzuqualifizieren und sie für Vorbereitungs- und Flüchtlingsklassen einzusetzen. Sie könnten mit Jahresverträgen entlohnt werden und sich nach erfolgreichem Abschluss mehrerer Aufträge einen Bonus für eine künftige Anstellung verdienen.
Der Bildungshunger der Flüchtlingskinder könnte ansteckend sein
Doch was geschieht, wenn der normale Förderunterricht künftig ausfällt, weil der Deutschunterricht für Flüchtlinge vorgeht? Denn es ist ein neuer Wettbewerb um Bedürftigkeit mit ungewissem Ausgang ausgebrochen.
In den Vorbereitungs- oder Willkommensklassen treffen Schüler, die in Syrien ein Gymnasium besucht haben, im Idealfall fließend Englisch können, auf Schüler, die nur arabische Schriftzeichen beherrschen. Vor allem die Syrer haben fast durchgängig ein höheres Bildungsniveau. Insgesamt berichten die Lehrer aus Willkommensklassen von hochmotivierten Schülern. Im besten Fall könnte der Bildungshunger manchen Flüchtlingskindes auf deutsche Kinder ansteckend wirken.
Die ehrgeizige Planung, bei geflüchteten Jugendlichen zwischen 17 und 21 Jahren auf ein Jahr Sprachvorbereitung schon das Berufsvorbereitungsjahr an einer Berufsschule folgen zu lassen, dürfte allerdings nur selten aufgehen. Wer vorher noch nie eine Schule besucht hat, wird mit einem Jahr Deutschvorbereitung nicht imstande sein, sich in der Arbeitswelt mit einem spezifischen Fachwortschatz zurechtzufinden. Hinzu kommt, dass manche muslimische Jugendliche schon in den Jugendämtern Mitarbeiterinnen ablehnen, dasselbe gilt für Lehrerinnen.
Die Schulen stehen vor einer Herkulesaufgabe. Da zählen die lauthals beklagte Belegung der Turnhallen durch Flüchtlinge und der ausfallende Sportunterricht bei ungünstiger Witterung schon zu den kleineren Problemen.
Heike Schmoll, geb. 1962, hat Germanistik und Evangelische Theologie studiert. Anschließend arbeitete sie beim Südwest-Fernsehen in Baden-Baden. Seit 1989 Redakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort ist sie verantwortlich für die Seite "Bildungswelten" und die bildungspolitische Berichterstattung. Heike Schmoll wurde mit dem "Deutschen Sprachpreis" 2005 ausgezeichnet.