Vom 8. bis 12. Oktober findet in Berlin der Weltkongress für Psychiatrie statt. Ein Schwerpunkt wird der Zusammenhang zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen sein. Experten, Betroffene und Angehörige kommen zu Wort.
Warum Körper und Geist zusammengehören
Körper und Geist - lange haben Ärzte beides getrennt behandelt. Doch in der modernen Medizin hat ein Umdenken begonnen. Gut so, findet der Psychiater Arno Deister. Denn eine Trennung sei nicht logisch - so wie der Mensch aufgebaut sei.
Katrin Heise: Wir wissen doch eigentlich, dass viele Redensarten auf frühe Erkenntnisse und Beobachtungen zurückgehen. Im Falle des gebrochenen Herzens ist damit ja gemeint, dass Traurigkeit, Unglück uns wirklich körperlich krank machen können. Jetzt war in der modernen Medizin, die ja tatsächlich viele spektakuläre Errungenschaften getätigt hat, da doch eher die Vorgehensweise, dass Körper und Seele weitgehend auseinanderdividiert werden. Neueste Erkenntnisse aber lassen Mediziner umdenken.
In den nächsten Tagen findet in Berlin der Weltkongress für Psychiatrie statt, und da will man ganz dezidiert sich um die Zusammenhänge körperlicher und seelischer Erkrankungen kümmern, also um Wechselwirkung beispielsweise von Gemütszustand und etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jetzt begrüße ich im Studio Arno Deister, er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Schönen guten Morgen!
Arno Deister: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Hat die Medizin denn inzwischen Nachweise für diesen Zusammenhang, also, dass man sich dem jetzt dann doch offener zeigt?
Alles hängt eng miteinander zusammen
Deister: Ja, also, da tut sich eine ganze Menge im Moment. Das Thema ist ja eigentlich schon uralt, schon vor 2000 Jahren hat man gesagt, es ist doch eigentlich falsch, dass es Ärzte gibt für die Seele und Ärzte für den Körper, beides hat miteinander zu tun. Nur, heute ist es ja so, dass wir zunehmend mehr Befunde haben, auch Zahlen haben, Untersuchungen haben, die das bestätigen, dass also wir schon sehen können, dass zum Beispiel eine Depression für eine Herzerkrankung oder für ein Diabetes ein ähnlich hohes Risiko darstellen kann wie andere Faktoren, die wir schon lange kennen wie die Ernährung oder wie Bewegung. Und dass das alles eng miteinander zusammenhängt, dafür gibt es neue Zahlen, neue Studien, die auch große Gruppen von Menschen untersucht haben. Und das ist schon sehr, sehr spannend, was sich da ergibt.
Heise: Wenn es jetzt aber heißt, 15 Prozent beispielsweise – eine Zahl, habe ich gelesen – der Menschen, die an Herzerkrankung sterben, waren depressiv, weiß man denn dann, ob die Depression von der Herzerkrankung kommt oder umgekehrt eine Depression die Herzerkrankung begünstigt?
Deister: Na ja, das ist natürlich schwer zu sagen, das liegt aber genau an diesem Zusammenhang. Denn eigentlich ist die Frage, was ist Henne und was ist Ei, ja auch gar nicht vielleicht so richtig gestellt. Denn es ist in uns ja alles wirklich eng miteinander verbunden, das sind einfach Wechselwirkungen – und auch das erleben wir heute –, die in beide Richtungen gehen. Man kann das gar nicht so genau unterscheiden.
Die alte Diskussion war immer, was ist erst da gewesen, was ist die Folge. Heute lernen wir, weil wir auch untersuchen können, was im Gehirn passiert, dass es eigentlich eng miteinander verbunden ist. Denn eigentlich muss man sagen: Es wäre extrem unwahrscheinlich, wenn es nicht miteinander verbunden wäre. Also, die Überlegung, eine Depression und ein Herzproblem oder so etwas, dass das getrennt ist, das ist eigentlich gar nicht logisch im Menschen, so wie er aufgebaut ist.
Heise: Wie ist denn die Wechselwirkung?
Deister: Also, einmal natürlich, wer eine chronische körperliche Erkrankung hat, der wird natürlich auch darauf reagieren, und er wird zum Beispiel depressiv reagieren. Und das kann nicht nur eine Traurigkeit sein, sondern das kann eine echte Erkrankung werden. Aber umgekehrt wissen wir, nehme ich mal das Beispiel Depression, dass eine Depression extrem eingreift in den Stoffwechsel des Menschen und den ganzen Menschen betrifft.
"Depression" übertragen würde ja bedeuten so das deutsche Wort "niedergeschlagen". Alles ist runtergedrückt. Und das gilt natürlich auch für Hormone, für Überträgerstoffe im Gehirn, für Stresshormone. Depression ist ein reiner Stress, wer eine depressive Erkrankung hat, steht unter Dauerstress. Und das wirkt sich auf die Gefäße aus, die Blutgefäße verändern sich. Und dann habe ich wiederum das Risiko für eine Herzerkrankung.
Heise: Das leuchtet dann ein. Wie Sie das erklärt haben, leuchtet das direkt ein. Wie ist der Zusammenhang zwischen Diabetes und Depression? Ich glaube, den haben Sie auch erwähnt.
Stress verändert körperliche Funktionen
Deister: Na ja, auch das ist so … Diabetes ist ja auch eine Erkrankung, die sehr massiv eingreift in den Stoffwechsel des Menschen. Und wir wissen inzwischen zunehmend mehr darüber, wo eben diese Schnittstellen sind, was am Diabetes passiert. Das ist vielleicht nicht so ganz direkt einleuchtend wie bei einer Herzerkrankung, aber ich glaube, das wissen die meisten Menschen: Wenn man sehr stark unter Stress steht, dann verändern sich viele körperliche Funktionen. Und der Blutzucker zum Beispiel ist etwas, was ja auch reagieren soll und reagieren muss. Ein höherer Blutzucker bringt ja auch einen Menschen in eine bessere Leistungssituation. Wenn ich denken will, wenn ich aber auch ganz simple Dinge machen will, mich bewegen will, dann brauche ich einen höheren Blutzucker. Und diese Beeinflussung läuft ganz stark über die Psyche. Und das hat natürlich sehr viel auch mit der Entstehung des Menschen zu tun.
Wenn Sie mal viele zehntausend Jahre zurückdenken, als sich der moderne Mensch entwickelt hat, in der afrikanischen Steppe, wenn man da in einer gefährlichen Situation war, musste man seinen Stoffwechsel hochfahren, um weglaufen zu können. Und die, die weglaufen konnten, die, die Angst hatten, die waren in einem Vorteil, die haben überlebt, die anderen nicht. Und da sehen Sie diese ganz engen Zusammenhänge zwischen Blutzucker, zwischen Blutdruck, all diesen Dingen.
Heise: Sie sagen also, die ganzen neuen Erkenntnisse gehen eigentlich in die Richtung, dass man diese Zusammenhänge jetzt sieht und auch untersucht. Was heißt das für die Behandlungsmethoden? Wie kann man die neuen Erkenntnisse dort einbinden?
Deister: Das hat natürlich ganz massive Einflüsse auf die Behandlung, aus verschiedenen Gründen. Es hat zum Beispiel erst mal auch Einwirkungen auf die Prävention, das wäre natürlich das Interessanteste: Was kann man eigentlich tun, damit so eine Erkrankung gar nicht auftritt? Und das ist wie in der Medizin ja fast immer so, es ist auch in Psychiatrie und in der Psychotherapie: Je früher ich etwas erkenne und je früher ich weiß, dass es ein Problem ist, desto früher kann ich behandeln. Und wenn ich früh behandeln kann, dann kann ich natürlich auch Spätfolgen vermeiden.
Heise: Heißt das konkret, dass auch der Facharzt für Herzangelegenheiten anders hinguckt auf die Verfassung der Seele?
Deister: Ja. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt und auch ein ganz wesentliches Thema zum Beispiel bei dem Kongress: Wir werden dort Veranstaltungen haben, die sind primär für Hausärzte. Auch in unserer Fachgesellschaft gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich intensiv mit Hausärzten befassen und die versuchen, hier doch etwas zusammenzubringen. Das heißt, wenn jemand zum Hausarzt kommt …
Heise: Denn das ist der erste Ansprechpartner…
Deister: Genau. Wenn er zum Hausarzt kommt und depressive Symptome schildert, dann muss der aufmerksam werden. Und dann muss er nicht nur über die Depression nachdenken, sondern den Patienten auch befragen, ihm Hinweise geben. Da geht es um Bewegung, da geht es natürlich um Ernährung, aber da geht es noch mehr um das psychische Gleichgewicht, wo sind meine Stärken, wo sind meine Schwächen. Da kann er ganz viel tun.
Heise: Aber da kann ich mir auch vorstellen, dass Patienten dann auch sehr viel umdenken müssen. Viele Patienten wollen dann natürlich vielleicht aber auch tatsächlich … Mensch, ich habe doch da ein Problem mit dem Herzen, da will ich da behandelt werden, warum fragt der mich die ganze Zeit, wie es mir geht?
Deister: Und das Wichtigste ist, dass man das auch als Problem wahrnimmt, als medizinisches Problem, und nicht so die Idee hat: Wenn ich jetzt gefragt werde nach so einer seelischen Seite, dann meint der Arzt, der mir gegenübersitzt, das ist Einbildung, das ist gar nicht real, oder ganz schlimm, ich bin verrückt, der will mir doch nicht sagen, dass ich verrückt bin! Nein, darum geht es überhaupt nicht, der will einfach erfassen, dass beides zusammengehört, die seelische und die körperliche Seite, dass man beides betrachten muss, weil … Das gehört so zum Menschen.
Psychische Erkrankungen sind Volkserkrankungen
Heise: Wie weit ist denn da die Zunft eigentlich schon? Denn das, was Sie gerade angesprochen haben, die Angst, der nimmt mich ja nicht ernst, bilde ich mir das wohl nur ein, glaubt der das, die kommt ja auch nicht von ungefähr. Weil, ich meine, Sie sind … oder der Verein, dem Sie vorstehen, die Gesellschaft, da geht es auch um Psychosomatik. Sie sind Chefarzt noch eines Zentrums für psychosoziale Medizin, also, Sie sind damit ganz eng. Aber das geht ja nicht jedem so.
Deister: Nein. Ich bin Arzt und auch Ärzte müssen sich eben mit diesem Bereich beschäftigen, auch Psychologen beschäftigen sich, da haben wir auch diese Verbindung. Nein, das Problem ist ja überhaupt, dass wir ganz große Schwierigkeiten haben, seelische Probleme genauso ernst zu nehmen wie einen Beinbruch, weil wir vielleicht das auch oft nicht – im wahrsten Sinne des Wortes – richtig begreifen können.
Von einem Beinbruch kann ich ein Röntgenbild sehen, wenn ich ein internistisches Problem habe, habe ich einen Laborbefund, der erhöht ist. Aber wir müssen genauso auf unsere Psyche achten. Und das liegt auch tief in uns drin, dass wir denken: Die Psyche wird schon funktionieren! Das tut sie auch zum Glück meistens, aber nicht immer. Und psychische Erkrankungen sind einfach Volkserkrankungen, das sind die häufigsten Erkrankungen des Menschen.
Heise: Jetzt treffen sich aber am Wochenende beispielsweise wieder Menschen oder Fachleute genau aus dem Bereich! Eigentlich müssten Sie ja ganz viele Herzspezialisten …
Deister: Es kommen viele andere auch dazu. Und worauf wir ein bisschen stolz sind, es ist eben ein Kongress, wo nicht nur die Meinung von Profis gehört wird, sondern wir haben auch die Betroffenen dabei, eine ganz große Gruppe in vielen Themen. Das ist in unserem Fach auch so üblich, es sind die Angehörigen da. Nein, der Austausch auch zwischen den medizinischen Disziplinen ist ganz intensiv, und wir werden uns im nächsten Jahr ganz schwerpunktmäßig mit dem Thema Prävention und Früherkennung befassen.
Dazu wird natürlich gehören, dass man mit Hausärzten redet, vielleicht auch so etwas wie, ich sage jetzt mal, Erste-Hilfe-Kurse für die Psyche. Warum lernen wir eigentlich nur, was wir tun, wenn jemand sich verletzt hat? Wir könnten ja auch etwas lernen – alle, möglichst viele Menschen –, was wir tun können, wenn jemand ein psychisches Problem hat. Dass wir nicht weglaufen, wenn jemand sagt, ich bin ganz depressiv. Das macht uns ja auch leicht ein bisschen Angst, aber wir können auch was tun.
Heise: Aber die Aufmerksamkeit hat sich schon erhöht, das nehmen Sie schon wahr?
Deister: Also, die Aufmerksamkeit hat sich ganz deutlich erhöht. Da haben ganz viel auch die Medien zu beigetragen, es wird ganz viel darüber geredet.
Heise: Vielen Dank für den Besuch hier, Professor Arno Deister, über den Zusammenhang zwischen Gemütszustand und Krankheiten, anlässlich eines großen Kongresses, der jetzt hier am Wochenende in Berlin stattfindet!
Deister: Ja, herzlichen Dank für Ihr Interesse!
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