Neue Bibliothek für Flüchtlinge in Berlin-Tempelhof

Bücher in der Notunterkunft

Der aus Afghanistan geflohene Seyed sitzt in Berlin im Hangar eins des ehemaligen Flughafens Tempelhof in der neu eröffneten, "Asylothek" genannten Bibliothek und zeichnet ein Porträt.
Der aus Afghanistan geflohene Seyed ist einer der ersten Besucher der "Asylothek" in Berlin-Tempelhof. © dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Claudia van Laak |
Wer nach Deutschland flieht, hat selten Literatur im Gepäck. Deswegen haben ehrenamtliche Helfer angefangen, Bibliotheken in Flüchtlingsunterkünften einzurichten. Jetzt wurde die 50. sogenannte "Asylothek" eröffnet - in Berlin, im ehemaligen Flughafen Tempelhof.
Die "Displaced Ideas Crew" aus Syrien steht auf einer improvisierten Bühne, vor den drei Sängern: ausgediente Plüsch-Sofas; auf den Tischen Sirup-triefendes Baklava-Gebäck, an den Wänden Bücherregale. Willkommen im Tempelhof-Café mit Asylothek - ein Begegnungsort für Berliner und Flüchtlinge aus der Notunterkunft am ehemaligen Flughafen. 1700 Menschen leben derzeit hier.
Wer bei "Bibliothek" an Stille und eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre denkt, der ist hier falsch. Lautstark wird auf Arabisch, Englisch, Deutsch, Farsi und Dari gesungen, gelacht, geredet.
"Ich finde das auch gar nicht so verkehrt, ja, sich zu öffnen und mal zu sehen, wie wird in anderen Ländern mit Büchern oder mit Literatur umgegangen. Es gibt ja eine ganz starke Tradition in arabischen Ländern, sich mit Erzählen zu beschäftigen, und da geht es garantiert etwas lauter zu",
sagt Suzanne Visentini, Initiatorin der Asylothek in Berlin. Sie arbeitet als Lizenzmanagerin in einem großen Wissenschaftsverlag. In ihrer Freizeit hat sie mit anderen die Bibliothek in der Flüchtlingsunterkunft aufgebaut: Möbel besorgt, den Raum eingerichtet, Bücherspenden eingesammelt, sortiert und katalogisiert.

Dringend gesucht: Bücher auf Farsi

"Grzimeks Tierleben in zehn Bänden" steht nun einträchtig neben dem großen "Buch der Evolution" und dem Fotoband "Alleen in Brandenburg." In der Farsi-Abteilung: Gedichte des persischen Mystikers Hafis und Khaled Hosseinis "Drachenläufer". Leider nur 40 Bücher auf Farsi für 400 afghanische und iranische Flüchtlinge. Mit der Literatur auf Arabisch sieht es ein bisschen besser aus - aber eben nur ein bisschen.
"Was ganz ganz dringend gebraucht wird, ist eben Originalliteratur zum Beispiel auf Arabisch. Da können wir gar nicht genug haben bei 1750 Bewohnern hier im Moment. Die sind nicht alle arabisch-sprachig, aber das Gros. Insofern brauchen wir immer wieder neue Literatur in diesen Muttersprachen. Da unsere Erfahrung aus den anderen Asylotheken auch ist, dass das Deutschlernen nicht ganz so schnell geht - und viele doch eher frustriert sind, wenn sie nur Angebote auf Deutsch vorfinden."
Die Idee der Asylothek stammt aus Nürnberg - von Günter Reichert. Der Architekt hat vor vier Jahren die erste Bibliothek in einer Asylbewerberunterkunft aufgebaut.

"Ohne Bildung kann es nicht gehen"

"Das war ein sauber gepflegtes Heim und zwei Mal in der Woche hat der Hausmeister Essenspakete ausgeteilt. Das war es. Es gab keinen Sozialdienst, keine Bildungsangebote, gar nichts. Und da habe ich gesagt, das kann es nicht sein. Also ohne Bildung und ohne Vermittlung unseres Wertesystems, kulturell, sozial, gesellschaftlich, kann das nicht gehen. Denn wir erwarten von den nach Deutschland Eingewanderten, dass die sich nach unserem System bewegen, aber keiner bringt es ihnen bei."
Vor dem Regal mit der arabischen Belletristik steht ein älterer Mann, blättert versunken in den Büchern. In Syrien musste ich alle meine Bücher verkaufen, erzählt Ali Kami-ran, der vor zwei Monaten nach Deutschland gekommen ist. Er mag Christa Wolf. Gefragt nach weiteren Lieblingsautoren, sprudelt es aus dem syrischen Bauingenieur und Schriftsteller nur so heraus. Haruki Murakami nennt er, Hermann Hesse, Thomas Mann, Nietzsche, Goethe. Ali Kami-ran kennt sie alle.
Zwei Bücher hat Ali Kami-ran an seine Brust gedrückt - Christa Wolfs "Leibhaftig" - einmal auf Deutsch, einmal auf Arabisch. "Damit lerne ich jetzt Deutsch" - sagt er und lächelt.
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