Neue Biografie über den Entdecker der Evolution
Schon zu Lebzeiten wurde Charles Darwin mit Denkern wie Kopernikus und Newton verglichen. Ein neues Buch beleuchtet vor allem die philosophische Seite des berühmten Naturforschers. Es zeigt, dass sein genauer Blick in die Natur nicht zuletzt mit seiner Zuneigung zu anderen Lebewesen zu tun hatte.
Das weiß heute jedes Schulkind, sofern religiöse Fundamentalisten sich nicht in den Lehrplan einmischen: Charles Darwin (1809-1882) entwarf die Evolutionstheorie. Er revolutionierte damit die Biologie und zwang die christliche Religion dazu, ihr Gottes- und Menschenbild zu überdenken; bis heute tut sie sich damit schwer. Dass Darwin dennoch gründlich missverstanden wäre, würde man ihn als einsames Genie begreifen, zeigt diese neue Biografie.
Autorin Eve-Marie Engels, Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen, rückt Darwin in den philosophischen Kontext, in dem er selbst sich sah. Damals gab es eine lebhafte Debatte um Fragen, mit denen sich auch Darwin auseinandersetzte: Durften Naturforscher behaupten, dass die Erde älter war als 7000 Jahre, wie die Bibel nahelegte? Hatte Gott jede Tier- und Pflanzenart persönlich erschaffen? Oder lediglich den Anfangsimpuls gegeben - und die Schöpfung dann seinen weisen Naturgesetzen überlassen? Die damals dominierende Naturtheologie wollte die Weisheit Gottes in den Naturphänomenen aufspüren und preisen. Dieser Ansatz diente, bewusst und unbewusst, auch dazu, Naturforschung betreiben zu können, ohne sich den Zorn der Kirche zuzuziehen. In der Naturtheologie hatte auch Darwin seine Wurzeln und diskutierte intensiv mit Zeitgenossen - sein Briefwechsel füllt nicht weniger als 15 Bände.
Längst glaubte niemand mehr, dass Gott persönlich die Planeten um die Sonne kreisen ließ. Das Gesetz der Schwerkraft sorgte dafür: Es war "Zweitursache" - und konnte als solche gern von Gott als "erster Ursache" in gütiger Weisheit geschaffen worden sein. Darwin nun wollte eine solche "Zweitursache" für die Entstehung neuer Arten ausfindig machen - ohne jeden Rückgriff auf die Religion. Dabei stand er vor einem großen Problem: Zu den frappierendsten Merkmalen alles Lebendigen zählen seine hohe Komplexität und Zweckmäßigkeit. Der optische Apparat des Wirbeltierauges etwa begeisterte die Physik. Wie ließ sich ein solches Wunderwerk erklären, ohne eine planende Intelligenz anzunehmen?
Darwin fand den Mechanismus in der "natürlichen Selektion" - besser an ihre Umwelt angepasste Individuen pflanzen sich auch besser fort und geben ihre Eigenschaften weiter. Damit vereinte Darwin, wie Eve-Marie Engels sehr schön zeigt, zwei philosophische Grundströmungen seiner Zeit: Er fand eine Naturgesetzmäßigkeit, brachte die Biologie damit in die Nähe der damaligen Leitwissenschaft Physik. Und er gab dem Leben auf der Erde eine mächtige historische Dimension - die Geschichtsphilosophie zählte zu den aufstrebenden Disziplinen.
Statt von "Selektion" hätte Darwin später übrigens lieber von "natürlicher Erhaltung" gesprochen, als hätte er die schreckliche Karriere des Begriffes im 20. Jahrhundert vorausgeahnt. Doch der Siegeszug des Wortes war nicht mehr aufzuhalten. Schon diese kleine Anekdote zeigt: Darwin selbst stand einer menschenverachtenden, eugenischen Interpretation seiner Lehre fern. So wie sich die Evolutionstheorie nicht aus dem Diskussionskontext der damaligen Zeit lösen lässt, lässt sie sich nicht von dem Menschen Darwin trennen, betont Eve-Marie Engels.
Freundlich und sensibel - so wird der Forscher von Zeitgenossen beschrieben. Sein genauer Blick in die Natur, der ihn Dinge und Zusammenhänge sehen ließ, die anderen verborgen blieben, hatte nicht zuletzt mit seiner Zuneigung zu anderen Lebewesen zu tun. Darwin verabscheute die Sklaverei und setzte sich aktiv für den Tierschutz ein. Für ihn war es keine Schande, wenn der Mensch von einer Affenart abstammte und sich in das Ganze der Natur nicht als Herrscher, sondern als gleichberechtigte Momentaufnahme in einem langen Fluss des Werdens und Vergehens einfügte. Besonderes Merkmal des Menschen war für Darwin nicht die Aggressivität, sondern das Mitgefühl - das er auch bei anderen Säugetieren, besonders Primaten, in geringerer Ausprägung erkannte. Es war für ihn ganz natürlich im Laufe der Evolution entstanden. Eine fortschrittliche Position, sagt die Autorin: Bis heute sprechen manche Biologen Tieren jede differenziertere Empfindungsfähigkeit ab.
"Charles Darwin" von Eve-Marie Engels ist in seiner Komprimiertheit nicht immer die einfachste Lektüre. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin lieber ausführlicher erzählt hätte. So tut sich beim Lesen oft die bange Frage auf: "Welch spannenden Gedanken hält die Autorin an dieser Stelle zurück?" Reichlich Platz nehmen dafür die vielen Quellenverweise ein, lange Klammern voller Abkürzungen, die den Fluss des Lesens immer wieder unterbrechen und in einem populärwissenschaftlichen Buch in den Anhang gehört hätten. Schade - denn "Charles Darwin" sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen.
Rezensiert von Susanne Billig
Eve- Marie Engels,
Charles Darwin
C.H. Beck, 2007, broschiert, 256 Seiten 14,95€
Autorin Eve-Marie Engels, Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen, rückt Darwin in den philosophischen Kontext, in dem er selbst sich sah. Damals gab es eine lebhafte Debatte um Fragen, mit denen sich auch Darwin auseinandersetzte: Durften Naturforscher behaupten, dass die Erde älter war als 7000 Jahre, wie die Bibel nahelegte? Hatte Gott jede Tier- und Pflanzenart persönlich erschaffen? Oder lediglich den Anfangsimpuls gegeben - und die Schöpfung dann seinen weisen Naturgesetzen überlassen? Die damals dominierende Naturtheologie wollte die Weisheit Gottes in den Naturphänomenen aufspüren und preisen. Dieser Ansatz diente, bewusst und unbewusst, auch dazu, Naturforschung betreiben zu können, ohne sich den Zorn der Kirche zuzuziehen. In der Naturtheologie hatte auch Darwin seine Wurzeln und diskutierte intensiv mit Zeitgenossen - sein Briefwechsel füllt nicht weniger als 15 Bände.
Längst glaubte niemand mehr, dass Gott persönlich die Planeten um die Sonne kreisen ließ. Das Gesetz der Schwerkraft sorgte dafür: Es war "Zweitursache" - und konnte als solche gern von Gott als "erster Ursache" in gütiger Weisheit geschaffen worden sein. Darwin nun wollte eine solche "Zweitursache" für die Entstehung neuer Arten ausfindig machen - ohne jeden Rückgriff auf die Religion. Dabei stand er vor einem großen Problem: Zu den frappierendsten Merkmalen alles Lebendigen zählen seine hohe Komplexität und Zweckmäßigkeit. Der optische Apparat des Wirbeltierauges etwa begeisterte die Physik. Wie ließ sich ein solches Wunderwerk erklären, ohne eine planende Intelligenz anzunehmen?
Darwin fand den Mechanismus in der "natürlichen Selektion" - besser an ihre Umwelt angepasste Individuen pflanzen sich auch besser fort und geben ihre Eigenschaften weiter. Damit vereinte Darwin, wie Eve-Marie Engels sehr schön zeigt, zwei philosophische Grundströmungen seiner Zeit: Er fand eine Naturgesetzmäßigkeit, brachte die Biologie damit in die Nähe der damaligen Leitwissenschaft Physik. Und er gab dem Leben auf der Erde eine mächtige historische Dimension - die Geschichtsphilosophie zählte zu den aufstrebenden Disziplinen.
Statt von "Selektion" hätte Darwin später übrigens lieber von "natürlicher Erhaltung" gesprochen, als hätte er die schreckliche Karriere des Begriffes im 20. Jahrhundert vorausgeahnt. Doch der Siegeszug des Wortes war nicht mehr aufzuhalten. Schon diese kleine Anekdote zeigt: Darwin selbst stand einer menschenverachtenden, eugenischen Interpretation seiner Lehre fern. So wie sich die Evolutionstheorie nicht aus dem Diskussionskontext der damaligen Zeit lösen lässt, lässt sie sich nicht von dem Menschen Darwin trennen, betont Eve-Marie Engels.
Freundlich und sensibel - so wird der Forscher von Zeitgenossen beschrieben. Sein genauer Blick in die Natur, der ihn Dinge und Zusammenhänge sehen ließ, die anderen verborgen blieben, hatte nicht zuletzt mit seiner Zuneigung zu anderen Lebewesen zu tun. Darwin verabscheute die Sklaverei und setzte sich aktiv für den Tierschutz ein. Für ihn war es keine Schande, wenn der Mensch von einer Affenart abstammte und sich in das Ganze der Natur nicht als Herrscher, sondern als gleichberechtigte Momentaufnahme in einem langen Fluss des Werdens und Vergehens einfügte. Besonderes Merkmal des Menschen war für Darwin nicht die Aggressivität, sondern das Mitgefühl - das er auch bei anderen Säugetieren, besonders Primaten, in geringerer Ausprägung erkannte. Es war für ihn ganz natürlich im Laufe der Evolution entstanden. Eine fortschrittliche Position, sagt die Autorin: Bis heute sprechen manche Biologen Tieren jede differenziertere Empfindungsfähigkeit ab.
"Charles Darwin" von Eve-Marie Engels ist in seiner Komprimiertheit nicht immer die einfachste Lektüre. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin lieber ausführlicher erzählt hätte. So tut sich beim Lesen oft die bange Frage auf: "Welch spannenden Gedanken hält die Autorin an dieser Stelle zurück?" Reichlich Platz nehmen dafür die vielen Quellenverweise ein, lange Klammern voller Abkürzungen, die den Fluss des Lesens immer wieder unterbrechen und in einem populärwissenschaftlichen Buch in den Anhang gehört hätten. Schade - denn "Charles Darwin" sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen.
Rezensiert von Susanne Billig
Eve- Marie Engels,
Charles Darwin
C.H. Beck, 2007, broschiert, 256 Seiten 14,95€