Susanne Billig hat eine große Bandbreite neuer Bücher zu weiblicher Sexualität unter die Lupe genommen: Von aufklärenden Sachbüchern im klassischen Sinne über Bücher, die betont fordernd und selbstbewusst auftreten, bis hin zu Büchern, die das Fühlen und innere Erleben von Sexualität aus weiblicher Perspektive in den Mittelpunkt stellen.
Systemsprengende Antworten zur Monogamie
"Untrue" von Wednesday Martin habe durchaus "systemsprengende Qualität", sagt Billig. Die New Yorker Anthropologin hinterfrage das Prinzip der Monogamie. Sie schildere die Schwierigkeiten, sich damit abzufinden, bearbeite das Thema wissenschaftlich und widerspreche der These, dass es nur Männern biologisch eingebaut sei, mit ihrem Begehren in die Weite und die Vielfalt zu schweifen. "Frauen gefällt das auch gut", fasst Billig Martins Buch zusammen. Allerdings gebe die Autorin auch ehrlich zu, dass das unglaubliche emotionale und soziale Verwerfungen mit sich bringe. "Das ist umfassend ausgelotet und sehr unterhaltsam geschrieben", so Billig.
Die Aufklärungsbücher richteten sich nicht nur an jungen Menschen, betont Billig. "Richtig tolle Bücher" für Teenager seien etwa "Da unten" oder "Rot ist doch schön".
Aber es gebe auch neue Aufklärungsbücher für erwachsene Frauen. "Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation" und das im März erscheinende "Ist das normal?" etwa brächten Expertise und Offenheit im Erzählen zusammen. "Aufklärung im besten Sinne", meint Billig. Es gebe eben immer noch enorme Wissenslücken trotz der heutigen Informationsflut.
Einen ganzen Schwung an Büchern gebe es neuerdings zum Thema Vulva und Vagina: "Aufklärung über bodenständigste weibliche Anatomie", sagt Billig. "Vagina" von Naomi Wolf gehe eher kultur- und geisteswissenschaftlich heran und "Viva la Vagina" von zwei Norwegerinnen medizinisch-biologisch. Für jede zweite Frau sei laut Umfragen Vulva/Vagina der Teil ihres Körpers, über den sie am wenigsten wisse, so eine Erkenntnis, die in "Viva la Vagina" geschildert wird.
Fatale Wirkung der elektronischen Medien
Für Billig auch ein Ergebnis ihrer ausgiebigen Lektüre: "Alle diese Bücher betonen, wie fatal sich die elektronischen Medien auswirken, indem sie diese Massen an stereotypen Bildern in die Köpfe setzen von aalglatten Frauenkörpern, aufgepimpten Männerkörpern, einer durch und durch pornografisierten Sexualität: Das hat Menschen in ihrem erotischem Erleben und in ihren selbst erkundeten Körperleben massiv entfremdet."
Die neuen Bücher seien wohl auch eine Reaktion darauf, mutmaßt Billig. "Es hat mich gerührt, wie engagiert diese Autorinnen und Autoren eine Rückkehr zu einem menschlichen Maß in der Sexualität in die Wege leiten möchten."
Sehnsucht nach Intimität
Offenbar gebe es dafür auch Bedarf, denn ein Buch sei schon nach kurzer Zeit in der fünften Auflage erschienen: Tobias Rulands "Die Psychologie der Intimität. Was Liebe und Sexualität miteinander zu tun haben".
Der Paartherapeut frage etwa, warum Paare so häufig irgendwann aufhörten mit dem Sex, warum Nähe in Paarbeziehungen häufig abgewehrt wird, wenn sie in die Jahre kommen? Was brauchen wir, um Intimität zulassen zu können?
Ruland spreche dabei nie über Unterschiede der Geschlechter, denn diese Fragen stellten sich Männern ebenso wie Frauen. "Er berührt mit dieser Sehnsucht nach Intimität Themen, die für eine erfüllende körperliche Begegnung am Ende dann doch vielleicht wichtiger sind als medizinisch-biologisches Wissen."
Wednesday Martin: "Untrue: Warum fast alles, was wir über weibliche Untreue zu wissen glauben"
Übersetzt von Nina Frey
Berlin Verlag, Berlin 2019
432 Seiten, 22 Euro
Melanie Büttner/Alina Schadwinkel/Sven Stockrahm: "Ist das normal? Sprechen wir über Sex, wie du ihn willst"
Beltz, Weinheim 2020
368 Seiten, 19,95 Euro
(erscheint am 11. März 2020)
Tina Rose: "Der weibliche Orgasmus. Ein Ratgeber"
Blue Panther Books, Hamburg 2019
128 Seiten, 12,90 Euro
Henning, Ann-Marlene: "Sex verändert alles. Aufklärung für Fortgeschrittene"
Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 2019
272 Seiten, 20 Euro
Naomi Wolf: Vagina. "Eine Geschichte der Weiblichkeit"
Übersetzt von Barbara Imgrund, Gabriele Gockek und Karola Bartsch
Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 2019
448 Seiten, 12 Euro
Dania Schiftan/Nicole Kim: "Coming Soon: Orgasmus ist Übungssache"
Piper, München 2018
208 Seiten, 15 Euro
Andju Giehl: Verpersönlichung der Sinnlichkeitskultur in weiblichen Sexualbiografien. Zur lebensgeschichtlichen Sexualität von Frauen
Springer Fachmedien, Wiesbaden 2019
300 Seiten, 49,99 EUR
Katrin Jonas: "Das Körper-Versöhnbuch für Frauen"
Innenwelt Verlag, Köln 2019
280 Seiten, 20 EUR
Stephanie Haerdle: "Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation"
Edition Nautilus GmbH, Hamburg 2020
288 Seiten, 14,99 EUR
Lucia Zamolo: "Rot ist doch schön. Ein Sammelsurium an Gedanken und Geschichten rund ums Thema Menstruation"
Bohem Press, Münster 2019
96 Seiten, 14,95 EUR
Alica Läuger: "Da Unten. Über Vulven und Sexualität. Ein Aufklärungscomic"
Unrast Verlag,Münster 2019
116 Seiten, 12,80 EUR
Nina Brochmann, Ellen Støkken Dahl: "Viva la Vagina!: Alles über das weibliche Geschlecht"
Mit Illustrationen von Hanne Hanne Sigbjørnsen
Aus dem Norwegischen von Nora Pröfrock und Ina Kronenberger
S.Fischer, Frankfurt am Main 2018
400 Seiten, 18 Euro
Franka Frei: "Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu"
Heyne Hardcore, 2020
256 Seiten, 18 Euro
(erscheint am 2. März 2020)
Katja Lewina: "Sie hat Bock"
DuMont Buchverlag, Köln 2020
224 Seiten, 20 Euro
(erscheint am 18. Februar 2020)
Tobias Ruland: "Die Psychologie der Intimität. Was Liebe und Sexualität miteinander zu tun haben"
Klett-Cotta, Stuttgart 2015
268 Seiten, 18 EUR