Maurizio de Giovanni: "Nacht über Neapel"
Aus dem Italienischen von Judith Schwaab.
Goldmann, München 2016.
479 Seiten, 19,99 Euro
Krimis im Neapel von gestern und heute
Nachdenklich, psychologisch feinfühlig und atmosphärisch dicht: Mit "Nacht über Neapel" und "Der dunkle Ritter" hat Maurizio die Giovanni in kurzer Zeit gleich zwei empfehlenswerte Krimis veröffentlicht.
Gleich zwei Romane des Italieners Maurizio die Giovanni sind vor kurzem erschienen, zwei Krimis, die beide in Neapel spielen. Und die trotzdem ganz unterschiedlich daherkommen.
Seine Romane um Commissario Ricciardi haben Maurizio de Giovanni bekannt gemacht: Der melancholische Ermittler mit den grünen Augen und der beängstigenden Fähigkeit, nach einem gewaltsamen Todesfall für gewisse Zeit ein Bild des Toten sehen und dessen letzten Gedanken hören zu können, geht im sechsten Band der Reihe einem eigentlich längst abgeschlossenen Fall nach: Ein Geldverleiher wurde ermordet, ein junger Adeliger hat die Tat gestanden und nur dessen Frau ist überzeugt, dass ihr Mann unschuldig ist.
Das Neapel der 30er-Jahre bildet den Hintergrund, ein Neapel in dem die Faschisten marschieren, Spione und Spitzel lauern und das politische Klima immer rauer wird. Es ist eine düstere, wehmütige Stadt der toten Seelen, die dem traurigen Commissario an jeder Straßenecke begegnen.
"Der dunkle Ritter" wirkt wie ein Gegenentwurf
Wie ein Gegenentwurf wirkt da der zweite Roman des Autors, "Der dunkle Ritter", der im Neapel der Gegenwart spielt: Hier ermittelt Inspektor Lojacono, wegen seiner asiatischen Gesichtszüge "der Chinese" genannt, der mit der Mafia kollaboriert haben soll und von Sizilien nach Neapel strafversetzt wurde.
Sein Kommissariat beherbergt lauter Polizisten, die wegen diverser Verfehlungen gerade so einer Suspendierung entgangen sind und die sich selbst spöttisch "die Gauner von Pizzofalcone" nennen. Um einen entführten Jungen geht es hier, um eine reiche, völlig zerstrittene Familie und um eine Polizeitruppe, die sich gern unorthodoxer Methoden bedient.
Zwei Romane, ein Autor: Fast macht es den Eindruck, als wollte sich Maurizio de Giovanni mit der Lojacono-Reihe von der Schwermut der Ricciardi-Krimis erholen.
Während Ricciardi um seine unerfüllte Liebe zu einer gewissen Enrica trauert und seiner Depression in der Arbeit zu entkommen sucht, ist Lojacono – mal abgesehen von gelegentlichen Problemen mit seiner halbwüchsigen Tochter – ein ausgeglichener Charakter, der von keinen übersinnlichen Phänomenen geplagt wird und im Grunde eine Figur unter mehreren ist: Statt mit der Entführung befasst er sich mit einem merkwürdigen Einbruch und beim großen Finale ist er gar nicht direkt dabei.
Das ganze Team steht im Mittelpunkt
Weit mehr als bei der Ricciardi-Reihe steht hier das ganze Team im Mittelpunkt, diese Ansammlung von Außenseitern, die ihren Fall mit Witz und Akribie schließlich lösen können.
Das verbindende Element der beiden Krimireihen ist die Stadt, in der sie spielen, und man kann sich gut vorstellen, dass es dem Autor Spaß macht, zwischen den Epochen hin und her zu wechseln. Mit beachtlichem Geschick porträtiert er Neapel mal dunkel und bedrückt, mal laut und schrill. Immer jedoch schwingt eine leise, unaufdringliche Poesie in seinen Worten mit, die der schnöden Ermittlungsarbeit einen zauberischen, mitunter fast unwirklichen Beiklang verleiht.
Ob im Neapel von gestern oder von heute: Maurizio de Giovannis Krimis heben sich ab, sie sind leise, nachdenklich, psychologisch feinfühlig und atmosphärisch dicht. Und es bleibt jedem Leser überlassen, ob er nun dem traurigen Commissario mit seiner unheilvollen Gabe den Vorzug gibt oder dem in sich ruhenden Lojacono und seinem ungewöhnlichen Team.
Maurizio de Giovanni: "Der dunkle Ritter"
Aus dem Italienischen von Susanne Van Volxem.
Kindler, Hamburg 2016.
381 Seiten, 19,95 Euro