Neue Bürgermeisterin setzt auf Alternativkultur

In Roms Opernhaus beginnt das Zittern

Virginia Raggi während einer Pressekonferenz in Rom.
"Alle Römer haben ein Anrecht auf Kultur.", betont Bürgermeisterin Virginia Raggi. © picture-alliance/ dpa / Alessandro Di Meo
Von Thomas Migge · 22.08.2016
Mehr alternative Kultur für mehr Bürger und dafür weniger Hochkultur nur für Wenige, das hat sich Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi vorgenommen. Statt Geld ins Opernhaus zu schießen, möchte sie lieber Sportstätten am Stadtrand restaurieren.
Ein aufgeklappter Lastwagen als Bühne und einige hundert Sitzplätze – viel zu wenige für die vielen Zuschauer, die gekommen waren. Musiker- und Sängernachwuchs der Staatsoper boten eine gekürzte Fassung von Rossinis "Barbiere di Sevilla".
Das Projekt "Operacamion", Opernlastwagen, ist eine Sommerinitiative der römischen Staatsoper. Ziel ist es, das Musiktheater unter die Leute zu bringen, um bei Römern, die bisher einen großen Bogen um das Teatro dell’Opera machten, Neugier zu wecken.

Keine Olympischen Spiele mit Virginia Raggi

Auch Virginia Raggi, Roms neue Bürgermeisterin, war gekommen. Das Projekt "Operacamion" war das erste kulturelle Event, das sie nach ihrer Wahl besuchte. Mehr alternative Kultur für mehr Bürger, weniger Hochkultur nur für Wenige: Das ist ihr Credo und das der so genannten politischen Bewegung 5 Sterne, kurz M5S.
Bürgermeisterin Virginia Raggi: "Ich denke mir, dass Rom, mit Schulden von mehr als 13 Milliarden Euro, sich bestimmte Dinge zukünftig nicht mehr erlauben kann. Wir müssen sparen. Deshalb spreche ich mich zum Beispiel auch gegen eine Kandidatur Roms für die Olympischen Spiele 2024 aus. Bevor wir dafür Geld ausgeben, sollten wir die städtischen Sportstätten am Stadtrand restaurieren."
Der Stadtrand: das ist kulturpolitisch das große Thema der neuen Bürgermeisterin. Und deshalb hat sie den einstmals linksdemokratischen Kulturpolitiker Luca Bergamo zum neuen Kulturstadtrat ernannt. Bergamo hat sich in der römischen Kommunalpolitik einen Namen als Organisator und Unterstützer vor allem alternativer Kulturprojekte machen können.
"Uns geht es nicht nur um Kultur im Stadtzentrum, in der Altstadt, sondern um die seit Jahren kulturpolitisch total vernachlässigten Peripherien. Die brauchen mehr finanziellen und logistischen Einsatz unsererseits. Alle Römer haben ein Anrecht auf Kultur."
Fast alle Bürgermeister, ob rechts oder links, finanzierten vor allem prestigeträchtige Kulturprojekte im Stadtzentrum: vom Opernhaus, das von der Stadt Rom mit etwas mehr als 15 Millionen Euro mitfinanziert wird, über kommunale Museen, Konzerthallen und Popkonzerte. Für Theater, Kinos, Open-Air-Einrichtungen und andere Kulturinitiativen, die entweder alternativ und oder am Stadtrand beheimatet sind, blieb fast nichts mehr übrig.

Mehr Geld für die Peripherien

Die in den 1970er-Jahren geschaffene und europaweit einmalige Sommerkulturinitiative "Estate Romana", die jenen Römern, die kein Geld haben, um zwischen Juli und September in die Ferien zu fahren, gratis Kino, Musik, Theater etc. bot, wurde kaputt gespart und ist noch ein Schatten ihrer selbst.
Virginia Raggi und ihr neuer Kulturstadtrat Luca Bergamo,der sich den neuen und viel versprechenden Titel "Stadtrat für kulturelles Wachstum" gab, wollen deshalb kulturpolitisch einiges auf den Kopf stellen.
Bisher wurden Interna dieser, so Bergamo, "Kulturrevolution", nur hinter vorgehaltener Hand bekannt. Wie etwa, dass man eventuell beim teuren Opernhaus sparen will, um mit dem auf diese Weise frei gestellten Geld Kulturinitiativen in den Peripherien zu finanzieren.
Das Teatro dell'Opera di Roma.
Das Teatro dell'Opera di Roma.© Teatro dell'Opera di Roma

"Wozu brauchen wir ein so teures Opernhaus?"

Zum Beispiel Stadtbüchereien: Die meisten der römischen Stadtrandbüchereien stehen inzwischen vor dem finanziellen Aus, klagt Marco Tomaselli. Er gehört einer Bürgerinitiative zum Erhalt der Biblioteca Giovenala an, die im seit Jahren kulturell vernachlässigten Norden Roms das einzige verbliebene Zentrum für Kultur und kulturelle Begegnungen ist.
"Seit 2009 überleben wir nur noch mit Hilfe privater Spenden. Die Stadt Rom: von der hören wir gar nichts mehr. Deshalb hoffen wir jetzt auf die neue Stadtregierung. Denn: Wozu brauchen wir denn ein so teures Opernhaus? Da muss gespart werden!"
Tomaselli und viele andere Stadtrandbewohner setzten deshalb große Hoffnungen in Bürgermeisterin Virginia Raggi und in ihren Kulturassessor Luca Bergamo. Im Opernhaus hingegen und in anderen städtischen Hochkultureinrichtungen hat das große Zittern begonnen.
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