Neue Chancen im Journalismus

Online ist nicht gleich Online

06:50 Minuten
Kameramann filmt dual mit Kamera und einem Smartphone.
Mit ihrem Onlineangebot können Medien näher am Publikum sein, wenn das Angebot gut gemacht ist. © dpa / Ole Spata
Von Hagen Terschüren |
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Printjournalismus verliert seit Jahren an Auflage. Traditionelle gedruckten Medien investieren viel Geld in ihre Onlineangebote. Doch die meisten Netzausgaben waren lange Zeit mehr oder weniger wie ihr Printgegenstück. Das ändert sich jetzt langsam.
Inhalte auf Computern und Smartphones fühlen sich anders an als Fernsehen, klassisches Radio oder Print. Nicht ohne Grund spricht man hier von einem "Lean Forward Medium" – also etwas, bei dessen Konsum man sich nicht gemütlich anlehnt, sondern nach vorn beugt und mehr bei der Sache ist.
Schließlich ist man vor dem Bildschirm meist mehr, als nur passiver Konsument, sondern hat oft Interaktionspotenzial. Egal ob bei Videospielen oder auf Sozialen Netzwerken. Doch beim Onlinejournalismus traditioneller Printmedien war das lange Zeit anders: Da war der Artikel zum Lesen und das war’s. Die Möglichkeiten der Geräte wurden nie ausgenutzt.
"Da kommt uns jetzt der Doppelcharakter des Internets ein bisschen in die Quere: Man kann ja alles, was online passiert, einfach als Transportmedium für alle anderen Medien verwenden. Also ich kann eine komplette Fernsehsendung über das Internet transportieren. Das ist überhaupt nicht onlinegerecht. Ich benutze das Internet als Online-Transportmedium und vielleicht auch noch zur Distribution. Aber das war’s dann auch schon. Die eigentlichen Online-Spezifika musste man erst herausfinden."
Das sagt die Medienwissenschaftlerin Gabriele Hooffacker, die heute als Professorin an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig lehrt und seit den 80er-Jahren Journalistin und Dozentin für IT- und Medienthemen ist.

Die redaktionelle Arbeit wird interdisziplinärer

Eine Erkenntnis, die inzwischen auch bei den Printmedien angekommen ist. "Ich würde sagen, dadurch, dass mehr Gewerke, wie wir das immer nennen, beteiligt sind und auch Programmierer zum Beispiel in einem Interaktiv-Team oder Datenwissenschaftler, arbeiten wir wahrscheinlich etwas interdisziplinärer, als das in einer reinen Printredaktion der Fall ist", sagt Sebastian Horn, stellvertretender Chefredakteur von "Zeit Online".
"Also wenn wir Schwerpunkte planen, dann sitzen da bei Weitem nicht nur schreibende Redakteurinnen und Redakteure mit am Tisch, sondern eben all die Teams, die ich eingangs aufgezählt hatte, die dann auch überlegen, wie sie das auf jeweils ihre Art und Weise umsetzen können."
Wer die Webseiten heute besucht, findet Inhalte, die auf Papier unmöglich wären. Rund um die Corona-Pandemie lässt sich auf "Zeit Online" über Schieberegler zum Beispiel die eigene Bürosituation nachbilden und so sein individuelles Ansteckungsrisiko ermitteln.
In einem Bericht über Vermögensunterschiede in Deutschland können User und Userinnen interaktiv ermitteln, wie sie im Vergleich mit dem Rest der Republik dastehen. Doch nicht nur solche "Leuchtturmprojekte" werden interaktiver.
"Gleichzeitig versuchen wir auch tagtäglich in unsere Artikel zum Beispiel Karten einzubauen und interaktive Features, die wir auch wiederverwenden können", sagt Horn. "Die Leute kommen ja auch zu uns, um ihre Nachrichten zu lesen oder um ihre täglichen politischen Analysen, um die halt auch anzureichern mit interessanten Erzählformen."

Mehr Partizipation

Bei "Zeit Online" ist man sich sicher: Das sehe nicht nur besser aus, man sei durch diese Elemente auch viel näher am Publikum. "Wenn man es runterbrechen kann auf den Leser und seine Lebenswelten. Und was bedeutet das für mich? Dann hat das immer großen Effekt. Zum Beispiel bei den Klassen-Rechnern oder wie sind die Corona-Zahlen in meinem Landkreis?"
Die Effekte sind jetzt schon bemerkbar. Doch für die Medienwissenschaftlerin Gabriele Hooffacker kann das nur der Anfang einer Entwicklung sein: "Ich glaube, dass mehr an Partizipation möglich ist. Das da noch sehr, sehr, sehr viel mehr möglich ist als ein Formular oder 'hier kannst du einen Beitrag kommentieren'", sagt Hooffacker.
"Hier könnte ich mir noch sehr viel intensiveres Einbeziehen der Leserinnen und Leser vorstellen. Von der Recherche angefangen über Ergänzungen zu Beiträgen, über ihre Anregungen zu Beiträgen bis hin zu Bestandteilen, die in einem Beitrag einfließen können. Sehr, sehr viel mehr partizipative Formate."
Etwas, das in Zukunft sogar traditionelle Grenzen aufweichen könnte. "Zum einen treffen sich nun alle Medien auf dieser Plattform wieder, und wenn die die Besonderheiten des Internets erkannt haben und dann damit arbeiten, könnte es hier eine spezielle, ein bisschen eine Angleichung geben?", fragt Hooffacker.
"Da ist dann die spannende Frage: Wie unterscheiden die sich dann? Woran erkenne ich, dass das jetzt die Online-Plattform der ‘Tageszeitung’ ist und dass das die Online-Plattform beim Radiosender und die Online-Plattform von meinem regionalen Fernsehsender ist?"

"Lange Texte funktionieren wahnsinnig gut"

Im Kleinen kann man diese Tendenz schon jetzt beobachten. Dieser Radiobeitrag wird jetzt gerade als Artikel auf deutschlandfunkkultur.de gelesen. "Die Zeit" publiziert mit dem Podcast "Alles Gesagt" erfolgreich Audio.
"Also wir machen die Beobachtung ohne Ende, dass lange Texte wahnsinnig gut funktionieren. Dass die Leute das schätzen, wenn man über mehrere Seiten die Komplexität eines Themas aufzeigt. Das weiß ich nicht, ob das erforderlich ist, dass wir jetzt irgendwie auf kurze, möglichst bunte Erzählformen wechseln müssen, um die Leute noch bei der Stange zu halten, so denken wir definitiv nicht, sondern das Bestreben dahinter ist halt immer die jeweils angemessenen Erzähl- und Darstellungsformen zu finden und das möglichst interaktiv zu machen."
Doch wie Sebastian Horn, der stellvertretende Chefredakteur von "Zeit Online", schon gesagt hat: Für diese Elemente braucht es Teams, die neben klassischen Journalisten und Journalistinnen mit Datenwissenschaftlern sowie Programmierern bestückt sind. Und das kostet.
"Also nichts von dem, was wir besprochen haben, ist abopflichtig oder wahnsinnig gut vermarktet. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das den Effekt hat, dass die Leute ‘Zeit Online’ mögen, gerne wiederkommen und irgendwann ein Abo abschließen."
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