Neue Christen in Marokko

„Der Gottesdienst ist sehr lebendig“

25:30 Minuten
Christen bei einem Gottesdienst in Marokko
Von vielen misstrauisch beäugt: ein christlicher Gottesdienst im muslimischen Marokko. © ARD / Dunja Sadaqi
Von Dunja Sadaqi |
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In Marokkos Kirchen saßen bislang nur wenige Gläubige. Doch seit immer mehr Christen aus Afrika zuziehen, füllen sich die Bänke und ihre Bräuche werden sichtbarer. Nicht unproblematisch in einem Land, in dem der Islam laut Verfassung Staatsreligion ist.
Ein christlicher Gottesdienst im muslimischen  Marokko. Saint-Pierre, die weiße Kathedrale von Rabat an einem Sonntagmorgen. Zwei Kirchtürme ragen 30 Meter in den hellblauen, sonnigen Himmel. Die großen, schweren Holztüren sind offen - der Gesang des Chores hallt bis in die Straßen. 
Der Place Al Joulane, an dem die 100 Jahre (1921 eröffnet, Jubiläum 2021) alte Kathedrale steht, ist belebt und liegt mitten in der Stadt. Gleich um die Ecke ein Umsteigeplatz für die Straßenbahn. Die Sonntagsmesse ist sehr gut besucht, trotz Corona sind viele gekommen und füllen die Kirchenbänke des etwa 70 Meter langen Gotteshauses. Viele Männer tragen  Anzug, teilweise mit bunten Einstecktüchern; die Frauen: geschminkt, mit Schmuck und Kleidern mit floralen und afrikanischen Mustern. 
“Wir kommen jeden Sonntag hierher zum Beten und danach treffen wir uns mit Freunden, die wir lange nicht gesehen haben. Aber zuerst kommt das Gebet!”

Die Gottesdienste werden voller

Maskenpflicht, Fieber messen und Desinfektionsmittel - daran haben sich die meisten Gläubigen mittlerweile gewöhnt. Aber nicht nicht erst mit der Pandemie hat sich manches verändert in Marokkos christlichen Kirchen, sagt Cristóbal Kardinal López Romero. Der Spanier ist der römisch-katholische Erzbischof von Rabat - seit fast zwei Jahrzehnten leitet er Gottesdienste und ist Ansprechpartner für Gläubige. Während dieser Zeit habe sich die christliche Kirche in Marokko stark verändert, und auch vergrößert, durch Zuwanderung aus der Mitte Afrikas.
„Orte, an denen es keine Christen mehr gab, sind wiederbelebt. Wo nur noch 20 Gläubige an der Messe teilgenommen haben, sind  es heute über 120. Eine  Sonntagsmesse mit bis zu  500 Gläubigen ist nicht mehr außergewöhnlich. In Casablanca waren es vor der Pandemie sogar bis zu 800 Gottesdienstbesucher", sagt Cristóbal Kardinal López Romero.
"Dadurch hat sich die Dynamik geändert, die Lieder, die Freude, der Enthusiasmus - das alles hat sich verbessert, weil die jungen Leute neues Leben gebracht haben.”
Mit den jungen Leuten meint der Erzbischof vor allem christliche Studierende aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Sie machen inzwischen  die Mehrheit der Gläubigen im Gottesdienst aus. 

Der europäische Einfluss schwindet

„Die Studierenden haben das Gesicht der katholischen Kirche in Marokko total verändert: Sie war zunächst eine Kirche von Europäern und ist jetzt zu einer sehr katholischen Kirche geworden ist, das heißt sehr universell, denn das bedeutet das Wort katholisch. Ich sage immer: In unserer Gemeinde gibt es mehr Frauen als Männer, mehr junge Leute als Erwachsene, mehr schwarze als weiße Gläubige.”
Etwa 30.000 Christen aus über 100 Nationen - mehrheitlich Katholiken - leben in Marokko. Das sind nicht einmal ein Prozent der rund 36 Millionen Einwohner, von denen sich  mehr als 90 Prozent zum Islam bekennen. Im nordafrikanischen Königreich ist der Islam Staatsreligion.
Zu den neu hinzugekommenen Christen aus afrikanischen Staaten gehört auch Frank Nama aus Kamerun. Der hochgewachsene Mann trägt einen schweren schwarzen Mantel, darunter einen dunklen Anzug mit Krawatte. um den Rand seiner Sonnenbrille, windet  sich eine goldene Schlange.
Frank Nama lebt schon seit zehn Jahren in Marokko und betreibt einen Radiosender der Foundation Orient Occident, einer Organisation, die sich um afrikanische Migranten kümmert. Sein Thema ist vor allem interkultureller Dialog. Er sagt, die christliche Gemeinde habe neu zueinander finden müssen. Zum Beispiel hätten sich europäische Christen etwas umstellen müssen - etwa im Gottesdienst, wo sie nur noch eine Minderheit stellen.

Die Stimmung in der Kirche ist freudvoller

„Der Gottesdienst ist nun sehr lebendig, er ist praktisch ein Fest geworden", sagt Frank Nama. "Das hat zu Konflikten geführt. Der Ritus in Europa ist dann doch nicht so lebhaft wie in Afrika und viele Europäer haben sich da dann etwas verloren gefühlt, manche hatten sogar den Eindruck, das ist eine Abweichung vom Glauben, denn für sie war Kirche ein Ort der Konzentration und Meditation. Für die afrikanischen Migranten ist er dagegen ein Ort des Hochgefühls, der Freude.”
Kirche in Marokko bedeute nicht nur Frömmigkeit, betont der Kameruner Frank Nama. Er erklärt sich den starken Zulauf zur christlichen Kirche in Marokko auch dadurch, dass gerade für viele junge, afrikanische Christen die Kirche wichtig sei - als Begegnungsstätte in der neuen Heimat. 
„Kirche ist ein Zufluchtsort - für Migranten aus Subsahara-Afrika und andere Ausländer. Sie ist der erste Anlaufpunkt, um sich zu erholen; etwas Bekanntes, dem man vertrauen kann. Die Ankunft in Marokko ist erst einmal ein Kulturschock und vielleicht auch der Grund, warum viele Migranten erstmal zur Kirche finden. Das Aufnahmeland erinnert sie täglich daran, dass es ein muslimisches Land ist - mit starker Tradition, zum Beispiel regelmäßig zu beten. Da ist es wie ein Reflex - unbewusst oder bewusst - dass sich Christen in der Kirche wiederfinden und dort eine neue Familie formen.”

Rückkehr in die Sichtbarkeit

Und die christliche “Familie” in Marokko wächst erstmals wieder - nachdem das Christentum im nordafrikanischen Königreich lange Zeit immer unsichtbarer geworden sei, erinnert sich Karen Thomas Smith. Sie ist als Pastorin und Präsidentin der Evangelischen Kirche in Marokko seit über 20 Jahren im Land und spricht von einem “Revival” des Christentums in Marokko. 
„Das Gesicht des Christentums war das Gesicht des weißen Kolonialisten", sagt sie. "Das ist nicht mehr so, es sind andere Afrikaner, die wissen, wie Kolonialismus war. Die Kirche ist nicht länger eine Kirche von reichen, mächtigen Leuten, die dominante Führungspositionen eingenommen haben - die Kirche ist eine Kirche der Studierenden und Ex-Studierenden und wir sind eine Kirche der Menschen, die über die Migrationsroute gekommen sind. Marokkaner sind nicht die, denen etwas aufgedrückt wurde, sondern sie sind die Gastgeber und haben die Türen geöffnet, das dreht die Rollen um.”

Veränderung war vonnöten

Die katholische und auch die evangelische Kirche habe sich in dieser Zeit umbauen müssen, erzählt Pastorin Thomas Smith.
„Das hat der Kirche neues Leben gegeben, um sich auch selbst wieder zu entdecken als einen Ort des Schutzes und der Hilfe und nicht nur als Versammlungsort der Verehrung und des Gebets. Die protestantische Kirche hat sich 2003 organisiert und eine Struktur reaktiviert, die für 20 Jahre in der Kirche nicht funktional war, und diese Organisation antwortet speziell auf die Bedürfnisse von Migranten und Geflüchteten - denn die Mehrheit davon waren Christen, die sich an die Kirchen gewandt haben.”
Marokko ist eines der wichtigsten Transitländer auf der Route vom südlichen Afrika Richtung Europa. Das liegt an der geografischen Lage, und daran, dass Länder wie Libyen zu unsicher geworden sind, dass anderswo Grenzen geschlossen wurden. Viele Geflüchtete und Migranten bleiben in Marokko hängen, oder werden hierher zurückgedrängt.
Doch unter den Christen aus Ländern südlich der Sahara sind auch legale Einwanderer, die nicht weiter wollen nach Europa, sagt Hannes Stegemann, Direktor der Caritas in Marokko. Das Königreich suche bewusst den politischen Anschluss an afrikanische Staaten, etwa durch Visa für über 10.000 Studierende.

Partner für die Subsahara

„Dahinter steckt ein eindeutig politisches Kalkül seitens des Königshauses in Marokko, sich als verlässlicher Partner von Subsahara zu profilieren", sagt Hannes Stegemann.
"Das ist bisher auch sehr gut gelungen, wenn man sieht, dass Marokko wieder zurück ist in der Afrikanischen Union, Marokko hatte eine Teerstraße bis nach Dakar gebaut. Man kann mittlerweile mit einem ganz normalen Kleinwagen gemütlich durch die Wüste zockeln, Royal Air Maroc abgesehen von Covid-19 Zeiten fliegt täglich die wichtigsten afrikanischen Städte an - also Marokko hat eine Infrastruktur aufgebaut, die unglaublich ist, dazu gehören dann eben auch die Studenten, die dann auch in der Kirche sind.”
Viele Studierende blieben auch nach ihrem Abschluss in Marokko, weil sie in ihren Heimatstaaten keine bessere wirtschaftliche Perspektive erwartet.
Die Regierung allerdings vergibt keine Aufenthaltsgenehmigungen mehr, schiebt verstärkt ab. Denn Marokko selbst ist ein Land mit überwiegend junger Bevölkerung, die eigene Jugend wandert aus, zusätzliche junge Menschen haben in den Augen der Regierung keinen Platz, sagt Hannes Stegemann.
„Die Situation ist nun mal nicht so wie in Deutschland oder Europa, wo die Gesellschaft immer älter wird und wo den Leuten langsam klar wird, dass sie ein Interesse daran haben, dass Migranten kommen, weil irgendjemand muss ja die Rollstühle schieben, sag ich mal ganz zynisch. Wir suchen in Europa ja eigentlich, wenn wir rational vorgehen, händeringend nach Zuwanderern. Das ist in Marokko überhaupt nicht der Fall. Also die marokkanische Gesellschaft muss erst einmal die eigenen Leute ausbilden und in Brot bringen.”

Wirtschaftliche und kulturelle Berührungsängste

Junge Marokkaner*innen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist schwierig. Die Jugendarbeitslosenquote ist zweieinhalb Mal so hoch wie der nationale Durchschnitt und übersteigt in den Städten 40 Prozent. Die Konkurrenz um Jobs führt auch zu Spannungen mit den afrikanischen Migranten im Land. Von den immer sichtbarer gewordenen neuen afrikanisch-christlichen Bräuchen fühlen sich manche zusätzlich bedroht. Vor allem, wenn sie in der eigenen Nachbarschaft zelebriert werden - wie in den boomenden sogenannten Hauskirchen.
Wer hier im Viertel Takadoum, in Marokkos Hauptstadt Rabat eine afrikanische Hauskirche finden will, muss nicht lange suchen. Raus aus dem Taxi und junge Schwarzafrikaner fragen - die wissen, wohin. In sogenannten Hauskirchen finden Gottesdienste von Freikirchen statt. Takadoum, ist ein sogenanntes "quartier populaire" - ein einkommensschwaches Viertel. Hier leben viele Migranten aus Staaten südlich der Sahara. Sie sind für die marokkanischen Nachbarn nicht nur sichtbarer geworden, sondern auch hörbarer - vor allem sonntags.

Hauskirchen boomen

In einem kleinen unscheinbaren Haus wird Gottesdienst gefeiert. Gebete und Gesänge dringen auf die Straße, obwohl die Türen von innen mit Schallschutz verstärkt wurden. Die Gläubigen wissen: Es kann laut werden. Hier predigt heute Pastor Emmanuelle. 
Er kommt aus dem westafrikanischen Nigeria und lebt seit fast 20 Jahren in Marokko. Hat drei Kinder hier groß gezogen, seine Tochter ist schon über 20, seine beiden Söhne spielen in Europa Profi-Basketball, erzählt er. Ursprünglich sei er nach Marokko gekommen, um nach Europa zu gelangen. Heute versucht er, junge Leuten davon zu überzeugen, in Marokko zu bleiben.
„Wie Sie sehen, klingelt mein Telefon ständig. Manche Leute sind frustriert, begegnen einem Problem nach dem anderen; andere sind gestrandet, sie sind am Kämpfen", sagt Pastor Emmanuelle.
"Ich sage ihnen: nach Europa gehen ist nicht das Beste. Viele sterben im Meer, viele sterben auf dem Weg in der Wüste. Und wenn du dich hier niederlässt, kannst du dein Leben planen. Hier ist es besser - ich sage nicht besser als Europa. Aber wenn du dich darauf einlässt und an dich glaubst, kannst du es hier in Marokko schaffen.”

Die Religion der Migranten

Pastor Emanuelle sagt, Christentum in Marokko sei eben auch das - die Religion der Migranten. Er und viele kirchennahe Nichtregierungsorganisationen würden zum Beispiel helfen, wenn es Stress mit Behörden oder der Polizei gebe. Der Pastor klagt auch über Rassismus, wenn ausgerechnet schwarze Migranten tagsüber nach Ausweispapieren gefragt würden, aber keine Einwanderer aus Europa oder Asien. Insgesamt sei die Lage für seine Gemeindemitglieder aber deutlich besser als früher: viele hätten eine Aufenthaltserlaubnis.
„Heute sind wir frei, vorher war es fürchterlich. Früher  konntest du nicht mal auf die Straße, ohne verhaftet zu werden. Die Nachbarn wissen jetzt besser Bescheid. Früher haben sie mich und meine Söhne belästigt. Heute ist die Regierung eine andere. Früher haben die Nachbarn die Polizei geholt, wenn wir Gottesdienst gefeiert haben. Und die hat eingegriffen. heute sind die Polizisten auf unserer Seite“, sagt er. 
Das Phänomen der Hauskirchen beobachten auch die Vertreter der beiden großen Kirchen in Marokko. Pastorin Karen Thomas Smith, Präsidentin der Evangelischen Kirche, sagt, die Hauskirchen entstehen da, wo die offiziellen Kirchen fehlen.
„Mit dem Phänomen der irregulären Migration haben wir über die Jahre beobachtet, wie Hauskirchen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Diese Kirchen antworten auf die Nachfrage, dort zu sein, wo die Menschen wohnen", sagt Karen Thomas Smith.
"Es ist knifflig, denn es ist so schwer eine Erlaubnis für ein offizielles Gebetshaus zu bekommen. Der Umgang der Behörden war bisher: tolerieren anstatt erlauben. Und diese Toleranz wird von der Bevölkerung nicht immer gut aufgenommen, weil da ist das Gefühl: Ihr erlaubt keine illegalen Moscheen, warum erlaubt die Regierung dann illegale Hauskirchen?”

Integration ist etwas anderes

Die Hauskirchen seien ein Zeichen dafür, dass eine wirkliche Integration der neuen Bevölkerung in Marokko bisher nicht gelungen ist, sagen Beobachter. Die Situation in Marokko zeigt: Wenn Eingewanderte nicht mit ihren eigenen religiösen Traditionen integriert werden, bauen sie sich Parallelstrukturen. Der marokkanische Politikwissenschaftler Mehdi Alioua sieht mit der Zunahme christlicher Gemeinden ein Identitätsproblem.
„Die Kinder dieser Migranten werden neue Fragen stellen, denn sie werden nicht nur Mitbürger, sondern auch Landsleute sein und das bringt die Frage auf: Kann man Marokkaner und Christ sein? Und das wird in Zukunft für viele Debatten sorgen, die wir heute noch nicht führen.”
Tatsächlich sorgt auch die Hauskirche im Viertel Takadoum in Rabat für Unbehagen bei einigen muslimischen Nachbarn. Wie bei Karima. Sie steht vor dem Haus, in dem gerade laut gebetet wird. In den oberen Stockwerken wohnt ihre Familie. Ihre Mutter ist die Vermieterin der ehemaligen Garage, die jetzt eine Hauskirche ist. Eigentlich sei sie für die Nutzung eines Kulturvereins gemietet worden, erzählt Karima. Dass hier seit drei Monaten gebetet wird, missfällt ihr.

Koexistenz ist nicht ganz einfach

„Warum ich dagegen bin? Weil ich Marokkanerin und Muslima bin, das heißt, dass Gott der Allmächtige jedem seine Religion gegeben hat. Ich bin nicht gegen sie. Nein im Gegenteil, ich liebe sie, ich helfe ihnen, mit Stühlen und dergleichen. Gott helfe ihnen. Aber nicht bei uns zu Hause. Ich möchte nicht, dass das in unserem Haus existiert. Es gibt Kirchen. Aber in Häusern? Und in einer beliebten Gegend! Ich kann es nicht ertragen. Wie soll das gehen, ich schlafe über meinem Koran ein und höre unten andere Gebete? Das geht nicht. Wenn ich die Macht hätte, würde ich sie aus unserem Haus holen. Ich persönlich möchte nicht, dass sie hier bleiben.”
Und dann spricht Karima ein Thema an, das in Marokko bis heute eigentlich ein Tabu ist.
„Es gibt viele Christen. Sogar marokkanische Frauen beginnen, zum Christentum zu konvertieren, ich versteh es nicht. Marokkaner, die das Christentum verehren, möge Gott ihnen helfen.“

Konvertiten haben keinen leichten Stand

Adam und Farah sitzen in ihrem Wohnzimmer und beten das “Vater Unser” - auf Arabisch. Vor ihnen auf dem Tisch liegt ein rotes Buch - "kitab al hayat" steht darauf, das Buch des Lebens - die Bibel auf Arabisch. Im Hintergrund läuft leise der Fernseher - Kinderprogramm für ihre kleine Tochter Malek Noor. Malek Noor, das heißt Engel des Lichts auf Arabisch, der Name für Jesus, erklärt Farah. Einen christlichen Namen durfte die marokkanische Konvertitin ihrer zweijährigen Tochter nicht geben.  
„Ich bin vor fünf Jahren zum Christentum konvertiert. Zu dem Zeitpunkt kannte ich keine Frau, die sich öffentlich als Konvertitin geoutet hat in den Medien. Ich war die erste.”
Für ihre Familien war das ein Schock. Einige Familienmitglieder hätten sich abgewandt, wollten nicht mal mit ihnen am selben Tisch essen - andere hätten gelernt, es zähneknirschend zu tolerieren, sagt Farah.
„Ich bin dem Ganzen entflohen. Ich war gegen diese Familientraditionen, ich hab das alles vermieden. Ich war eine sehr rebellische Person. Viele andere ausländische Christen haben mir gesagt, das ist gefährlich, aber ich war davor nicht mal Muslima, ich war Atheistin. Und das hab ich nie verschwiegen. Und als Christin jetzt bin ich sehr stolz, ich kann es nicht verstecken.”

Christen droht mitunter Gewalt

Ihr goldenes Kreuz, das Farah um den Hals trägt, versteckt sie trotzdem jedes Mal unter ihrem Pulli, wenn sie das Haus verlässt. 
„Ich möchte keine Diskussion oder Streit haben. Du weißt ja nicht, mit wem du dich treffen kannst. Leute können verrückt werden. Also vermeide ich jede Art von Konflikt. Wenn ich meine Rechte einfordern will, in den Medien oder so - kann ich das machen. Aber öffentlich einfach so in den Straßen, das kann ich nicht machen. Das gäbe Chaos.”
Manchen “geouteten” Christen drohe sogar Gewalt, auf der Arbeit, in der Familie, erzählt Adam.
„Ich habe 2008 sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Ich war mit Freunden in Rabat unterwegs. Wir haben über den Islam und das Christentum diskutiert. Ich habe zugegeben, dass ich Christ bin und wurde von zwei Leuten angegriffen. Sie schlugen mich gegen den Kopf. Ich war drei Tage im Krankenhaus. Ich hab Anzeige erstattet, aber die Polizei sagte mir, es kann keinen Prozess geben zwischen Marokkanern wegen der Religion. Also habe ich die Anzeige fallen gelassen.”

Missionieren verboten

Zurzeit sei es ruhig. Behördlich verbessert habe sich aber nichts für marokkanische Christen, sagt Adam. Sie dürfen ihren Kindern keine christlichen Namen geben, Ehen müssen nach islamischem Recht geschlossen werden, Bestattungen auf christlichen Friedhöfen sind verboten. Offiziell heißt Adam Mohammed - den Namen Adam hat er nach seiner Konversion angenommen. Die Nachbarn kennen ihn auch so. Das ist riskant.
Adam und Farah haben zuhause eine Hauskirche gegründet und halten mit anderen marokkanischen Christen Gottesdienste ab - im Wohnzimmer hängen zwei große schmale Holzkreuze an den Wänden. Denn in eine christliche Kirche gehen, das sei nicht einfach, erzählen die beiden. Tatsächlich seien marokkanische Konvertiten ein heikles Thema für die christlichen Kirchen im Land, sagt Pastorin Karen Thomas Smith, Präsidentin der Evangelischen Kirche Marokko.
„Wir sind uns als protestantische Kirche in Marokko sehr darüber im Klaren, dass wir weder missionieren, noch versuchen, Leute zu konvertieren oder den Glauben unserer muslimischen Nachbarn zu erschüttern, sondern mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihren Glauben wertzuschätzen. Aber wenn Leute zu unserer Kirche kommen - unser Motto ist: Unsere Tür ist offen. Wir haben Leute, die nach Taufen fragen, und das ist eine Sache, wo uns von Behörden klar gemacht wurde: Das ist absolut unangebracht - das wäre Missionieren.”

Forderungen nach mehr Rechten werden lauter

Und Missionieren oder Muslime in ihrem Glauben erschüttern gilt als Strafbestand in Marokko. Das Gesetz sei zwar klar und unverändert, mache aber ein christliches Leben als Marokkaner trotzdem nicht unmöglich, sagt Cristóbal Kardinal López Romero, Erzbischof von Rabat.
„Das marokkanische Gesetz ist eindeutig. Aber das Gesetz erkennt auch die Menschenrechte an. Jeder Marokkaner ist nach dem Gesetz, in Bezug auf die Religion frei, zu tun, was er möchte. Die einzige Sache, die das marokkanische Strafgesetzbuch vorgibt ist: Es drohen demjenigen bis zu drei Jahre Gefängnis, der versucht mit irgendwelchen Mitteln zu missionieren oder den Glauben der Muslime zu erschüttern. Es gibt überhaupt kein Verbot für einen Marokkaner, Christ zu werden oder das zu machen, was er will in Bezug auf die Religion.”
Marokkos Verfassung garantiert den Menschen im Land also eigentlich Religionsfreiheit - verbietet aber parallel dazu Konversionen. Eine theologische Diskussion zum widersprüchlichen Thema ist bisher ausgeblieben. 
Für Farah und Adam, ist das zu wenig.  Sie wollen mit ihrer kleinen Gemeinde sichtbarer werden. Derzeit versuchen sie nicht nur Gottesdienste, sondern auch Strukturen für marokkanisch christliche Kinder zu organisieren. Sie wollen mehr - vom Staat.
„Ich habe mit Freunden eine Union der marokkanischen Christen gegründet, um für die Religionsfreiheit in Marokko zu kämpfen", sagt Adam.
"Und wir haben an den neuen Regierungschef einen Brief geschickt mit unseren Forderungen. Wir möchten, dass die Verfassung von 2011 angepasst wird, denn die Islamisten haben damals wichtige Bestandteile der Religionsfreiheit beschnitten - jetzt haben wir eine liberalere Regierung und die Religionsfreiheit muss 'aktiviert' werden - denn die Marokkaner sind heute vieles: Christen, Schiiten. Sie haben die Wahl.”

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