Spuren der Abnutzung
Ältere Herren, die mit Phallus-Symbolen herumspielen und eine Sängerin, die sich nicht aus der von ihr kreierten Puppenstuben-Ästhetik lösen könne: Die Performance-Expertin Wiebke Hüster geht mit der Neuerscheinung von DAF und der von St. Vincent hart ins Gericht.
Körperfantasien und Gesellschaftskritik - eigentlich eine Kombination, die immer gut läuft in der Popmusik. Doch allmählich scheinen sich Spuren der Abnutzung zu zeigen, diesen Eindruck erwecken zumindest zwei neue Musik-Videos - das eine kommt von der Punkband DAF und das andere von der Künstlerin Annie Clark, die unter ihrem Künstlernamen St. Vincents arbeitet.
DAF, das sind Robert Görl und Gabi Delgado-López. Beide mittlerweile etwas in die Jahre gekommen seit der Gründing 1978, was sie aber nicht davon abhält, im Clip zu "Die Sprache der Liebe" einen auf Rammstein im Folterkeller zu machen.
"Wenn ich es nur höre, fühle ich mich sofort in meine Kindheit zurückversetzt", meint die Tanz- und Performance-Kritikerin Wiebke Hüster. "1981 klangen die auch so. Es hat auch etwas zeitloses, das ist eigentlich nicht so schlecht." Aber wenn sie das Video zu "Sprache der Liebe" sieht, kommen ihr andere Gedanken.
"Wenn man das Video sieht, denkt man, die haben ihr Sparschwein geschlachtet und das Video von ihrem Taschengeld gedreht", so Hüster. "Es ist so peinlich, auch die Gesichter, die sie machen: Zwei alte, weiße Herren, die stehen da so rum und spielen mit phallusartigen Gegenständen aus Metall oder Gummi."
Und dann ist da noch eine Frau, die eine Gerte schwingt. Ist das ironisch? Nein, ironisch könne sie das nicht finden, sagt Hüster.
"Musikalisch leicht steril"
"Es ist ein bisschen so wie 'Wir haben in einer Kneipe abgehangen, und uns war langweilig, lass uns mal in den Keller gehen und ein Video machen.' Und so ist ja auch die Geschichte der Band, gleich von 1979 an. Der eine geht, dann kommt er wieder zurück, und seitdem gibt es ja das unendliche Spiel von 'Wir gehen mal auseinander' und 'Wir kommen wieder zusammen und machen ein Projekt'."
Dass es auch anders geht, zeigt St. Vincent im Clip zu "Los Ageless". Der Titel ist eine Anspielung auf Anspielung auf Los Angeles, dem Mekka der körperlichen Eitelkeiten und dem Ort des Strebens nach körperlicher Perfektion. Im Clip ist zu sehen, wie am Gesicht von St. Vincent gezogen wird, als läge unter der Haut eine weitere, noch makellosere Hautschicht.
"Eine ganz seltsame Ästhetik, auch musikalisch leicht steril", sagt Hüster. Aber während St. Vincent im Text vorgibt, wegrennen zu können, spricht das Video eine ganz andere Sprache - denn eigentlich ist sie Teil dieser Welt, diesem Streben nach Perfektion. Hüster findet diesen Gegensatz interessant.
Über DAF sagt sie: "Die einen versuchen immer noch zu provozieren, haben aber offensichtlich vollkommen die Richtung und das Gespür dafür verloren, womit man provoziert oder was jetzt wirklich noch Schlagkraft besitzen könnte, und wirken so ganz seltsam orientierungslos." St. Vincent gelänge das etwas besser, meint sie, obwohl sie hier aber "so ein bisschen matt und wie gefangen von dieser von ihr kreierten Puppenstuben-Ästhetik" wirke.