"Die Besprechung am Wannsee und der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden"
Neue Dauerausstellung im Berliner Haus der Wannsee-Konferenz ab 19. Januar 2020.
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Ein Experiment in Sachen Inklusion
04:16 Minuten
Das Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin erhält eine neue Dauerausstellung. Auf die Bedürfnisse von Seh- und Lernbehinderten und Menschen mit anderen Herausforderungen wurde in dieser "Ausstellung für alle" besonders Rücksicht genommen.
Am Anfang stand eine Erkenntnis: Die bisherige Ausstellung passt nicht mehr zu den Besucherinnen und Besuchern. Mehr als die Hälfte sind Ausländer, viele von ihnen Israelis – also weder deutsche noch englische Muttersprachler. Besucher ohne Uniabschluss sollen die Texte ebenfalls verstehen können, sagt Hans-Christian Jasch, Direktor der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz:
"Das ist einfache Sprache, plain English. Es folgt immer dem Ansatz, dass in jeder Linie ein Gedanke ist, dass die Sätze auf Hauptsatz und Nebensatz heruntergebrochen sind. Das soll ermöglichen, die Texte möglichst schnell zu erfassen."
Tücken der Vereinfachung
Wann wird eine Vereinfachung zu einer Verfälschung? Darüber haben die Kuratoren lange diskutiert. Darf man einfach von "Nazis" sprechen, wenn in Wirklichkeit bestimmte Tätergruppen gemeint sind? Fühlt sich das bildungsbürgerliche Publikum abgeschreckt, wenn es mit 5-Wort-Sätzen konfrontiert wird?
"Ja, mit dieser Kritik müssen wir rechnen. Allerdings bietet die Ausstellung über zahlreiche Medienstationen und die Exponatauswahl die Möglichkeit, sich zu vertiefen."
Projekt mit Vorbildcharakter
"Die Ausstellung für Alle" ist ein Experiment, ein teures, technisch ausgefeiltes Pilotprojekt für mehr als zwei Millionen Euro. Um auch Blinden und Sehbehinderten einen Zugang zur Thematik zu verschaffen, sind Tast- und Hörstationen eingerichtet. Blinde können auf einer Karte erfühlen, wo und in welchem Ausmaß Massenerschießungen in den besetzten sowjetischen Gebieten stattfanden. Sie können hören, wie der jüdische Geschäftsmann Richard Stern, der sein deutsches Vaterland liebte, auf den NS-Boykottaufruf "Kauft nicht bei Juden" reagierte:
"Ist der deutsche Jude nunmehr ein Mensch zweiter Klasse geworden? Den man nur noch als Gast in seinem Vaterland duldet? Das fragt Richard Stern in seinem Flugblatt, das er am 1. April 1933 an seinem Geschäft verteilt. Der Aufruf der Nationalsozialisten, nicht bei jüdischen Geschäftsleuten einzukaufen, empört ihn: 'Wir fassen diese Aktion gegen das gesamte deutsche Judentum auf als eine Schändung des Andenkens von 12.000 gefallenen deutschen Frontsoldaten jüdischen Glaubens.'"
"Für die Form dieses Projekts sind wir definitiv die Ersten", erläutert Elke Gryglewski, die Leiterin der Bildungsabteilung im Haus der Wannsee-Konferenz. "Es gibt zwar viele Beispiele, wo Museen entschieden haben, Inklusion und Barrierefreiheit zu implementieren. Aber soweit wir wissen, sind das dann immer Projekte, bei denen man sich für eine spezifische Gruppe entschieden hat. Als Projekt, bei dem wirklich alle, alle unterschiedlichen Bereiche zusammengefasst wurden, ist es das erste."
Mehrwert für viele
Die Kuratoren haben die Ausstellung gemeinsam mit sogenannten "Experten in eigener Sache" konzipiert. Rollstuhlfahrer, Menschen mit Lernschwächen, Blinde saßen zusammen, haben ihre Wünsche und Anforderungen eingebracht – David Zolldan hat diesen Prozess begleitet.
"Grundsätzlich würde ich sagen: Wir haben darauf geachtet, dass es wenig partikulare Lösungen gibt, sondern dass vor allem ein Mehrwert für viele geschaffen wird. Und das ist ein Ergebnis, das die Herangehensweise mit gezeitigt hat. Zum Beispiel, dass wir für die Screen-Designs nicht nur auf den Bedarf von Sehbehinderten achten. Das war die Prämisse, zu gucken, wie Menschen mit Lernschwierigkeiten damit umgehen können und wie das auch für die einen Mehrwert darstellt."
Weniger wäre mehr gewesen
Der Anspruch, es allen Recht zu machen, führt allerdings zu einer Gestaltung, die das eigentliche Exponat, nämlich die Villa am Wannsee, in den Hintergrund rücken lässt. Die technologisch aufgerüsteten Ausstellungsmöbel dominieren die historischen Räume.
Der gesellschaftlich progressive Ansatz in allen Ehren – hier wäre weniger mehr gewesen.