Gegen die Netzwerke des politischen Islam
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Um islamistische Radikalisierung zu verhindern, will man in Österreich jetzt die Netzwerke besser verstehen, in denen sie geschieht: Wer nimmt wie Einfluss? Woher kommt das Geld? Das soll die Dokumentationsstelle Politischer Islam herausfinden.
Die Dokumentationsstelle Politischer Islam in Wien hat ihre Arbeit aufgenommen, bislang im Verborgenen. Angesiedelt ist die Einrichtung im 7. Wiener Gemeindebezirk, die genaue Adresse möchte Lisa Fellhofer als Leiterin der wissenschaftlichen Dienststelle mit einem sieben- bis zehnköpfigen Team nicht nennen. Es gibt noch keine Homepage. Die Aufgabe der Stelle aber benennt Integrationsministerin Susanne Raab ganz klar:
"Wir wollen mit der Dokumentationsstelle Politischer Islam Netzwerke und Strukturen durchleuchten, die Nährboden sind für Extremismus, die Nährboden sind für diese extremistische Ideologie des politischen Islam. Beispielsweise Vereinsstrukturen oder auch soziale Medien oder auch im Bildungsbereich, im Bereich Kindergärten oder Schulen, wo wir in Österreich auch da und dort einen Einfluss aus dem Ausland – aus der Türkei, aus Saudi-Arabien, aus anderen Ländern – feststellen müssen."
Neue Dringlichkeit durch den Anschlag in Wien
Nach dem islamistischen Terroranschlag mit vier Toten und 23 Verletzten vom 2. November im Herzen Wiens betont die Leiterin der neuen Dokumentationsstelle Lisa Fellhofer, wie wichtig es sei, "sich mit Ideologien, die den Nährboden für die Radikalisierung junger Menschen bilden können, sachlich und faktenorientiert auseinanderzusetzen." Dabei war für sie die erste Aufgabe der Dokumentationsstelle, zu definieren, was der politische Islam überhaupt ist, so Fellhofer:
"Wir sehen uns die Netzwerke des politischen Islams an, wir wollen dann auch Akteure und Strukturen uns ansehen in weiterer Folge und auch die Methoden des politischen Islams, wie er agiert, wie er auch argumentiert."
Die 38-Jährige hat Romanistik und Politikwissenschaft studiert und versteht sich als Wissensmanagerin. Die Dokumentationsstelle sei keine Spionagebehörde, die sich gegen die Muslime richte. Das zu kommunizieren, wird nicht einfach sein.
Kritik von Islamischer Glaubensgemeinschaft IGGÖ
Für die IGGÖ, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, sei die Mitarbeit bei der Dokumentationsstelle "unzumutbar", ließ IGGÖ-Präsident Ümit Vural wissen. Die Glaubensgemeinschaft fürchtet tatsächlich eine Überwachung der Muslime in Österreich. Ümit Vural sympathisiert allerdings selbst mit der islamistischen Ideologie von Millî Görüş. Lisa Fellhofer hat trotz dieser Fundamentalkritik die IGGÖ aufgesucht:
"Weil ich das natürlich mitgekriegt habe im Vorfeld, die Kritik, die es gab, und mir war es wichtig, mich mit dem Präsidenten direkt zusammenzusetzen, mich mit ihm auszutauschen."
Weitere Gesprächstermine sind indes erst einmal nicht vereinbart. So nimmt die Dokumentationsstelle Politischer Islam eben ohne die IGGÖ ihre Arbeit auf. Mit Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats ist Mouhanad Khorchide vom Zentrum für Islamische Theologie der Uni Münster, dem größten Forschungszentrum zum Islam in Europa.
Politischer Islam als unbekannte Größe
"Ein Phänomen haben wir aus den Augen verloren oder überhaupt nicht beachtet", sagt Khorchide, "das Phänomen des politischen Islam, der sich so etabliert hat nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa und auch darüber hinaus mit all seinen Strukturen, die sich sehr subtil auch in der Gesellschaft verbreitet haben, weiterhin verbreiten – mit einer gefährlichen Ideologie, die sich, wenn man genauer hinschaut, eben nicht so weit entfernt von salafistischen und dschihadistischen Ideologien. Sie ist umhüllt mit einem Mantel der Integration, mit einem Mantel der Demokratie, aber nach innen geht es um eine andere Rhetorik."
Bisher gebe es kaum wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum politischen Islam, so Khorchide, der seit zehn Jahren an der Uni Münster lehrt. Daher sei er so dankbar, dass sich das nun ändere, erklärt er anlässlich der offiziellen Vorstellung der neuen Dokumentationsstelle:
"Ich war vor einigen Monaten auf Einladung des Religionsministers in Ägypten aber auch in anderen islamischen Ländern, die alle beklagen: Ja, wir haben ein Problem mit dem politischen Islam, aber wir wissen wenig darüber – und vor allem: Der politische Islam hat ja seine Zentren in Europa mittlerweile mehr als in den islamischen Ländern."
Kein Kampf gegen Religion, sondern gegen Extremismus
Der politische Islam sei eine menschenfeindliche Ideologie, die die Herrschaft im Namen des Islam anstrebe, sagte Khorchide in einem Zeitungsinterview. Integrationsministerin Susanne Raab betont denn auch, dass die neue Forschungsstelle keine Einrichtung im Kampf gegen die Religion sei, vielmehr müsse eine Trennlinie gezogen werden gegen den Extremismus überall dort, wo die Religion missbraucht werde für eine extremistische Ideologie.
"Beispielsweise wollen wir nicht, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Österreich irgendwo angezweifelt wird, dass mit Kindern in Moscheen Kriegsspiele gemacht werden, auch das haben wir erlebt, dass Burschen Mädchen in der Schule eine so genannte Haram-Kultur auferlegen", erklärt Raab:
"Das ist alles ein Nährboden von extremistischem Gedankengut, integrationsfeindlich, spaltet und richtet sich gegen unsere demokratischen Grundwerte. Und ich glaube, hier muss man das Bewusstsein noch schärfen, dass all diese Dinge etwas bedeuten für unsere Gesellschaft, das wir langfristig nicht haben wollen."
Die Forschung soll in die Gesellschaft hinein wirken
Die Dokumentationsstelle nehme international eine Vorreiterrolle ein, sagt Raab. Damit sie effektiv sei, müsse sie aber auch sichtbar sein. Doch die Leiterin Lisa Fellhofer weiß, wie heikel diese Sichtbarkeit ist, und setzt vorerst auf Diskretion. Mitte Oktober wurde in Conflans-Sainte-Honorine nordwestlich von Paris ein Lehrer gezielt von einem islamistischen Terroristen ermordet. Kurz danach – und noch vor dem islamistischen Terroranschlag in Wien – sagte Fellhofer:
"Die Dokumentationsstelle wurde dazu eingerichtet, damit es in Österreich gar nicht so weit kommt, zu solchen Ereignissen und Vorfällen. Es ist unsere Aufgabe, genau hinzusehen – wo sind die Herausforderungen, Probleme, die durch den politischen Islam entstehen, der dann Radikalisierung und Extremismus fördert und beeinflusst – und dann vorab frühzeitig schon zu sagen: Das ist das Problem und damit muss man umgehen – und das dann eben auch weiterzugeben an Stakeholder."
Die Stakeholder, das sind in dem Fall auch die Sicherheitsbehörden und die Polizei. In einigen Monaten sollen erste Forschungsergebnisse bekannt gegeben werden.