Die sechsteilige BBC/WDR-Dokuserie "Der Blaue Planet" läuft ab heute immer Montags um 20:15 Uhr.
Bilder einer heilen Welt ohne Umweltsünden
Naturfilme faszinieren viele Zuschauer mit spektakulären Aufnahmen unberührter Natur. Der Biologe Johannes Vogel findet das wichtig und wertvoll, fragt sich aber auch, ob solche Dokus nicht zu stark eine heile Welt vorgaukeln, statt zum Einsatz für mehr Naturschutz anzuregen.
Mit der neuen Dokuserie "Der Blaue Planet" startet die ARD heute Abend eine magische Reise durch die Weltmeere in sechs Folgen, immer montags im Ersten. Die Filmteams begaben sich während einer Drehzeit von vier Jahren auf 125 Expeditionen, bereisten 39 Länder, verbrachten mehr als 6.000 Stunden auf Tauchgängen und filmten auf jedem Kontinent und in jedem Ozean – von den Küsten bis in die Tiefsee.
Schönheit der Natur
Solche spektakulären Bilder seien sehr wichtig, um die Schönheit der Natur zu vermitteln, sagt der Biologe Johannes Vogel. Der Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums bedauerte, das es für Wissenschaftskommunikation zu wenig Geld gebe. Dabei zeige sich an Naturdokumentationen, dass sie beim Publikum sehr gut ankämen und großen Einfluss hätten. "Ich glaube, dass wir alle eine große Sehnsucht nach Natur haben", sagte Vogel. Es stelle sich allerdings die Frage, ob solche Dokumentationen nicht vor allem das Bild einer heilen Welt der Wunder und Faszination zeigten. "Aber zu welchem Handeln führt das – das ist glaube ich die Frage, die immer noch ungeklärt ist."
Verantwortung für die Zukunft
Vielleicht suggerierten diese Bilder zu stark, dass die Welt in Ordnung sei. Dabei schreite das Artensterben so schnell voran wie noch nie in der Erdgeschichte. Gerade die Menschen in den reichen Ländern hätten mit ihrem unbändigen Konsum eine große Verantwortung gegenüber der Zukunft von Natur und Menschheit. "Da muss man sich wirklich ein bisschen fragen, was diese Filme am Ende bewirken, ob sie uns eine heile Welt vorgaukeln oder ob sie uns Anlass zum richtigen und notwendigen Handeln geben."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Vier Jahre, 125 Expeditionen, 39 Länder – das sind nur drei Zahlen, und die machen schon deutlich, mit wie viel Aufwand die Reihe gedreht wurde, die heute im Ersten startet. Die neue Doku-Serie "Der blaue Planet" zeigt in spektakulären Bildern das Leben in den Ozeanen. Da verabreden sich Delfine mit Orkas zum Jagen, und Stachelmakrelen erlegen in der Luft einen Seevogel. Der Faszination solcher Bilder kann man sich nur entziehen, aber ob diese Bilder auch nachhaltig wirken, das bespreche ich jetzt mit Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde. Guten Morgen und ich grüße Sie!
Johannes Vogel: Ja, hallo!
Welty: Was ist da Ihre Erfahrung, helfen spektakuläre Bilder, ein Verständnis für die Natur zu entwickeln und die Natur dann auch besser schützen zu wollen?
Vogel: Ich glaube, dass spektakuläre Bilder ganz wichtig sind, um uns die Schönheit der Natur zu zeigen und auch zu zeigen, wie sehr Natur uns emotional anspricht. Da sind natürlich Tierfilmer wie David Attenborough oder Heinz Sielmann oder Bernhard Grzimek ganz, ganz tolle Leute, um den Menschen besser mit Natur bekannt zu machen.
Welty: Woran liegt es überhaupt, dass Naturdokus immer wieder auf so großes Interesse beim Publikum stoßen, was im Menschen wird da angetriggert?
Vogel: Ich bin Evolutionsbiologe, und ich glaube, wir müssen uns alle überlegen, dass die letzten 200- oder 300.000 Jahre, die es uns als Art gibt, dass wir die draußen in der freien Natur verbracht haben und erst die letzten 200 oder 500 Jahre uns dazu gebracht haben, in Häusern oder Städten zu leben. Das heißt, wir sind mit all unseren Sinnen – unserem Sehen, unserem Hören, unserem Riechen, unserem Schmecken – an Natur und mit Natur evolviert, und deswegen, wenn wir Natur sehen, macht uns das an, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist ja auch eine der großen Erfolgsgeschichten von Naturkundemuseen oder Zoos.
Sehnsucht nach Natur
Welty: Ist das auch eine große Sehnsucht, die sich da ausdrückt?
Vogel: Ich glaube, dass wir alle eine große Sehnsucht nach Natur haben. Ich hab jetzt das große Vergnügen, hier in Großbritannien am Wattenmeer zu stehen und mir Gänse und Austernfischer anzugucken. Das ist etwas, was ich für meine Seele und für mein Gemüt, aber eben halt auch für meinen Verstand brauche, und ich denke, dass es den meisten Menschen so geht. Aber irgendwie tun wir ganz viel daran, um uns Natur abzugewöhnen, und das ist eine falsche und schlechte Entwicklung.
Welty: Spektakuläre Bilder gibt es ja nicht umsonst, der Recherche- und der Kostenaufwand für "Der blaue Planet", der ist auch groß gewesen. Ist das Geld, das am Ende für wissenschaftliche Projekte fehlt, die weniger spektakulär sind, aber vielleicht nachhaltiger?
Vogel: Nein, so würde ich das überhaupt nicht rechnen wollen. Ich glaube, dass mehr als genug Geld im System ist, um sowohl für exzellente Forschung als auch für exzellente Tierfilme zu sorgen, also da sehe ich keinen Widerspruch. Ich denke, dass es da eine Reihe anderer Projekte gibt, über die man vielleicht diskutieren sollte.
Ich glaube grundsätzlich, dass zu wenig Geld in Deutschland oder in Europa für Wissenschaftskommunikation ausgegeben wird, und diese Filme zeigen uns eigentlich, wie tief man in die Bevölkerung und in das Interesse der Menschen hineingreifen kann. Ich weiß zum Beispiel, dass Anfang 2000 das BBC in Großbritannien viele Umfragen gemacht hat und da eben halt das Interesse an Natur und Naturfilmen bei über 50 Prozent der Bevölkerung lag. Also das ist schon gewaltig. Das heißt, wir sind wirklich sehr am Thema Natur interessiert.
Frage nach dem Handeln
Welty: Aber schlägt sich dieses Interesse dann auch in praktischem Handeln nieder?
Vogel: Genau das ist, glaube ich, die Frage, die nicht nur mich, sondern auch David Attenborough umtreibt …
Welty: Der ja die Reihe präsentiert.
Vogel: Genau. Was bewirken eigentlich diese tollen Bilder? Zum einen machen wir den Leuten unheimlich viel Appetit und zeigen ihnen eine doch zum großen Teil, auch jetzt im "Blauen Planeten" heile Welt der Wunder und der Faszination, und das ist gut und wichtig. Aber zu welchem Handeln führt das? Das ist, glaube ich, die Frage, die immer noch ungeklärt ist. Und ist es nicht eher so, dass diese schöne heile Welt, die wir da sehen, mit ab und an mal ein bisschen Plastikmüll drin, uns eigentlich eher suggeriert, dass die Welt in Ordnung ist?
Und wenn man sich dann anschaut, wie die Wissenschaft die Welt heute betrachtet, in einer Zeit, wo das Artensterben so schnell geht wie noch nie in der Erdgeschichte und wo wir als Menschen mit unserem unbändigen Konsum, gerade auch in den reichen Ländern der Welt, eine große Verantwortung übernehmen für die Zukunft von Natur und der Menschheit, da muss man sich wirklich ein bisschen fragen, was diese Filme am Ende bewirken – ob sie uns eine heile Welt vorgaukeln oder ob sie uns Anlass zum wichtigen und notwendigen Handeln geben.
Welty: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, so eine klare Antwort darauf, auf diese Frage, haben Sie auch noch nicht gefunden.
Vogel: Na ja, für mich hab ich die Frage beantwortet, aber das muss ja jeder für sich selber tun. Für mich ist es, und ich glaube auch für meine Organisation, das Museum für Naturkunde, jetzt wirklich so, dass unsere Forschung, die Art, wie wir Erkenntnisse vermitteln wollen, doch jetzt darauf zielt, die Menschen gezielt auf eine Reise in eine andere Art von Gesellschaft oder auch nachhaltiger Bewirtschaftung unserer Welt führen muss. Das ist, glaube ich, jetzt für Leute, die verstehen, was wir mit dieser Welt tun – und dazu gehört David Attenborough allemal – eine immer größere und dringliche Verantwortung.
Leben mit Verdichtung
Welty: Sie haben eben von einer schönen heilen Welt gesprochen, die ja auch immer Produkt ist einer gewissen, ja, ich sag mal Verdichtung. Man kann im Fernsehen ja nicht eins zu eins was zeigen, da würde man dann auch beispielsweise für diese Reihe jetzt viel blaues Wasser einfach auch mal zeigen müssen, weil da manchmal auch eben gar nichts passiert. Wie viel Inszenierung vertragen Naturdokumentationen?
Vogel: Ich glaube, dass man damit leben muss, mit der Verdichtung. Das ist ja auch ein Problem der Wissenschaft, wo man eben halt drei Jahre Lang im Labor steht und dann kriegt man 500 Worte für das Ergebnis am Ende und den großen Heureka-Moment. Das ist hier genau dasselbe, man muss verdichten, man muss Farben zeigen, und ich meine, das Gewaltige ist doch, wie viel die verdichten konnten, wie viel Material, wie viel Intelligenz, wie viel Wissenschaft auch dahintersteht.
Ich glaube, das sollte vielleicht auch noch mal deutlicher gemacht werden, dass große Forschungsorganisationen auch in Deutschland, wie das Alfred-Wegener-Institut und andere, hier unheimlich viel Zeit, Energie und Gehirnschmalz reingesteckt haben, dass dieser Film forschungsbasiert ist und eben halt unheimlich toll Erkenntnisse vermitteln kann. Und ich denke, das zeigt auch, wie spannend, relevant und ansprechend Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung ist.
Von Bernhard Grzimek geprägt
Welty: Wenn es um das Leben unter Wasser geht, dann ist eine ganze Generation geprägt worden von einer roten Wollmütze, die Jacques Cousteau gehörte, der mit der Calypso zu unzähligen Expeditionen ausgelaufen ist – John Denver und auch Jean-Michel Jarre haben Cousteau Musik gewidmet. Hat Sie ein Naturfilmer besonders beeindruckt, Sie vielleicht auch in Ihrer Berufswahl beeinflusst?
Vogel: Na ja, ich bin natürlich von Bernhard Grzimek geprägt und wollte immer Zoodirektor werden. Jetzt leite ich das Museum für Naturkunde mit 30 Millionen Tieren anstatt 3000. Nun sind meine tot, aber genauso spannend, und ich glaube, ich habe dann doch den richtigen Beruf gewählt.
Welty: Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, und da dieses Museum montags geschlossen ist, bleibt genügend Zeit zum Fernsehen. Heute um 20:15 Uhr startet die Reihe "Der blaue Planet". Herr Vogel, haben Sie herzlichen Dank!
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