Neue Dynamik im deutsch-dänischen Grenzgebiet

Von Jasper Barenberg |
Schlagbäume gibt es zwischen Deutschland und Dänemark lange schon nicht mehr. Doch wirtschaftlich gesehen trennt die deutsch-dänische Grenze zwei Welten: In Schleswig-Holstein ist jeder Zehnte ohne Arbeit. Auf der anderen Seite dagegen herrscht seit fünf Jahren praktisch Vollbeschäftigung.
"Selbständig gewesen … das funktionierte alles nicht mehr so … dann alles hingeschmissen … dann bin ich übers Arbeitsamt … denn haben die gesagt: solche Leute suchen wir. Und dann ging das eigentlich ruck zuck: drei Wochen später war ich hier."

Mit seiner Autowaschanlage ist der gelernte Bauschlosser Roland Tschitschke in Flensburg gescheitert. Heute pendelt der 42-Jährige täglich über die Grenze, bedient in dem süddänischen Städtchen Tinglev eine Maschine, die Stahlbleche biegt.

"Ich bin hier für mich, habe die Halle für mich und gut. Ich bekomme meinen Zettel, arbeite den ab, dann ist die Sache erledigt … habe noch nie Probleme hier gehabt."

Den Facharbeiter eingestellt hat Jacob Knudsen, Chef der ‚Tinglev Elementfabrik’, einem mittelständischen Unternehmen, das Betonelemente für Fertighäuser herstellt. Die Nachfrage wächst ständig, doch qualifizierte Mitarbeiter sind längst Mangelware, der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Da lohnt sich für Knudsen der Blick über die Grenze nach Deutschland.

"Wenn man einen ausgebildeten Mitarbeiter hat - Maurer, Zimmermann – und einen unausgebildeten. Und man den gleichen Lohn bezahlen soll. Dann nimmt man natürlich den am besten qualifizierten Mitarbeiter. Und zurzeit sind es ohne Zweifel besser qualifizierte Mitarbeiter südlich der Grenze als nördlich der Grenze!"

Schätzungsweise 5000 Menschen aus Schleswig-Holstein pendeln inzwischen zur Arbeit über die Grenze. Dreimal so viele wie vor einigen Jahren noch. Eine Abstimmung mit den Füßen. Deren Potenzial und Bedeutung die Politiker in der Landeshauptstadt Kiel allerdings lange verkannt haben, sagt Michael Schack von der Industrie- und Handelskammer in Flensburg.

"Da kann man sich erst einmal – ganz banal – die Frage stellen: Hat die deutsche Seite eigentlich genügend von der konjunkturellen Entwicklung Dänemarks profitieren können? Wenn man auf den Arbeitsmarkt blickt, kann man sagen: nein! Das passiert erst jetzt, in jüngster Vergangenheit, dass immer mehr Deutsche in Dänemark arbeiten. Aber die Ausgangslage ist ja schon seit 1995 ähnlich. Wenn man blickt auf den Bereich Wissenstransfer, Wissensgesellschaft, dann müssen wir feststellen, dass wir drei Hochschulstandorte in der Grenzregion haben – das ist nicht so häufig der Fall in Europäischen Grenzregionen! Und wenn man sich die Kooperation noch einmal insgesamt anguckt, dann muss man sich eben zusammentun: Das, was auf dem Arbeitsmarkt unmittelbar Sinn macht, dass man die Unterschiede zum Vorteil ausnützt, dass Menschen erst einmal ganz grundlegend Arbeit finden, kann man für alle anderen Bereiche eben auch sagen."

Es hat lange gedauert, bis sich diese Erkenntnis auch bei den Verantwortlichen in Schleswig-Holstein und Dänemark durchgesetzt hat. Bis in die 1990er Jahre ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit überhaupt ein Fremdwort. Beide Seiten stehen gleichermaßen auf der Bremse. Eine erste Annäherung versucht die rot-grüne Landesregierung: 2001 unterzeichnet Ministerpräsidentin Heide Simonis ein Kooperationsabkommen mit der Verwaltung im Süden Dänemarks. Rückblickend kaum mehr als eine symbolische Geste, urteilt Michael Schack von der IHK. Als zu groß und zu schwerfällig hätte sich der damals gegründete Regionalrat mit den Jahren erwiesen.

"Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass das ein ganz normaler Prozess ist, wenn man sich in Europa die grenzüberschreitende Zusammenarbeit anguckt. Dass heißt, dass man erst einmal dafür sorgt, dass möglichst viele Akteure sich überhaupt kennen lernen – das sind ja Institutionen, Organisationen, Politiker usw. Man hat dann aber vielleicht ein bisschen lange damit gewartet, sich über diese Strukturen noch einmal Gedanken zu machen, wie produktiv die eigentlich sind!"

Die Bilanz muss ernüchternd ausgefallen sein, als vor zwei Jahren die Große Koalition aus CDU und SPD ihre Arbeit aufnahm. Gewiss: Längst werden Patienten aus Dänemark regelmäßig in deutschen Kliniken behandelt. Der Rettungshubschrauber auf deutscher Seite fliegt bei Notfällen auch den Süden Dänemarks an. Deutsche und dänische Studierende besuchen Lehrveranstaltungen hüben wie drüben. Museen arbeiten zusammen. Politiker beider Seiten beteuern regelmäßig die guten Beziehungen in der Grenzregion. Und doch betont in Kiel Ministerpräsident Peter Harry Carstensen dieser Tage bei jeder Gelegenheit, dass er für die Zukunft mehr will als Symbolik. Wie zum Beweis hat er vor ein paar Tagen eine Delegation aus 50 Fachleuten zu einer von langer Hand vorbereiteten Konferenz ins dänische Kolding angeführt. Und die eigenen Experten wie ihre dänischen Kollegen mit den Worten zur Arbeit angetrieben:

"Ich darf Ihnen sagen: die Wahrheit ist konkret: Wir wollen weg vom Kaffeetrinken – und hin zu den konkreten Projekten!”"

Ein gemeinsamer Wirtschafts- und Beschäftigungsraum schwebt dem Christdemokraten vor. Als Bindeglied zwischen den wirtschaftlichen Kraftzentren um Hamburg deutscher Seite, um Kopenhagen auf dänischer. Dazwischen müssten Schleswig-Holstein und der Süden Dänemarks ihre Chancen endlich gemeinsam nutzen.

""Wir haben in Schleswig-Holstein, in Deutschland immer das Gefühl gehabt, da geht es nach unten, das ist der schwach entwickelte Raum. Und dasselbe hat man in Dänemark gehabt: Wir haben uns ein Tal gebaut. Und wir müssen sehen, dass dieses Tal wieder mit Leben ausgefüllt wird, dass wir dort eine Ebene bekommen. Und dass wir dieses als einen Raum zwischen den Metropolregionen betrachten, der eine Brückenfunktion bekommt."

Wie das gelingen könnte – dafür haben die Fachleute beider Seiten schon während der Konferenz in Dänemark Vorschläge zu Hauff zusammengetragen: Krankenhäuser hüben und drüben könnten teure Geräte zur Krebserkennung gemeinsam anschaffen; Lehrlinge ihre Ausbildung zu gleichen Teilen in beiden Ländern durchlaufen; ein Sekretariat könnte die Hochschullandschaft diesseits und jenseits der Grenze noch besser verzahnen; Experten beider Seiten ihr Know-how bündeln und gemeinsam einen Druckluftspeicher für Windenergie entwickeln. Gesundheitswirtschaft, Hochschulen, Arbeitsmarkt, Ernährung, Tourismus und Energie: Auf diesen Gebieten vor allem soll die Zusammenarbeit auf eine gänzlich neue Grundlage gestellt werden. Nicht weniger als eine strategische Partnerschaft soll es sein. Mit Blick auf Wachstum und mehr Beschäftigung. Geht es etwa nach Jens Bo Holm-Nielsen, dem Leiter des Fachbereichs für Bioenergie an der süddänischen Universität in Esbjerg, muss sich das deutsch-dänische Grenzland zu einer Modellregion für erneuerbare Energien entwickeln.

"Wir können hier das Problem der globalen Erwärmung ernsthaft anpacken. In Deutschland wie in Dänemark geht es zu langsam voran. Zusammen aber können wir die Speerspitze bilden und Lösungen aufzeigen: Mit Energie aus Biomasse, aus Windkraft und Meerwasser. Das bedeutet neue Jobs für die ländlichen Regionen beiderseits der Grenze und neue Jobs in der Hochtechnologie – Das ist, was man eine Win-win-Situation nennt!"

Die Hochschulen in der Grenzregion arbeiten bereits seit Jahren eng zusammen. Sie bieten gemeinsame Studiengänge an, Dozenten pendeln zwischen Deutschland und Dänemark. Carsten Dreher zum Beispiel lehrt Innovationsmanagement - an der Universität Flensburg ebenso wie an der Universität im süddänischen Sonderburg. Künftig jedoch soll die Zusammenarbeit noch intensiver werden. Für den Bereich der neuen Energieformen sieht Dreher dafür beste Chancen.

"Wichtig ist, dass die Unternehmen beiderseits der Grenze das Potenzial neu entdeckt haben. In beiden Gebieten ist akademisch gebildeter Nachwuchs ein Engpassfaktor, auch wegen der früheren Abwanderung. Von daher ist das Interesse enorm gewachsen."

Abwanderung, Strukturwandel in einst landwirtschaftlich geprägten Regionen, wissenschaftlicher Nachwuchs: Im Grunde teilen Schleswig-Holstein und der Süden von Dänemark die gleichen Probleme. Nur das die Verantwortlichen diesseits der Grenze bei der Suche nach Lösungen den Blick bisher vornehmlich nach Süden gelenkt haben, etwa in Richtung Hamburg. Und jenseits den Blick nach Norden, in Richtung Kopenhagen. Der Vorschlag aus Kiel besteht vor allem darin, auf beiden Seiten die Blickrichtung zu ändern. Und das begrüßt inzwischen auch Carl Holst, der Verwaltungschef der Region Süddänemark.

"Wir brauchen die Zusammenarbeit und wir werden beide Nutzen von der Zusammenarbeit haben. Wachstum können wir in Schleswig-Holstein und in Süddänemark nur gemeinsam erreichen. Beide Gebiete liegen entfernt von den beiden Wachstumsregionen Hamburg und Kopenhagen. Wir wollen aber keine Außenseiterregion sein, sondern mittendrin, wo wir Gegebenheiten gemeinsam nutzen und gemeinsam wachsen."

Dass die Landesregierung in Kiel dafür 16 Millionen Euro zur Verfügung stellen will, hat selbst Anke Spoorendonk positiv überrascht. Die Politikerin sitzt für den SSW im Landesparlament, vertritt also die Interessen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Seit Jahren mahnt sie, den Norden des Landes nicht zu vernachlässigen, die Zusammenarbeit mit Dänemark zu verbessern. Und lobt den sonst von ihr vielfach kritisierten konservativen Regierungschef und sein Kabinett.

"Bemerkenswert ist schon, wie die neue Landesregierung sich mit dem Thema beschäftigt. Und da sage ich auch ganz offen, dass sie sehr viel mehr bewegt hat, als die Vorgängerregierung. Sie hat Interesse daran, Lust dazu. Das mag letztlich auch mit der Arbeitsmarktsituation zusammenhängen. Aber insgesamt sehen wir schon, dass jetzt viele neue Möglichkeiten bestehen. Ich sehe das schon sehr positiv!"