Neue Feindschaft, alte Muster
Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hält Vergleiche von Islamfeinden mit Antisemiten grundsätzlich für gerechtfertigt. Ähnlich seien die "Wahnvorstellungen", die sich bei den jeweiligen Ressentiments vorfinden ließen.
Britta Bürger: Feindbild Muslim, Feindbild Jude – schon mehrfach hat sich der Historiker Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, mit diesem umstrittenen Vergleich in die Öffentlichkeit gewagt. Diesmal wird er dafür besonders heftig attackiert, sowohl in den großen Feuilletons als auch im Internet. In diversen Blogs gipfelt das in dem Vorwurf, Benz selbst sei Antisemit. Wir bitten den Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik gleich zu einer differenzierten Bewertung dieser Debatte.
Seit den Terroranschlägen vom 11. September nehmen Ressentiments gegenüber dem Islam zu, nicht nur gegenüber dem radikalen Islamismus, sondern generell gegenüber Muslimen. Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern schüren eine muslimfeindliche Stimmung, die in der Gesellschaft auf mehr und mehr Akzeptanz stößt. Gleichzeitig äußern sich auch immer mehr Intellektuelle kritisch zu Entwicklungen im Islam. Darauf reagierte der Historiker Wolfgang Benz mit seinem Essay in der "Süddeutschen Zeitung" Anfang Januar. Darin vergleicht er Islamkritik mit dem Antisemitismus des 19. Jahrhunderts – Auftakt für eine heftige Kontroverse.
Im Studio begrüße ich den Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der diese Kontroverse aufmerksam verfolgt hat. Was halten Sie von Wolfgang Benz' vergleichender Vorurteilsforschung? Kann man die Vorurteile gegenüber Juden überhaupt mit denen gegenüber Muslimen vergleichen?
Micha Brumlik: Ich finde, dass Wolfgang Benz, was die sozialpsychologische Sache angeht, mit seinem Vergleich der heutigen Islamfeindlichkeit und der Judenfeindschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts völlig recht hat. Es geht hier zunächst einmal nicht darum, wie sich Juden und Muslime tatsächlich verhalten, sondern welche Wahnvorstellungen sich bei den Antisemiten und bei den heutigen Muslimfeinden vorfinden lassen.
Nun gibt es in der Tat einen wesentlichen Unterschied, dass es nämlich einen gewaltbereiten Islamismus und Ähnliches bei den Juden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts überhaupt nicht gegeben hat. Aber bei Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ist es immer so, dass partielle Tatsachen mit generalisierenden Vorurteilen vermischt werden. Die Nationalsozialisten zum Beispiel haben gesagt, was völlig richtig ist, dass ein großer Teil der Führung der Bolschewiki Juden gewesen sind. Überhaupt kein Zweifel! Frühe Antisemiten haben beklagt, dass die Rothschilds als Könige der Epoche zu großen Einfluss gehabt hätten, also das Problem liegt genau darin, dass vereinzelte Wahrnehmungen, vereinzelte, vermeintliche Tatsachen zu einem generalisierenden Verdacht über eine ganze Bevölkerungs- und Religionsgruppe aufgeblasen werden.
Bürger: Benz bezieht sich ja auf den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts vor allem, nicht auf den Holocaust. Kann es sein, dass allein der Begriff Antisemitismus diese Differenzierung in vielen Köpfen ausschaltet, dass Antisemitismus immer im Kontext des Holocaust gesehen wird und es deshalb vielleicht die falsche Vergleichsgröße ist?
Brumlik: Das ist zumal in Deutschland mit Sicherheit der Fall. Wir sind ja der Meinung, dass der sich über Jahrhunderte vom christlichen Antijudaismus bis zum weltanschaulichen Antisemitismus vorbereitende Judenhass mit einer gewissen Zwangsläufigkeit nach Auschwitz geführt hat. Das ist eine Betrachtung, die aus der Retrospektive angestellt wird und die natürlich überhaupt nichts zwingend hat. Wir müssen uns also davon befreien und können trotzdem zugeben, dass auch ganz ohne den nationalsozialistischen Mord an sechs Millionen europäischen Juden der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts für die Juden in Deutschland schlimm genug gewesen ist.
Bürger: Werden in dieser Debatte vor allem jüdische Empfindlichkeiten berührt?
Brumlik: Da bin ich mir nicht so sicher. Es mag sein, dass es jüdische Vertreterinnen und Vertreter gibt, die der Meinung sind, dass Judenhass eine ganz einmalige Form vorurteilsbeladenen, fremdenfeindlichen Verhaltens ist – und das ist historisch insofern richtig, als bisher nur diese Vorurteilsstruktur zu den Gaskammern von Auschwitz und Treblinka geführt hat. Aber sozialpsychologisch und von der inneren Struktur solcher Ideologien her gibt es da doch viele Gemeinsamkeiten. Ich darf darauf hinweisen, dass dem Judentum im 19. Jahrhundert ganz ähnliche Vorurteile entgegenschlugen, dass es nämlich eine harte, kalte, auf Herrschaft und Rache gegründete Unterwerfungsreligion gewesen sei. Man könnte zeigen, dass die damalige sogenannte Kritik nicht zuletzt protestantischer Theologen am Judentum sich zum Teil bis aufs Wort mit dem schneidet, was man heute glaubt, über den Islam sagen zu können.
Bürger: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik. Wolfgang Benz hat mit seinem Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" Anfang des Jahres nicht nur eine Debatte in den Feuilletons ausgelöst, auch im Internet entlädt sich regelrecht eine Welle von Beschimpfungen gegen ihn. Wie erklären Sie sich, Herr Brumlik, die Schärfe dieser Debatte?
Brumlik: Das hängt zum einen mit der aktuellen politischen Großwetterlage, was die Integration von Muslime in Europa angeht, zusammen. Einerseits die Schweizerische Abstimmung zum Minarettverbot, die gegenwärtige politische Debatte in Frankreich um das Verbot der Burka, der Umstand, dass einige islamkritische Publizisten unter den Anstellungen all ihrer anderen sonstigen liberalen Überzeugungen nun plötzlich die Schweizer Volksabstimmung begrüßt haben – das schafft doch eine Gereiztheit in der Sache. Ein Teil dieser Publizisten ist ja wirklich davon überzeugt - wie ich meine, zu Unrecht - dass die islamische Integration fehlgelaufen ist und dass Muslime eine Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung darstellen, und da es sich bei alledem dann immer um meinungsfreudige Publizisten handelt, schaukelt sich das sowohl im Internet als inzwischen auch in den Printmedien wechselseitig hoch.
Bürger: Derzeit müssen sich ja auch in Deutschland lebende Muslime und vor allem Muslimas, Frauen wie Necla Kelek, vorwerfen lassen – ich weiß nicht, ob Sie sie auch da jetzt mit eingeschlossen haben schon in Ihrer Kritik –, sie würden mit der Rechten paktieren. Warum ist es in Deutschland so schwer, den Islamismus zu kritisieren, ohne Beifall von rechts oder Angriffe von links zu riskieren?
Brumlik: Na ja, weil rechtspopulistische Bewegungen ja nicht dumm sind. Sie merken, mit Holocaustleugnungen oder Nationalismus ist es im vereinten Europa jetzt nichts mehr, bleibt ein Ticket, und das ist die Islamfeindlichkeit. Und da springen diese Rechtspopulisten mit einem sehr klaren Bewusstsein drauf. Das Problem der liberal-konservativen Islamkritiker und Islamkritikerinnen ist, dass sie Schwierigkeiten haben, bei wem sie andocken wollen.
Umgekehrt ist es natürlich problematisch: Wenn eine Forscherin und Professorin wie Birgit Rommelspacher in der "TAZ" dann Leute wie Ates und Kelek irgendwie ebenfalls in die Nähe rechtspopulistischer oder gar nationalsozialistischer Ideologinnen und Ideologen stellt – man fragt sich, ob es nicht ein bisschen, ja, einfacher ginge, warum man eigentlich immer zu diesen Hämmern greifen muss, um sich öffentlich auseinanderzusetzen.
Bürger: Sind viele Deutsche möglicherweise auch überfordert von diesem Thema, weil es gar nicht mehr in das alte Schubladendenken passt? Ich meine damit die Fraktion zum Beispiel der alle umarmenden Multikultigesellschaft, die vielleicht nicht hinterherkommt, dass sich Muslimas wie Necla Kelek im wahrsten Sinne des Wortes emanzipiert haben, also heraustreten aus der Ecke der einst Stigmatisierten und nun selbst öffentlich kritisch denken?
Brumlik: Ich glaube, was man Personen wie Kelek übelnimmt, ist, dass sie nicht das tut, was diese multikulturellen Kreise erwarten – nämlich einen selbstbewussten, liberalen Islam zu vertreten, der aus sich selbst heraus spricht –, sondern dass sie doch ein starkes Anlehnungsbedürfnis an die sogenannte, von den Multikulturalisten natürlich kritisierte christliche Leitkultur in diesem Land an den Tag legt.
Bürger: Welchen Ausweg aus dieser aktuellen Kontroverse empfehlen Sie?
Brumlik: Ich würde dazu raten, den Tonfall zu ermäßigen, darauf zu verzichten, im jeweiligen Gegner jeweils den Inbegriff des Bösen zu sehen, der also entweder hier den Islamismus einführen will oder andererseits in einer strikten rechtspopulistischen Tradition steht. Ich glaube, das muss jetzt einfach sachlich weiterdiskutiert werden. Vielleicht sollte man sich bemühen, öffentliche, wissenschaftliche Debatten zu etablieren, die nun nicht nur von jemandem, der Partei ist, in dieser Auseinandersetzung wie Wolfgang Benz ausgerichtet wird, sondern von anderen Gremien, und dass man das jetzt wirklich mal so vorurteilsfrei wie möglich öffentlich debattiert und dabei den politischen Gegner durchaus achtet und ihm seine wissenschaftliche und persönliche Würde lässt.
Bürger: Antisemitismus und Islamkritik, der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik über die aktuelle Debatte über die Äußerungen des Historikers Wolfgang Benz. Herr Brumlik, danke Ihnen fürs Gespräch!
Brumlik: Ich bedanke mich!
Seit den Terroranschlägen vom 11. September nehmen Ressentiments gegenüber dem Islam zu, nicht nur gegenüber dem radikalen Islamismus, sondern generell gegenüber Muslimen. Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern schüren eine muslimfeindliche Stimmung, die in der Gesellschaft auf mehr und mehr Akzeptanz stößt. Gleichzeitig äußern sich auch immer mehr Intellektuelle kritisch zu Entwicklungen im Islam. Darauf reagierte der Historiker Wolfgang Benz mit seinem Essay in der "Süddeutschen Zeitung" Anfang Januar. Darin vergleicht er Islamkritik mit dem Antisemitismus des 19. Jahrhunderts – Auftakt für eine heftige Kontroverse.
Im Studio begrüße ich den Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der diese Kontroverse aufmerksam verfolgt hat. Was halten Sie von Wolfgang Benz' vergleichender Vorurteilsforschung? Kann man die Vorurteile gegenüber Juden überhaupt mit denen gegenüber Muslimen vergleichen?
Micha Brumlik: Ich finde, dass Wolfgang Benz, was die sozialpsychologische Sache angeht, mit seinem Vergleich der heutigen Islamfeindlichkeit und der Judenfeindschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts völlig recht hat. Es geht hier zunächst einmal nicht darum, wie sich Juden und Muslime tatsächlich verhalten, sondern welche Wahnvorstellungen sich bei den Antisemiten und bei den heutigen Muslimfeinden vorfinden lassen.
Nun gibt es in der Tat einen wesentlichen Unterschied, dass es nämlich einen gewaltbereiten Islamismus und Ähnliches bei den Juden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts überhaupt nicht gegeben hat. Aber bei Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ist es immer so, dass partielle Tatsachen mit generalisierenden Vorurteilen vermischt werden. Die Nationalsozialisten zum Beispiel haben gesagt, was völlig richtig ist, dass ein großer Teil der Führung der Bolschewiki Juden gewesen sind. Überhaupt kein Zweifel! Frühe Antisemiten haben beklagt, dass die Rothschilds als Könige der Epoche zu großen Einfluss gehabt hätten, also das Problem liegt genau darin, dass vereinzelte Wahrnehmungen, vereinzelte, vermeintliche Tatsachen zu einem generalisierenden Verdacht über eine ganze Bevölkerungs- und Religionsgruppe aufgeblasen werden.
Bürger: Benz bezieht sich ja auf den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts vor allem, nicht auf den Holocaust. Kann es sein, dass allein der Begriff Antisemitismus diese Differenzierung in vielen Köpfen ausschaltet, dass Antisemitismus immer im Kontext des Holocaust gesehen wird und es deshalb vielleicht die falsche Vergleichsgröße ist?
Brumlik: Das ist zumal in Deutschland mit Sicherheit der Fall. Wir sind ja der Meinung, dass der sich über Jahrhunderte vom christlichen Antijudaismus bis zum weltanschaulichen Antisemitismus vorbereitende Judenhass mit einer gewissen Zwangsläufigkeit nach Auschwitz geführt hat. Das ist eine Betrachtung, die aus der Retrospektive angestellt wird und die natürlich überhaupt nichts zwingend hat. Wir müssen uns also davon befreien und können trotzdem zugeben, dass auch ganz ohne den nationalsozialistischen Mord an sechs Millionen europäischen Juden der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts für die Juden in Deutschland schlimm genug gewesen ist.
Bürger: Werden in dieser Debatte vor allem jüdische Empfindlichkeiten berührt?
Brumlik: Da bin ich mir nicht so sicher. Es mag sein, dass es jüdische Vertreterinnen und Vertreter gibt, die der Meinung sind, dass Judenhass eine ganz einmalige Form vorurteilsbeladenen, fremdenfeindlichen Verhaltens ist – und das ist historisch insofern richtig, als bisher nur diese Vorurteilsstruktur zu den Gaskammern von Auschwitz und Treblinka geführt hat. Aber sozialpsychologisch und von der inneren Struktur solcher Ideologien her gibt es da doch viele Gemeinsamkeiten. Ich darf darauf hinweisen, dass dem Judentum im 19. Jahrhundert ganz ähnliche Vorurteile entgegenschlugen, dass es nämlich eine harte, kalte, auf Herrschaft und Rache gegründete Unterwerfungsreligion gewesen sei. Man könnte zeigen, dass die damalige sogenannte Kritik nicht zuletzt protestantischer Theologen am Judentum sich zum Teil bis aufs Wort mit dem schneidet, was man heute glaubt, über den Islam sagen zu können.
Bürger: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik. Wolfgang Benz hat mit seinem Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" Anfang des Jahres nicht nur eine Debatte in den Feuilletons ausgelöst, auch im Internet entlädt sich regelrecht eine Welle von Beschimpfungen gegen ihn. Wie erklären Sie sich, Herr Brumlik, die Schärfe dieser Debatte?
Brumlik: Das hängt zum einen mit der aktuellen politischen Großwetterlage, was die Integration von Muslime in Europa angeht, zusammen. Einerseits die Schweizerische Abstimmung zum Minarettverbot, die gegenwärtige politische Debatte in Frankreich um das Verbot der Burka, der Umstand, dass einige islamkritische Publizisten unter den Anstellungen all ihrer anderen sonstigen liberalen Überzeugungen nun plötzlich die Schweizer Volksabstimmung begrüßt haben – das schafft doch eine Gereiztheit in der Sache. Ein Teil dieser Publizisten ist ja wirklich davon überzeugt - wie ich meine, zu Unrecht - dass die islamische Integration fehlgelaufen ist und dass Muslime eine Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung darstellen, und da es sich bei alledem dann immer um meinungsfreudige Publizisten handelt, schaukelt sich das sowohl im Internet als inzwischen auch in den Printmedien wechselseitig hoch.
Bürger: Derzeit müssen sich ja auch in Deutschland lebende Muslime und vor allem Muslimas, Frauen wie Necla Kelek, vorwerfen lassen – ich weiß nicht, ob Sie sie auch da jetzt mit eingeschlossen haben schon in Ihrer Kritik –, sie würden mit der Rechten paktieren. Warum ist es in Deutschland so schwer, den Islamismus zu kritisieren, ohne Beifall von rechts oder Angriffe von links zu riskieren?
Brumlik: Na ja, weil rechtspopulistische Bewegungen ja nicht dumm sind. Sie merken, mit Holocaustleugnungen oder Nationalismus ist es im vereinten Europa jetzt nichts mehr, bleibt ein Ticket, und das ist die Islamfeindlichkeit. Und da springen diese Rechtspopulisten mit einem sehr klaren Bewusstsein drauf. Das Problem der liberal-konservativen Islamkritiker und Islamkritikerinnen ist, dass sie Schwierigkeiten haben, bei wem sie andocken wollen.
Umgekehrt ist es natürlich problematisch: Wenn eine Forscherin und Professorin wie Birgit Rommelspacher in der "TAZ" dann Leute wie Ates und Kelek irgendwie ebenfalls in die Nähe rechtspopulistischer oder gar nationalsozialistischer Ideologinnen und Ideologen stellt – man fragt sich, ob es nicht ein bisschen, ja, einfacher ginge, warum man eigentlich immer zu diesen Hämmern greifen muss, um sich öffentlich auseinanderzusetzen.
Bürger: Sind viele Deutsche möglicherweise auch überfordert von diesem Thema, weil es gar nicht mehr in das alte Schubladendenken passt? Ich meine damit die Fraktion zum Beispiel der alle umarmenden Multikultigesellschaft, die vielleicht nicht hinterherkommt, dass sich Muslimas wie Necla Kelek im wahrsten Sinne des Wortes emanzipiert haben, also heraustreten aus der Ecke der einst Stigmatisierten und nun selbst öffentlich kritisch denken?
Brumlik: Ich glaube, was man Personen wie Kelek übelnimmt, ist, dass sie nicht das tut, was diese multikulturellen Kreise erwarten – nämlich einen selbstbewussten, liberalen Islam zu vertreten, der aus sich selbst heraus spricht –, sondern dass sie doch ein starkes Anlehnungsbedürfnis an die sogenannte, von den Multikulturalisten natürlich kritisierte christliche Leitkultur in diesem Land an den Tag legt.
Bürger: Welchen Ausweg aus dieser aktuellen Kontroverse empfehlen Sie?
Brumlik: Ich würde dazu raten, den Tonfall zu ermäßigen, darauf zu verzichten, im jeweiligen Gegner jeweils den Inbegriff des Bösen zu sehen, der also entweder hier den Islamismus einführen will oder andererseits in einer strikten rechtspopulistischen Tradition steht. Ich glaube, das muss jetzt einfach sachlich weiterdiskutiert werden. Vielleicht sollte man sich bemühen, öffentliche, wissenschaftliche Debatten zu etablieren, die nun nicht nur von jemandem, der Partei ist, in dieser Auseinandersetzung wie Wolfgang Benz ausgerichtet wird, sondern von anderen Gremien, und dass man das jetzt wirklich mal so vorurteilsfrei wie möglich öffentlich debattiert und dabei den politischen Gegner durchaus achtet und ihm seine wissenschaftliche und persönliche Würde lässt.
Bürger: Antisemitismus und Islamkritik, der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik über die aktuelle Debatte über die Äußerungen des Historikers Wolfgang Benz. Herr Brumlik, danke Ihnen fürs Gespräch!
Brumlik: Ich bedanke mich!