Das Risiko klettert mit
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Im April 2019 starben die Bergsteiger David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley in einer Lawine. Sein Sport sei nicht ohne Risiko zu haben, hatte Auer gesagt. Experten sagen aber, die Gefahr steige überall. Bergsteiger spürten den Klimwandel hautnah.
Am 16. April 2019 ging eine Ära zu Ende. Drei Spitzenbergsteiger starben in einer gewaltigen Lawine am Howse Peak im kanadischen Banff Nationalpark: die beiden Tiroler David Lama und Hansjörg Auer sowie ihr US-amerikanischer Kletterpartner Jess Roskelley.
Zuerst galten die drei Extremkletterer am 3295 Meter hohen Howse Peak als vermisst. Aber schon in der ersten Stellungnahme von Reinhold Messner schwang kaum mehr Hoffnung mit: "Die Möglichkeit, dass die drei in einem Biwak unter einem Überhang überlebt haben, ist nicht null, aber nahezu null, weil diese Lawine offensichtlich aus Eis- und Schneemassen, die 1000 Meter runtergekommen sind, bestand, die eine derartige Wucht haben, dass sie alle Sicherungen herausreißen und alles, was im Weg steht, mitnehmen. Die Tatsache, dass man Seile im Schnee gesehen hat, im Lawinenkegel, zeigt, dass sie mitgerissen worden sind und in diesen Schneemassen, da reichen der Luftdruck und ein paar Eisbrocken, um diese großartigen Bergsteiger zu erschlagen."
Drei Spitzenbergsteiger tot
David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley wollten eine schwierige Route an der Ostwand des Berges in den kanadischen Rocky Mountains klettern. Alle drei zählten in der Bergsteigerszene zu den Besten der Besten.
Roskelley hatte als Zwanzigjähriger mit seinem Vater den Mount Everest bestiegen und war der jüngste US-Amerikaner auf dem höchsten Gipfel der Erde; über das Abenteuer am Howse Peak wollte er seinen Vater sofort informieren. Doch der versprochene Anruf kam nicht. Daraufhin alarmierte sein Vater die Rettungsmannschaften.
Vom Hubschrauber aus war eine Lawine riesigen Ausmaßes zu erkennen. Die Suche musste allerdings wegen Wetterverschlechterung und steigender Lawinengefahr abgebrochen werden. Erst fünf Tage nach dem Unglück wurden die Leichen der Bergsteiger gefunden. Die Kletterwelt war erschüttert.
Ebenso erging es Reinhold Messner, der die Verunglückten und deren Familien kannte. "Schlimmer kann es nicht sein: Die drei sind am Ende der Welt in einer entlegenen Gegend ums Leben gekommen. Der Alpinismus verliert damit einen führenden Bergsteiger aus den USA; der Vater von Roskelley war schon eine Zeit lang der amerikanische Bergsteiger, nun ist sein Sohn ums Leben gekommen in der Mitte des Lebens, in der besten physischen Zeit, weitere große Sachen zu machen", sagt die Kletterlegende.
"Hansjörg Auer – eine unheimlich nette, hilfsbereite Familie im Ötztal – das betrifft mich am meisten", fährt Messner fort. "Ich hab’ mit ihm zusammen einen Film gedreht in Afrika und hab’ ihn öfter getroffen und ich glaube, als Allrounder im Fels, im Granit, im Kalk, im Eis, in der großen Höhe, denken wir nur an die Erstbegehung am Nilgiri, war er wenn nicht Nummer eins, so doch unter den allerbesten Kletterern in Europa. Und David Lama hat gezeigt, dass er fähig ist, sein Kletterkönnen aus der Halle in die großen Berge der Welt zu tragen, hat einen Siebentausender erst kürzlich erstbestiegen, hat den Cerro Torre frei geklettert, und das hat die ganze Welt beeindruckt, nicht nur uns Bergsteiger."
Von der Halle in die Berge
Mit David Lama und Hansjörg Auer haben zwei inspirierende und richtungsweisende Alpinisten ihr Leben verloren. David Lama galt als "Kletter-Wunderkind", nachdem er den Jugendcup des Österreichischen Alpenvereins gewonnen hatte.
Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Überfliegers war Extrembergsteiger Peter Habeler: "Der David war mein alpiner Ziehsohn. Er hat als Viereinhalbjähriger bei mir in den Kinderkursen zu klettern begonnen und ich hab’ sofort gesehen: Der Bursche kann was, der steigt richtig hin, ist bewegungsfreudig, hat keine Furcht, keine Angst. Ich hab’ ihm damals lustigerweise prophezeit, dass er Weltmeister wird. Er wurde es auch im Vorstieg, natürlich in der Halle. Aber es hat mich schon getroffen, und zwar deshalb umso schlimmer, als der David mich vor nicht allzu langer Zeit durch die Eiger-Nordwand geführt hat anlässlich meines 75. Geburtstags. Und ich bin schon in Schockstarre gewesen."
Mit seinem Entschluss, nach dem Weltmeistertitel 2008 seine erfolgreiche Karriere als Wettkampfkletterer in der Halle aufzugeben, hatte David Lama das Abenteuer in der Senkrechten wieder populär gemacht. Sein Credo: "Richtiges Klettern ist für mich am Fels."
Das hat Alexander Huber, den Jüngeren der "Huberbuam", besonders beeindruckt. "David hatte seine Visionen und zuerst ist er ja als Wettkampfkletterer groß geworden, aber vielleicht durch seine Wurzeln – er hat einen nepalischen Vater – war es für ihn irgendwo klar: Rein das Wettkampfklettern wird es nicht sein und er hat am Ende dieses Wettkampfkletterkönnen ganz aktiv in diese Welt der Berge übertragen."
Free solo durch den "Fisch"
Hansjörg Auer war 35 und damit sieben Jahre älter als David Lama, als das Lawinenunglück geschah.
Beide haben auf unterschiedliche Art und Weise versucht, Grenzen zu verschieben und das Bergsteigen zu ihrer Lebensphilosophie gemacht. Hansjörg Auer sagte einmal: "Klettern und Bergsteigen im Grenzbereich ist kein Spiel ohne Risiko – aber eines, ohne das ich nicht leben kann. Das Einzige, was zählt, ist der Moment. Ich will etwas tun, das mich fordert. Ganz oder gar nicht. Je intensiver, umso mehr bekomme ich retour und umso mehr spüre ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin."
Der Profibergsteiger war ähnlich erfolgreich wie David Lama, kam allerdings – so Alexander Huber – über andere Wege in die Gruppe der weltbesten Kletterer. "Aus dem Ötztal hat er von Haus aus den Zugang zu den Bergen gehabt und er ist über das Alpine mehr in dieses Klettern hineingekommen. Er hatte auch dieses außerordentliche Talent, einen ruhigen Geist zu haben, ein unerschütterliches Selbstvertrauen, das ihm auch möglich gemacht hat, so eine geniale Route durch den 'Fisch', eine legendäre Kletterroute in den Dolomiten, als Erster "free solo" zu klettern. Das war das Zeichen und der Ausdruck eines Könners."
"Jeder Zweite kommt ums Leben"
Hansjörg Auer, David Lama und Jess Roskelley sind trotz ihrer großen Erfahrung und ihres Könnens am 16. April in einer Lawine riesigen Ausmaßes in den kanadischen Rocky Mountains ums Leben gekommen.
"Es gibt Situationen, die man einfach nicht einschätzen kann", sagt der österreichische Lawinenexperte Peter Höller, "Schnee gehört dazu."
Bergsteigen bleibt gefährlich, sagt Reinhold Messner, der zugibt, in einigen Situationen am Berg selbst Glück gehabt zu haben: "Das Verhältnis – wenn man das genauer anschaut und nur die absolute Spitze jeweils einer Generation hernimmt, zehn bis maximal 15 Jahre ist ein Alpinist an der Spitze – dann ist das Verhältnis eins zu eins. Das gibt es in keiner anderen Tätigkeit. Also die Statistik sagt: Jeder Zweite kommt ums Leben."
Der Grat zwischen Scheitern und Erfolg ist schmal beim Bergsteigen. Im vergangenen Jahr war die mehrfache Eiskletter-Weltmeisterin Ines Papert an einem Siebentausender in Tibet nur knapp mit dem Leben davon gekommen: Eine Lawine hatte ihr kleines Zelt unter sich begraben, im letzten Augenblick konnte sie mit ihrem Partner Luka Lindic gerade noch die Zeltstangen brechen und ins Freie fliehen.
Der Himalaya kam in diesem Jahr für die beiden nicht in Frage. Das Ziel war der Mount Fay in Kanada, 3234 Meter hoch. Die Ostwand sollte es sein, mit einer Erstbegehung in direkter Linie.
"Es ist noch nicht vorbei, wenn du am Gipfel bist"
Das Dreier-Team mit Luka Lindic, der Amerikanerin Brette Harrington und Ines Papert brach sehr früh auf, um Stein- und Eisschlag im unteren Teil der 1100 Meter hohen Wand aus dem Weg zu gehen. Als sie weiter oben die bekannte Route verließen und in Neuland vorstießen, wurde es extrem steil – eine Herausforderung der besonderen Art. "Da war dann auf einmal eine total glatte Wand mit Überhängen und total brüchigem Fels. Wir haben lange gesucht, um einen Durchschlupf zu finden, irgendeine natürliche Schwachstelle, um in die obere Headwall zu kommen. Und das wurde am Schluss auch die Schlüsselstelle: Das wurde die härteste Seillänge, überhängend, wo du mit allen Tricks an deinen Eisgeräten arbeiten musst, dazu alles nur mit mobilen Sicherungen gesichert."
Das Abenteuer der Erstbegehung am Mount Fay in Kanada war die Suche nach dem richtigen Weg im steilen bis überhängenden Gelände. Einmal ins Seil zu stürzen, ein ausgesetztes Biwak auf einer nur 60 Zentimeter breiten Schneeplattform bei gefühlten minus 18 Grad zu überstehen – all das gehörte dazu. Am Ende galt es noch, eine Schneewechte zu überwinden, bevor die Seilschaft auf dem Gipfel stehen konnte.
"Es wurde schon langsam dunkel, wir haben es also gerade noch geschafft, bevor wir die Stirnlampen auspacken mussten und waren froh, dass es gerade noch mit dem letzten Licht ging, aber es hat auch gleichzeitig ein Sturm eingesetzt. Wir haben uns kurz gefreut, aber wir wussten: Der Abstieg wird noch einmal eine kleine Tortur. Wir kannten das Gelände nicht und über die Rückseite abzusteigen im totalen White-out in der Nacht könnte noch ein Problem verursachen. Wir hatten zum Glück GPS dabei und haben den Abstieg gut gefunden. Aber es ist noch nicht vorbei, wenn du am Gipfel bist. Also die totale Freude kommt erst, wenn du wieder unten bist."
Sechstausender in Pyramidenform in Peru
Es muss nicht immer Himalaya oder Karakorum sein, dachte sich der bayerische Extremkletterer Alexander Huber, der Jüngere der "Huberbuam". Er brach im vergangenen Sommer nach Peru auf zum Sechstausender Jirischanca.
Der Berg hat die markante Form einer eisbedeckten Pyramide und wird deshalb auch das "Matterhorn Perus" genannt. "Es ist eine 'Fetzen-Wand', hat 1200 Meter Höhe. Was für mich sehr überraschend war, war die Tatsache, dass sie wirklich aus Kalk aufgebaut ist. Das kommt uns recht zugute, weil wir Kalkkletterer sind, so wie wir aufgewachsen sind in den Nördlichen Kalkalpen. Und das wirklich schwierige sind – und das kann ich jetzt nach dieser Expedition als Erfahrung mit nach Hause bringen – immer die Gipfelaufbauten. Das ist das Besondere am tropischen Hochgebirge: Dort sind immer ganz wilde Schneeformationen und die machen es wirklich schwierig."
Nach der Akklimatisierung an der Cordillera Blanca ging es für Alexander Huber und seine beiden Kletterpartner Mario Walder und Fabian Buhl zur Ostwand des Jirischanca, dem eigentlichen Expeditionsziel. "Nachdem wir das soweit vorbereitet haben, ist dann am Ende auch genau das Schönwetter aufgetaucht, das wir gebraucht hätten, ein kleines Zeitfenster, das uns den Weg zum Gipfel möglich gemacht hätte", erinnert sich Huber. "Allerdings haben wir dann das Pech gehabt, dass gerade in diesem Moment der Fabian Buhl eine Mandelentzündung eingefangen hat. Es war eine schwere Entscheidung. Aber es macht einfach keinen Sinn, mit Tonsillitis an den Berg zu gehen, weil letztlich die Gesundheit immer im Vordergrund steht."
Wir sind zu dritt angereist – dann steigen wir zu dritt hinauf oder gar nicht. Das war die Einstellung der Bergsteiger. Und so kam die Seilschaft ohne Gipfelerfolg, aber mit neuen Ideen zurück.
Alexander Huber, der mit seinem Speedrekord an der Nose am El Capitan im Yosemite im Jahr 2007 weltberühmt wurde, rückt auch immer mehr die Felstürme vor seiner Haustür in den Fokus.
So gelang ihm in diesem Jahr eine Erstbegehung an der Maukspitze im Wilden Kaiser, 2231 Meter hoch. Gereizt hat ihn ein markanter, überhängender Felspfeiler. "Gute 250 Meter hoch und durchgehend überhängend, vor allem aber in der Schlüsselstelle richtig steil. Da hängt das Ganze auf einer Länge von 50 Metern 15 Meter hinaus. Da bist du schwer physisch unterwegs, da musst du dich gut festhalten, und weil wir es von der Absicherung her relativ sportlich gestaltet haben, musst du dich auch durchaus trauen, einfach drauflos zu klettern. Wir haben schwer gekämpft, am Limit, aber genau das macht‘s schön."
Klimawandel als Gewissensfrage
Reisen in Zeiten des Klimawandels – das ist ein schmaler Grat, eine Gewissensfrage. Bergsteiger und Kletterer haben unterschiedliche Antworten auf diese besondere Herausforderung. Alexander Huber macht seine Vortragsreisen grundsätzlich mit der Bahn.
Extremkletterer Stefan Glowacz wollte nach Grönland, allerdings so umweltschonend wie möglich. "Mein Traum war halt schon immer mal, von der Haustür weg CO2-neutral unterwegs zu sein. Dieses Jahr sind wir zum Ausgangspunkt, wo wir dann aufs Schiff gegangen sind, mit der Bahn angereist."
Vom Starnberger See mit dem Zug nach Schottland, von dort mit einer Segelyacht nach Grönland und genauso wieder zurück. Kein Wunder, dass die Expedition länger dauerte als sonst.
Nach geglückter Anreise wartete als Herausforderung eine Erstbegehung an der fast 2000 Meter hohen Grundtvigskirken auf den bayerischen Profikletterer. "Ich hatte schon ein ganz eigenartiges Gefühl in dem Moment, als ich den ersten Fuß in die Wand setzte. Ich war am ersten Standplatz in relativ leichtem Gelände völlig ungeschützt und dann hörte ich ein lautes Knacken. Eigentlich dachte ich: Das ist der Gletscher unter uns, der durch die Sonneneinstrahlung in Bewegung kommt. Dann knackte es ein zweites und ein drittes Mal und dann merkte ich, das ist nicht der Gletscher, sondern direkt über uns, ungefähr so 100 bis 150 Meter über uns."
Bedrohliches Knacken
Das drohende Knacken wurde in Sekundenschnelle zur echten Gefahr für Stefan Glowacz und seinen Seilpartner Philipp Hans. "Auf einmal löste sich 100 Meter über mir eine tischgroße Platte fast zeitlupenartig aus der Wand und flog genau auf uns zu. Da wusste ich: Das war’s jetzt. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass wir jetzt beide ums Leben kommen werden."
Die Granitplatte knallte auf einen Felsabsatz und zersprang in tausend Stücke. "Es stank nach Schwefel, überall flogen die Steine herunter, es hat gepfiffen, also es war grausamst. Ich hab‘ dann versucht, mich so nahe wie möglich an die Wand zu pressen und hab‘ einfach auf die Einschläge gewartet. Mich hat dann ein Stein am Handgelenk getroffen, am rechten Unterarm und dann auch noch einmal ein größerer Stein am rechten Oberschenkel."
Der ehemalige Vizeweltmeister im Wettkampfklettern hatte Glück im Unglück. Aber: "Das Schlimmste war, als alles vorbei war, dieser Augenblick, wo ich mich nicht getraut habe, runter zu schauen. Was ist mit dem Philipp? Da hätte auch alles passieren können. Ich hab’ mir gedacht: Vielleicht ist er auch gar nicht mehr da, weil der Stein uns das Seil abgeschlagen hat."
Ein weiteres Mal Aufatmen: Sein Seilpartner wurde vom Steinschlag nur gestreift. Stefan Glowacz dagegen war schwerer verletzt als zunächst angenommen. Und auch mental hat ihm die Begegnung mit der tödlichen Gefahr schwer zu schaffen gemacht.
Trotzdem gelang ihm mit seinem Team eine Erstbegehung an der Grundtvigskirken in Grönland – allerdings in einem anderen Wandabschnitt. "Daraus besteht auch das Bergsteigen: in der Überwindung des inneren Schweinehundes. Natürlich ist es blöd, wenn man so verletzt ist und gegen die Schmerzen, gegen die Verletzung arbeiten muss", sagt Glowacz. "Aber es ist zumindest so, dass man dann da oben steht und für alles entschädigt wird. Und dieser Moment, auch wenn er nur wenige Minute lang dauert, der ist so intensiv, dass man ihn nie mehr in seinem Leben vergessen wird und wo man sagt: Wir haben alles richtig gemacht und es hat sich in jedem Fall gelohnt, sich so zu quälen und so zu schinden."
Klimawandel hautnah zu spüren
Kein Wetterglück im Karakorum hatte der Berchtesgadener Thomas Huber, der Ältere der "Huberbuam". Sein Ziel: die Nordwand des Latok 1, 7145 Meter hoch.
Zum Akklimatisieren war er mit seinem Team am nur unwesentlich niedrigeren Latok 3. "Die Nullgradgrenze stieg 500 Meter höher bis auf 5500 Meter. Wir sind zwar in der Nacht los, aber haben die Berge in der Nacht auch gehört. Es sind Lawinen und Steinschlag runtergegangen. Uns ist es schon so komisch vorgekommen: Die Wärme war derart krass, dass Wasserfälle schon um 8 Uhr morgens runtergegangen sind. Wir haben dann hochgeschaut und haben dann gesagt: Unter diesen Umständen am Berg zu sein wäre lebensbedrohlich."
Das Risiko, vom Lager auf 5400 Meter Höhe weiterzuklettern, war nicht mehr kalkulierbar. Und eine Chance, den Gefahren aus dem Weg zu gehen, gab es nicht. Thomas Huber brach die Expedition ab.
Bereits zum vierten Mal kehrte er ohne Erfolg vom Latok zurück. Aber mit der Erkenntnis: "Diese Wetterkapriolen werden immer extremer. Das ist der Klimawandel, dass man nichts mehr kalkulieren kann: Wann gehst du an den Berg, wann ist die beste Zeit. Ich kann’s momentan im Karakorum gar nicht mehr sagen."
Ganz gleich ob in Patagonien, Grönland, Pakistan oder in den Alpen: Die Bergsteiger spüren den Klimawandel hautnah. In den sensiblen Regionen der Gipfel und Gletscher hat die Erwärmung der Erde gravierende Folgen, auch für das Landschaftsbild. "Ein Berg, der ganz bei uns in der Nähe ist, ist der Großglockner. Dort gibt es die große Pasterze, und wer heute die Großglockner-Hochalpenstraße fährt und von der Hofmannshöhe runterschaut auf die große Pasterze, der wird sie fast gar nicht mehr finden. An sich ein riesiger Zungengletscher, vormals der größte Gletscher Österreichs, aber der wird von oben her nicht mehr mit Eis versorgt, der Gletscher ist oben schon abgerissen. Was die Große Pasterze ausmacht, ist nicht mehr mit Eis von oben versorgt. Sie schmilzt als Toteis nur noch ab. Es ist dramatisch, wenn man sieht, dass es vormals ein zehn Kilometer langer Zungengletscher war und der existiert nicht mehr. Er existiert nur noch als Toteis, das in relativ kurzer Zeit abgeschmolzen sein wird."
Gletscherrückgang erhöht die Gefahr
Der Alpinist und Bergfotograf Bernd Ritschel aus Kochel am See dokumentiert seit Jahren die Folgen des Gletscherrückgangs in den Alpen. Eine Arbeit, in die er auch emotional involviert ist: "Es sind Momente dabei, da könnte ich heulen. Es macht mich traurig, dass ganz viel von dem, was ich erleben konnte, meine Tochter, wenn sie mal mit Hochtouren anfangen und ins Eis gehen sollte, gar nicht mehr erleben kann, weil es nicht mehr da ist. Sie wird keinen Bossons-Gletscher mehr am Mont Blanc erleben, der bis runter ins Tal fließt, der ist einfach weg."
Der bayerische Fotograf ist für sein Gletscherprojekt im ganzen Alpenraum unterwegs, vom Fornogletscher in der Ortlergruppe bis zum Gepatschferner in den Ötztaler Alpen.
Klimawandel und Gletscherrückgang machen das Wandern und Bergsteigen gefährlicher. Das bestätigt Christoph Hummel von der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins. "Die Gletscher sind nicht mehr so tief schneebedeckt. Es gibt öfter Spaltenstürze. Ich selber habe es gerade im letzten Sommer erlebt. Vom Breithorn, wo man früher hinüberspaziert ist und sich keine Gedanken um Gletscherspalten gemacht hat, das ist heute ein Spaltenlabyrinth, da sind viele Gletscherspalten und im Hochsommer verschwindet man da schnell mal mit einem Bein in einer Spalte."
Bergsteiger müssen vorsichtiges sein
Laut Statistik des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit haben sich im vergangenen Jahr bereits einige Unfälle durch Steinschlag ereignet, ausgelöst durch das langsame Auftauen der Permafrost-Zonen. Der sogenannte Permafrost – auch Dauerfrostboden genannt – hat das lockere Gestein in den Gipfelregionen bisher zusammengehalten.
Die neuen Gefahren durch das "Zerbröseln" von ganzen Bergflanken machen eine Verhaltensänderung der Bergsteiger notwendig. Das empfiehlt Karl Gabl, Sicherheitsexperte und Präsident des Österreichischen Kuratoriums. "Einfach immer im Hinterkopf haben: Blick nach oben – befinden sich hier Felsen oder felsabsturzgefährdetes Gelände? Dann schnell sein."
Die neuen Gefahren durch den Klimawandel sind nicht auf bestimmte Berge beschränkt. Überall in den Hochregionen der Alpen ist erhöhte Vorsicht erforderlich, vom Wanderer bis hin zum Bergsteiger schärferer Richtung.
Hohe Risiken gehen die Kletterer in klassischen Eiswänden ein. "Das ist schlichtweg eine Katastrophe", sagt Gabl. "Ich war mal an der Königspitze-Nordwand, die ist praktisch nicht mehr vorhanden. Bis etwa zwei Drittel hinauf ist hier äußerst brüchiger Fels, ist praktisch nicht mehr gangbar. Die Ortler-Nordwand schießt im Sommer aus allen Rohren: Steinschlag, Eisschlag."
Das bedeutet nach Ansicht des Sicherheitsexperten Karl Gabl absolute Lebensgefahr. Er rät zum Verzicht. "Wenn die Frostgrenze sich in Höhe meines Gipfels oder darüber befindet – beim Ortler wären das fast 3900 Meter – Hände weg von diesen Touren, weil da arbeitet der Fels, da arbeitet das Eis."
"Öfter mal Nein sagen"
Im Hochgebirge zeigen sich die Folgen des Klimawandels wie unter einem Brennglas. Bereits auf der Zugspitze ist die Durchschnittstemperatur stärker angestiegen als im bayerischen Alpenvorland: Auf Deutschlands höchstem Berg allein um ein Grad in den vergangenen 35 Jahren.
Stein- und Eisschlag oder der gähnende Schlund einer Gletscherspalte können Angst machen. Aber auch für einen Adrenalinschub sorgen. Je intensiver das Erlebnis, desto stärker das Glücksgefühl, ganz oben zu stehen oder eine schwierige Situation überwunden zu haben. Das haben Amateurbergsteiger und Spitzenalpinisten gemeinsam. Sie gelten als die "Eroberer des Nutzlosen".
Allerdings ist die Sicherheitsreserve in Grönland oder im Karakorum wesentlich kleiner als im Alpenraum. Doch auch hier gilt die Schlussfolgerung von Extremkletterer Thomas Huber, der nach einem Jahr mit vielen tödlichen Unfällen nachdenkliche Töne anschlägt. "Es soll das Signal sein, dass man behutsam an die Sache rangeht, bewusst rangeht und vernünftig ist und vielleicht des Öfteren mal Nein sagt – zu dieser Herausforderung. The mountains are not running away. Das Leben kann zu Ende sein. Dann sind sie für dich nicht mehr machbar."