Ist das Kunst oder muss das weg?
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Über Nacht war sie da: In Hamburg ist von einem Unbekannten eine Bronzeskulptur aufgestellt worden, die einen Graffitisprayer zeigt. Nun wird in der Stadt über den weiteren Umgang mit der Figur diskutiert, die von "Bremens Banksy" stammen soll.
Der Hamburger Rödingsmarkt, kein Markt mehr, sondern eine der meistbefahrenen Kreuzungen der Stadt. Obendrüber fährt die Hochbahn, an einem Brückenpfeiler ist eine rot-weiße Baustellenabsperrung. Ein Bronzekopf schaut dahinter hervor, er gehört zu einer Skulptur, die hier am Montag von Unbekannten aufgestellt wurde.
Ein Fernsehteam von "buten un binnen", dem Lokalmagazin von Radio Bremen, hatte die Skulptur entdeckt. In der Redaktion war ein anonymes Video eingegangen, die Sendung berichtete am Dienstag:
"Der mutmaßliche Erschaffer des Bremer Bronzemanns hat uns diese kurzen Clips geschickt. Zu sehen ist, wie er die neue, wohl von ihm erschaffene Bronzeskulptur zusammen mit Helferinnen und Helfern, wie er sie nennt, aufstellt. Dazu hat er uns den Hinweis dazugegeben, wo die Figur steht."
Getrübte Freude über Street-Art-Kunst
Diese Figur nun stellt einen Graffitisprayer in Kapuzenpulli dar, in der linken Hand eine Plastiktüte, in der rechten eine Spraydose. Die zwergenhafte Gestalt von circa 1,20 Metern könnte auch den hohen Herstellungskosten geschuldet sein, die bei einer Bronzeskulptur schnell im fünfstelligen Bereich liegen.
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda zeigte sich erfreut über das überraschende Geschenk:
"Erstmal freut mich immer, wenn Kunst im öffentlichen Raum auftaucht. Das hatten wir im Bereich der Street-Art bisher eher immer an Häuserwänden."
Er räumt allerdings auch ein: "Wenn jetzt alle anfangen würden, die noch was an Skulpturen zu Hause stehen haben, das in den öffentlichen Raum zu bringen, würde es unübersichtlich werden. So was lebt auch davon, dass es diese einmalige Überraschung ist."
Eine allzu billige Inszenierung?
Was an öffentlichen Orten der Hansestadt an Kunst zu sehen ist, wird auch keinesfalls dem Zufall überlassen: Seit 1981 hat Hamburg das inzwischen sehr renommierte Programm "Kunst im öffentlichen Raum". Eine Kunstkommission berät die Stadt.
Mit einer Sachverständigen dieser Kommission bin ich an der Skulptur verabredet, um sie gemeinsam zu begutachten. Die Kunstexpertin sagt das Interview aber kurzfristig ab: Sie hatte sich in der Zwischenzeit mit der Skulptur und der medialen Inszenierung ihrer Aufstellung beschäftigt.
Von der Skulptur selbst hält sie nichts, daraus macht sie keinen Hehl. Sie wolle sich nicht vor den Karren dieser, in ihren Augen, allzu billigen Inszenierung spannen lassen, indem sie die, "arrogante Kunstschnepfe" spiele und die Kontroverse anheize.
Gesellschaftskritik mit leicht verständlichen Botschaften
Reichlich plakativ ist die Figur auf jeden Fall. In ihrer bronzenen realistischen Behäbigkeit könnte sie auch eine Kleinstadt-Fußgängerzone schmücken. Von ihrem Urheber wird häufig als dem "Bremer Banksy" gesprochen, in Anspielung auf den britischen Street-Art-Künstler, der ebenfalls anonym arbeitet und mit eher leicht verständlichen Botschaften Gesellschaftskritik übt.
Auf diesem Anti-Kunst-Establishment-Ticket fährt nun auch der Schöpfer der neuen Hamburger Bronzeskulptur, der sich selbst Mohamed Smith nennt. Das verrät ein Barcode an der Statue. Doch sicher findet diese Kunst ein Publikum, das eher nicht so oft in Galerien geht – und dem viele Kunstwerke im öffentlichen Raum verschlossen bleiben.
Kultursenator Brosda glaubt auch, dass diese Skulptur an einem offiziellen Auswahlverfahren gescheitert wäre:
"Es ist eine andere künstlerische Position als die, die es meistens durch die hiesigen Jurys schafft, ich will das mal so herum formulieren und gar nicht inhaltlich bewerten. Aber tatsächlich hat es in der Kunst im öffentlichen Raum in den letzten Jahren noch mal einen verschärften Trend zur Abstraktion gegeben und dazu, dem Betrachter mehr abzuverlangen. Hier wird ihm weniger abverlangt, dazu kriegt es eine zusätzliche Dimension durch den performativen Akt des Aufstellens ohne Genehmigung über Nacht."
Die Menschen auf der Straße werden wohl entscheiden
Klug gewählt ist der Ort der Skulptur immerhin: Durch den Straßenverkehr, der täglich an ihr vorbeirauscht, hat sie ein beachtliches Publikum. Ob sie dort stehen bleiben darf, darüber wird das Ortsamt wohl vor allem unter Sicherheitsaspekten befinden.
Ob es sich um Kunst handelt, werden dieses Mal die Menschen auf der Straße entscheiden – und keine Jury. Angefüttert natürlich von den Medien, die sich gerne auf die Seite des ach-so-frechen Kunstguerilleros schlagen und damit Auflage machen – und Quote.
Der ominöse Mohamed Smith, wird hoffentlich in weiteren Aktionen zeigen, was von ihm als Künstler zu halten ist. Oder, wie Brosda am Ende des Gesprächs noch sagte: Man könne jetzt gespannt sein, ob die nächste Skulptur in Berlin auftaucht – oder doch eher in Hannover.