Neue Heimat West-Berlin
1969 musste Günter Brus aus Österreich fliehen. In West-Berlin fand er auf Anhieb eine Heimat. Seine Erinnerungen über die Zeit in der geteilten Stadt hat der Aktionskünstler nun in einem Band zusammengefasst.
1969 kam der Künstler Günter Brus mit Frau und Kind und einem Koffer nach West-Berlin und fand hier auf Anhieb eine Art Heimat inmitten von Wiener Künstlerfreunden und Schöneberger Dreck. In seiner Heimat Österreich drohte ihm wegen einer seiner Aktionen, in der man die "Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole" sah, eine Haftstrafe. Deswegen die Flucht nach West-Berlin. Die geteilte Stadt war damals vielen mehr oder weniger Bedrohten – vor dem Bundeswehreinzug oder vor der griechischen Militärregierung – ein Zufluchtsort.
Die erste Wohnung bezieht die kleine Familie in einer Neuköllner Kriegsruine: Hinterhof, Parterre. Günter Brus tröstet sich mit dem "klaren kantischen Berliner Himmel" und den "Alleebäumen, die den Rand der preußisch-breiten Gehsteige umflorten". Brus und seine Freunde sind arm und kreativ, neugierig und frech. Sie leben gerne in der geteilten Stadt, denn: "Das gute alte West-Berlin war, mit Verlaub, damals in seiner Gespaltenheit wirklicher, illustrer und intimer als im ewigen Größenwahn 'Metropolis', der die Preußen immer wieder einholte."
Ohne Verklärung erzählt der West-Berliner auf Zeit von den frühen 70er-Jahren. Er besucht die Kommune 1, wo Rainer Langhans ihm ordentlich geführte Leitz-Ordner präsentiert und Uschi Obermeier nackt vorbeihuscht. Der "Zwiebelfisch" am Charlottenburger Savignyplatz wird ihm zum Stammlokal, in dem er mit Oswald Wiener, Hermann Nitsch und Gerhard Rühm nächtelang flippert. Man gründet auch eine Galerie und Zeitschriften, denkt über Aktionen und Bücher nach, und am Ende werden die vielen österreichischen Künstler, die damals die halbe Stadt bevölkerten, vor allem eine kulinarische Spur hinterlassen: Oswald Wiener eröffnet gemeinsam mit seiner Frau das Restaurant "Exil", zeigt den Ess-Ignoranten an der Spree, dass und wie gut gekocht werden kann.
Das Erinnerungsbuch von Günter Brus macht eine Zeit lebendig, in der der Sperrmüll der wohlhabenden Bezirke den ärmeren die Wohnungseinrichtung sicherte; in der die angesagten Galerien noch in Köln ansässig waren; in der ein Finanzbeamter den Künstler wieder nach Hause schickt, weil der doch von seiner Kunst sowieso nicht leben könne. Der Spott und die Verachtung für den Zwangsstaat DDR ist allgegenwärtig, schließlich gehört zum Leben in West-Berlin auch die Überquerung der Grenze mit den unfreundlichen Grenzbeamten, die Absurdität der dortigen Stempelmanie, die pädagogisch sich gerierenden Vopos bei Verkehrskontrollen auf der Transitstrecke. Ostalgie ist für diesen ehemaligen West-Berliner deswegen eine besonders ekelhafte Krankheit von Ex-Gefängnisbewohnern.
Durch die Reflexionen des Künstlers übers Schreiben, sein Misstrauen gegenüber der eigenen Erinnerungsfähigkeit gehen die Geschichten – und Bilder – dieses Buchs weit über bekannte Autobiografien hinaus. "Die Berliner Luft ist dufte", schreibt Brus, "aber sie verweht auch die Erinnerungen. Von meiner elfjährigen Lebenszeit in West-Berlin blieb ein dürrer Band namens 'Das gute alte West-Berlin' übrig. So sehr ich mich nachdenklich bemühe, die Einfälle diktieren mir nur Ausfälle."
Günter Brus: Das gute alte West-Berlin
Verlag Jung und Jung,
Salzburg 2010
179 S., 22 Euro
Die erste Wohnung bezieht die kleine Familie in einer Neuköllner Kriegsruine: Hinterhof, Parterre. Günter Brus tröstet sich mit dem "klaren kantischen Berliner Himmel" und den "Alleebäumen, die den Rand der preußisch-breiten Gehsteige umflorten". Brus und seine Freunde sind arm und kreativ, neugierig und frech. Sie leben gerne in der geteilten Stadt, denn: "Das gute alte West-Berlin war, mit Verlaub, damals in seiner Gespaltenheit wirklicher, illustrer und intimer als im ewigen Größenwahn 'Metropolis', der die Preußen immer wieder einholte."
Ohne Verklärung erzählt der West-Berliner auf Zeit von den frühen 70er-Jahren. Er besucht die Kommune 1, wo Rainer Langhans ihm ordentlich geführte Leitz-Ordner präsentiert und Uschi Obermeier nackt vorbeihuscht. Der "Zwiebelfisch" am Charlottenburger Savignyplatz wird ihm zum Stammlokal, in dem er mit Oswald Wiener, Hermann Nitsch und Gerhard Rühm nächtelang flippert. Man gründet auch eine Galerie und Zeitschriften, denkt über Aktionen und Bücher nach, und am Ende werden die vielen österreichischen Künstler, die damals die halbe Stadt bevölkerten, vor allem eine kulinarische Spur hinterlassen: Oswald Wiener eröffnet gemeinsam mit seiner Frau das Restaurant "Exil", zeigt den Ess-Ignoranten an der Spree, dass und wie gut gekocht werden kann.
Das Erinnerungsbuch von Günter Brus macht eine Zeit lebendig, in der der Sperrmüll der wohlhabenden Bezirke den ärmeren die Wohnungseinrichtung sicherte; in der die angesagten Galerien noch in Köln ansässig waren; in der ein Finanzbeamter den Künstler wieder nach Hause schickt, weil der doch von seiner Kunst sowieso nicht leben könne. Der Spott und die Verachtung für den Zwangsstaat DDR ist allgegenwärtig, schließlich gehört zum Leben in West-Berlin auch die Überquerung der Grenze mit den unfreundlichen Grenzbeamten, die Absurdität der dortigen Stempelmanie, die pädagogisch sich gerierenden Vopos bei Verkehrskontrollen auf der Transitstrecke. Ostalgie ist für diesen ehemaligen West-Berliner deswegen eine besonders ekelhafte Krankheit von Ex-Gefängnisbewohnern.
Durch die Reflexionen des Künstlers übers Schreiben, sein Misstrauen gegenüber der eigenen Erinnerungsfähigkeit gehen die Geschichten – und Bilder – dieses Buchs weit über bekannte Autobiografien hinaus. "Die Berliner Luft ist dufte", schreibt Brus, "aber sie verweht auch die Erinnerungen. Von meiner elfjährigen Lebenszeit in West-Berlin blieb ein dürrer Band namens 'Das gute alte West-Berlin' übrig. So sehr ich mich nachdenklich bemühe, die Einfälle diktieren mir nur Ausfälle."
Günter Brus: Das gute alte West-Berlin
Verlag Jung und Jung,
Salzburg 2010
179 S., 22 Euro