Sonja Eismann ist Mitbegründerin und -herausgeberin des "Missy Magazine" und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt, referiert und unterrichtet zu Themen rund um Feminismus und Popkultur. Zuletzt gab sie im März 2019 gemeinsam mit "Missy"-Chefredakteurin Anna Mayrhauser die Literaturanthologie "Freie Stücke. 15 Geschichten über Selbstbestimmung" heraus.
Weibliche Ikonen in der Sexismusfalle
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Ob Klimaaktivistin Thunberg, Sea-Watch-Kapitänin Rackete oder Friedensnobelpreisträgerin Yousafzai – die jungen Frauen werden als neue Heldinnen bejubelt. Dabei spiele Sexismus allerdings keine geringe Rolle, meint Journalistin Sonja Eismann.
"The Future Is Female" liest man immer wieder als Slogan auf T-Shirts. Diese Prophezeiung scheint sich zu bewahrheiten: Der Einsatz für eine lebenswerte Zukunft für alle kommt momentan hauptsächlich von jungen Frauen, die als Heilsbringerinnen bejubelt – oder aber als fanatische Ideologinnen verteufelt werden. Denn in die Bewunderung für diese Protestiererinnen, die existentielle Probleme unserer Zeit aufgreifen, mischt sich immer mehr Kritik bis zum offenen Hass. Der Umgang mit Greta Thunberg ist dafür exemplarisch.
Je mehr mediale Aufmerksamkeit die erst 16 Jahre alte Aktivistin für ihre Forderungen und Aktionen bekommt, desto gehässiger werden die Anfeindungen gegen sie. Denn der Aufstieg dieser "ganz normalen" Frauen und Mädchen zu Heldinnen folgt dem Starprinzip – und wer von vielen umjubelt wird, wird in der Regel auch von vielen gehasst.
Mehr Celebrity als Aktivistin
Darin zeigt sich nur eine der vielen Ambivalenzen dieser neuen Ikonen: Sie wollen für eine Sache stehen, werden aber als Persönlichkeiten wahrgenommen. Sie kommen aus Bewegungen, in denen Basisdemokratie und gemeinschaftliches Engagement wichtig sind, werden aber in den Medien als alleinige Sprachrohre, ja, Celebrities abgebildet.
Was aber bringt es, wenn Einzelpersonen aus emanzipatorischen Bewegungen zu Stars erkoren werden, die die Arbeit all der Millionen anderen, die eben nicht fotografiert und in Talkshows eingeladen werden, überstrahlen und quasi unsichtbar machen? Und ist es nicht zwiespältig, wenn so das Klischee bestärkt wird, Frauen seien aufgrund ihrer größeren Empathie dazu prädestiniert, die Probleme zu lösen, die Männer in den vergangenen Jahrtausenden verbockt haben?
Frauen – die bessere Menschen?
Paradoxerweise ist es zu einem Gutteil dem immer noch vorherrschenden Sexismus zu verdanken, dass diese neuen Ikonen so viel Aufmerksamkeit finden. Denn es erscheint weiter als außergewöhnlich, dass Frauen, zumal mit politischen Anliegen, selbstbewusst in die Öffentlichkeit treten – und sich noch nicht einmal Gedanken darüber machen, wie sie dabei aussehen. Dass die geflochtenen Zöpfe von Thunberg oder Racketes Verzicht auf einen BH so viel Interesse auslösen, ist da nur symptomatisch. Auch die Vorstellung von Frauen als den "besseren", den fürsorglicheren Menschen, die sich um das Wohl der ganzen Welt sorgen, ist letztlich sexistisch.
Auch Frauen setzen sich schließlich machtbewusst für reaktionäre Gesellschaftsmodelle ein, und auch Männer kämpfen an vorderster Front selbstlos für das Klima. Aber das Bild von der "von Natur aus schwachen", im Streit für das Gute über sich selbst hinauswachsenden jungen Frau, die den mächtigen alten Männern die Stirn bietet, ist in einer Männer-dominierten Gesellschaft wohl so faszinierend, dass sich alle darauf stürzen.
Die Zukunft ist divers
Trotz dieser verzwickten Gemengelage brauchen wir nicht weniger, sondern mehr dieser Ikonen, finde ich. Auch, weil durch das große Medieninteresse an ihnen der fortdauernde Sexismus unserer Gesellschaft ausgestellt wird. Und weil sie durch ihre schiere Präsenz tatsächlich für eine diversere Zukunft stehen und Vorbilder sein können. Für all die zum Beispiel, die sich in der Gegenwart noch nicht so recht vorstellen können, selbst politisch aktiv zu werden, weil es ihnen an sichtbaren "Role-Models" fehlt.
Je mehr dieser Ikonen es gibt, desto weniger ikonenhaft werden sie – und damit auch weniger dem Scheitern ausgesetzt. Nein, sie werden im Idealfall Teil einer neuen Normalität: Menschen unterschiedlichster Couleur, die sich ungeachtet ihres Geschlechts für Dinge einsetzen, die sie für die gesamte Menschheit als wichtig erachten.