Schluss mit dem Brockenhexen-Image
Weniger piefig, dafür entspannter und weltoffener müsste sich der Harz präsentieren, wenn er mehr Gäste anlocken will, finden Touristik-Experten. Es gibt sogar die Idee für eine "Republik Harz", um das Mittelgebirge als eine eigenständige Region zu vermarkten.
Der schaukelnde Gang über die 483 Metern lange Hängeseilbrücke an der Harzer Rappbodetalsperre ist ein bisschen so, als wär man auf hoher See.
"Oh, das ist ja eine schwankende Angelegenheit. Ich dachte immer, die übertreiben. Aber das ist ja tatsächlich so."
Nervenkitzel pur. Auch Antonia Kaloff, eine junge Magdeburger Radiomoderatorin, hat ein mulmiges Gefühl.
"Naja, wenn es windig ist, merkt man es erst auf der Brücke, wie windig es wirklich ist. Ich glaub, dann kommt das Ding schon ganz schön ins schwingen. Und wenn dann wirklich über 200 Menschen hier drauf sind ... (lacht) ... dann wird's richtig lustig."
Ein Test für den Gleichgewichtssinn. Ab Windstärke 8 mit etwa 65 Stundenkilometern wird die Hängeseil-Brücke allerdings gesperrt. Exakt 210 Menschen dürfen sich zeitgleich auf ihr aufhalten. Mehr allerdings nicht. Zu gefährlich, sagen die Betreiber.
Die Brücke besteht aus einem durch Geländer eingerahmten Gitterrost, der lediglich an ein paar Seilen hängt. Dabei schweben die Besucher 100 Meter über dem Abgrund des Rappbodetals. Parallel zur Brücke verläuft die gleichnamige Talsperre mit Deutschlands höchster Staumauer. Wir sind in der Nähe von Rübeland im Ostharz.
Wem der Gang über die 483 Meter lange Hänge-Brücke allerdings nicht reicht, der kann sich mit einem sogenannten Pendelsprung etwa 70 Meter in die Tiefe stürzen und durchs Tal schwingen.
Autor: "Das ist dann für ganz Verrückte!"
Kaloff: "Das ist für die Freaks. Also, wem das hier nicht reicht und den ganz besonderen Kick haben will, der macht das. Ich gehöre nicht dazu."
Autor: "Ich auch nicht."
Draußen nur Kännchen oder Cappuccino mit Sprühsahne
Die Idee von der Hängebrücke mit dem Pendelsprung stammt von Stefan und Maik Berkes, der eine Tischler, der andere Dachdecker. Zwei umtriebige Brüder, Fans des Erlebnistourismus. Sie wollen dem Harz neues Leben einhauchen. Selbst Naturschützer sind begeistert, weil sie dem Mittelgebirge ein modernes Bild vermitteln. Jenseits von Hexenmythos und röhrenden Hirschen.
"Als Touristiker kann ich das nur gut finden. Das ist ein Highlight. Das zieht jüngere Leute an oder Familien mit Kindern. Das macht dort keinen Schaden."
Ganz im Gegenteil, sagt Friedhart Knolle, Sprecher des Nationalparks Harz. Die Hängebrücke ist eine Chance, dem etwas verstaubten Image ein Schnippchen zu schlagen. Denn viele Menschen assoziieren mit dem Harz immer noch stiefmütterliche und piefige Gastlichkeit: Blümchentapete drinnen, draußen nur Kännchen oder Cappuccino mit Sprühsahne. Enge Gästezimmer mit Wachstischdecken, durchgelegene Matratzen und muffelnde Gardinen, wie aus den 60er-Jahren.
"Da gibt's böse Sprüche - die sogenannten indischen Zimmer: Toiletten jenseits des Ganges. Das ist aus offiziellem Munde ein Zitat. Aber heute gibt's auch hochklassige Vier-Sterne-, Fünf-Sterne-Häuser im Harz. Es ist eben die Mischung, die ist eben sehr durchwachsen."
Anders formuliert: Der Harz-Tourismus ist ungleich verteilt. Während sich in Wernigerode, Quedlinburg oder Braunlage die Touristen tummeln, über anmutige Marktplätze, durch wunderschöne Innenstädte schlendern, sieht die Welt in den kleineren Orten völlig anders aus. Hier stehen die Hotels leer, verfallen. Es gibt mancherorts kaum Restaurants, wenn man Winters in einen Schneesturm, Sommers in ein Gewitter kommt, kann die Bushaltestelle, der Discounter der einzige Schutz sein.
Nachlassende Investitionen im Ostharz
Ein Problem gerade für den sachsen-anhaltischen Ostharz. Nach dem Mauerfall wurde dort mächtig in die Tourismus-Infrastruktur investiert. Das hat aber deutlich nachgelassen.
"Im Moment sehe ich im westlichen Teil des Harzes einen größeren Investitionsschwung."
... sagt Axel Dreyer, Professor für Tourismus-Management an der Hochschule Harz in Wernigerode, Gründungsdirektor des Instituts für Tourismusforschung.
Das Quartiersniveau im Harz müsse viel besser werden, ergänzt Martin Linne, Experte für Betriebswirtschaft und Tourismusmanagement und ebenfalls Professor an der Hochschule Harz. Vorher war er Kurdirektor in Helgoland und Chef der Tourismus GmbH in Wilhelmshaven:
"Es muss diese Anker- und Push-Investitionen geben, die überhaupt Wettbewerbsdruck erzeugen. Das geschieht in den letzten Jahren. Und das ist sicher eine Frage der Zeit, bis die Blümchentapeten verschwinden werden. Das hat hier im Harz ein bisschen länger gedauert als in anderen Destinationen."
... sei aber unabdingbar, wenn der Harz im Konzert der deutschen Tourismus-Regionen mitspielen will. Die letzten Jahre waren vom Reformationsjubiläum geprägt, jetzt ist das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum dran. Der Harz falle da in Sachsen-Anhalt ein bisschen hinten runter, so Linne weiter.
"Wenn ich mich hier in einem Pseudo-Dirndl hinstelle und draußen nur Kännchen verkaufe, dann wirkt es eben altbacken. Das heißt: Neu Denken, moderner Denken, zeitorientierter Denken, kundenorientierter Denken. Inszenieren. Das ist, was dem Harz guttäte."
Abschied von der verstaubten Postkartenidylle
Auf jeder Reisemesse werde der Harz mit dem Brockenhexen-Image verkauft. Damit müsse Schluss sein, sagt Touristiker Linne. Von dieser arg verstaubten Postkarten-Pseudoidylle müsse sich der Harz-Tourismus schleunigst verabschieden.
Tourismus-Experten haben aber auch die Service-Wüste im Harz als ein Problem ausgemacht. Die Mitarbeiter in Gasthäusern und Hotels müssen lockerer, entspannter, fröhlicher, ja weltoffener werden, sagen die Touristik-Experten Martin Linne und Axel Dreyer. Dann kämen schon die Gäste.
Dreyer: "Dann werden wir auch dauerhaft gute Betriebe haben."
Linne: "Ich würde es auf die Formel bringen: Substanz statt Hochglanz. Das ist es."
Nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Sachsen-Anhalt bleiben die Gäste exakt 2,4 Tage im Harz. Zu wenig, sagen die Bürgermeister der Harz-Kommunen. Tourismus-Experten nicken. Sie raten, der Harz müsse sich vielmehr als eine Region verstehen, so wie man es vom Schwarzwald oder vom Bayrischen Wald her kennt.
Idee für eine "Republik Harz"
Problem erkannt, sagt der Goslaer Oberbürgermeister Oliver Junk. Sein Vorschlag: Einen Großkreis Harz über fünf Harzlandkreise und drei Bundesländer-Grenzen hinweg. Die Republik Harz - um das Mittelgebirge als eine zusammenhängende eigenständige Region ins Bewusstsein zu rücken. Um den Harz kommunal, national und international zu stärken. Ein Großkreis Harz: Klingt widersinnig im föderalen Deutschland. Vielleicht aber die einzige Chance, so Junk weiter.
"Wenn jemand eine Woche Urlaub macht in Goslar, dann kann ich ihn in Goslar, ein, zwei Tage begeistern. Und für alle anderen Tage brauche ich Wernigerode, brauche ich Schierke, brauche ich den Brocken, brauche ich Walkenried, brauche ich das Weltkulturerbe, brauche ich die ganze Region. Es gibt viele Bürgermeisterkollegen, die das verstanden haben. Und die es nicht verstanden haben, werden es lernen müssen."
Und der Harz sei doch ein ideales Urlaubsgebiet, ergänzt noch Christdemokrat Oliver Junk, der Oberbürgermeister von Goslar. Das Mittelgebirge liegt nur 200 Kilometer von Berlin, 200 Kilometer von Hamburg, 200 Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt, also mittendrin. Und eine Region Harz, ein Großkreis Harz würde auch den Stolz der Harzer fördern. So wie man es vielleicht aus Oberbayern oder von Nordsee-Inseln kennt.
Zurück zu Hängebrücke, die das Rappbodetal überspannt. Betreiber Stefan Berkes will den Harz nicht dem Billig-Kommerz, dem Remmi-Demmi-Tourismus preisgeben, sagt er. Weshalb man beim Bau der Brücke – um ja nichts falsch zu machen – gar 30 Umweltgutachten erstellen ließ, eng mit den Naturschutzverbänden zusammengearbeitet habe. Nachts – wenn die Brücke bunt beleuchtet ist – werde man beispielsweise nur Lichter verwenden, die die Tiere nicht stören.
"Und wenn man die tatsächlichen Eingriffe in die Natur sieht, die sind gering. Da wurden ein paar Büsche und Bäume entfernt. Wir haben keine hunderte Hektar Wald fällen müssen, es gibt kaum Eingriffe."
Die Hängeseil-Brücke sei doch mal was wirklich Neues, sagt die Erfurterin Julia Hoffmann, sie ist extra deswegen in den Harz gekommen. Nichts für schwache Nerven, sagt sie. Aber gut für die Region.