Industrie muss Rationalisierungen ausgleichen
Wohin bewegen sich die Unternehmen der Metallindustrie mit "Industrie 4.0" in den nächsten Jahren? Viele Arbeitsplätze werden von neuen Technologien wegrationalisiert. Es sei Aufgabe der Unternehmen, durch Innovationen für neue Berufsfelder und Arbeitsplätze zu sorgen, sagt der neue IG Metall-Chef Jörg Hofmann.
Die IG Metall hat eine neue Doppelspitze: Jörg Hofmann als Erster Vorsitzender und Christiane Benner als Vizechefin sollen in den kommenden Jahren die Geschicke der Gewerkschaft bestimmen und den Schritt zur "Industrie 4.0" begleiten und unterstützen.
Der neue Gewerkschaftschef Hofmann sagte im Deutschlandradio Kultur, es komme in den nächsten Jahren vor allem darauf an, die durch neue Technologien wegfallenden Jobs durch neu entstehende Berufsfelder und Arbeitsmöglichkeiten zu kompensieren: "Genügend neue Geschäftsmodelle und Wachstum, die ausgleichen, was über Rationalisierung weg fällt - das wird eine ganz entscheidende Frage sein: Dass unsere Kolleginnen und Kollegen nicht unter die Räder der Digitalisierung der Arbeitswelt kommen."
Ein weiteres wichtiges Thema sei die Qualifizierung und Fortbildung der Mitarbeiter: Der Anspruch auf Bildungszeit sei ein wichtiges Gut, um zu gewährleisten, dass sich auch ältere Mitarbeiter während ihres Erwerbslebens weiterentwickeln könnten.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Sie ist die Gewerkschaft überhaupt – wenn man an eine Arbeitnehmervertretung denkt, dann an sie, an die IG Metall, an die Industriegewerkschaft IG Metall. Namen wie Klaus Zwickel, Franz Steinkühler, die hat man wahrscheinlich noch länger im Kopf. Sie erinnern an die Geschichte der Arbeiterbewegung. Doch die Welt verändert sich - und besonders die Arbeitswelt - und damit auch die Arbeit der Gewerkschaften, also auch die der IG Metall. Jörg Hofmann, bisher Stellvertreter, wurde gestern zum neuen IG-Metall-Chef gewählt, und ihn wollen wir fragen, was die Veränderung der Arbeitswelt für die – schönes altes Wort – Sozialpartnerschaft bedeuten. Schönen guten Morgen, Herr Hofmann!
Jörg Hofmann: Guten Morgen!
von Billerbeck: Erst mal Gratulation zum neuen IG-Metall-Chef, der Sie ja jetzt sind.
Hofmann: Danke!
von Billerbeck: Wie fühlt man sich denn so als Gewerkschaftsboss?
Hofmann: Na ja, man fühlt sich in viel Verantwortung, gerade auf das Thema, das Sie anmoderiert haben: Wie gestalten wir im Interesse unserer Kolleginnen und Kollegen die Zukunft der Arbeitsgesellschaft?
von Billerbeck: Wie werden sich denn die Tätigkeiten verändern? Was weiß man schon darüber, was da passieren wird, auch als Gewerkschafter?
"Bis zu 50 Prozent der heutigen Tätigkeiten werden wegfallen"
Hofmann: Natürlich weiß man nicht alles im Detail, aber wir wissen zwei Punkte ganz sicher. Zunächst mal, wir haben es mit ganz normalen Rationalisierungstechnologien zu tun, und die Frage ist, gibt es genügend neue Jobs, die die wegfallenden ersetzen? Gibt es genügend neue Geschäftsmodelle, Wachstum, die ausgleichen, was über Rationalisierung wegfällt. Es wird eine ganz entscheidende Frage sein, dass unsere Kolleginnen und Kollegen nicht unter die Räder kommen in der Digitalisierung der Arbeitswelt. Und die zweite Frage ist: Es werden sich natürlich die Tätigkeitsprofile extrem verändern. Manche gehen davon aus, bis zu 50 Prozent der heutigen Tätigkeiten werden wegfallen. Und was heißt das für Qualifikation und die Anpassung der Qualifikation der Beschäftigten, damit sich nicht aus dem – damit ihre berufliche Entwicklung auch Perspektive hat.
von Billerbeck: Nun haben Sie gerade etwas Gegensätzliches gesagt. Sie haben einerseits gesagt, es sind ganz normale Rationalisierungsprozesse, und andererseits gibt es extreme Veränderungen. Wie bringt denn eine Gewerkschaft wie die IG Metall das zusammen?
Hofmann: Indem wir auf beide Aspekte schauen. Wir müssen schauen, damit Sicherheit für die Beschäftigten weiter möglich ist. Sicherheit ergibt sich einerseits dadurch, dass wir sagen, wir müssen natürlich darauf drängen, dass wegfallende Arbeitsplätze auch durch neue Wachstumsimpulse, durch Innovation, durch Investitionen in die Zukunft möglich sind. Und das Zweite ist, wir müssen das Thema der Qualifizierung der Beschäftigten nach vorne treiben. Es wird die Dynamik des Prozesses es nicht mehr zulassen, dass neue Qualifikationen sozusagen im Generationenwechsel in die Betriebe und in die Büros kommen, sondern wir müssen auch während des Arbeitslebens die Chance haben, dass die Beschäftigten sich an neue Herausforderungen so anpassen können, damit sie auch ihre berufliche Entwicklung im Kontext neuer Technologien, im Kontext der digitalen Arbeitswelt weiter sicher haben.
von Billerbeck: Aber das ist doch eigentlich nichts Neues, das gibt es doch schon seit vielen Jahren. Wenn wir unsere Arbeitsverhältnisse angucken, wir beide könnten gar nicht miteinander reden, wenn die ganze Technik um mich herum hier nicht wäre, und das ist ja sicher bei Ihren Kollegen in der IG Metall auch nicht viel anders. Da wird ja nicht mehr gefeilt.
"In der Dynamik der Entwicklung liegt das Brisante"
Hofmann: Ganz sicher. Wenn Sie mal in die Betriebe vor 30 Jahren schauen, hätten Sie auch 50 Prozent der Tätigkeiten, die Sie damals vorfanden, heute nicht mehr. Die Frage ist weniger der Umfang der Veränderungen, da hatte ich jetzt gar nicht die große Befürchtung, sondern die Dynamik der Veränderung. Wie schnell kommt sie? Wie schnell entstehen auf der anderen Seite neue Wachstumsfelder, und wie schnell sind wir in der Lage, Qualifikationen anzupassen. In der Dynamik der Entwicklung liegt an und für sich das eigentlich Brisante.
von Billerbeck: Und wie schnell reagiert dann eine Gewerkschaft darauf? Es gab ja schon oft Themen, wo Gewerkschaften manche Themen verschlafen haben, denken wir an die Zeitarbeit zum Beispiel, denken wir an die Veränderungen der Arbeitszeiten. Da hat es lange gedauert, bis sich die Gewerkschaften da auch befleißigt haben, sich auch um die Leute zu kümmern, die eben unter anderen Verhältnissen arbeiten als ein normales, festangestelltes Gewerkschaftsmitglied. Wie machen Sie das in diesem Fall, mit der Digitalisierung und der von Ihnen angesprochenen Qualifizierung auch im Betrieb, während der Arbeit.
Hofmann: Wir haben gerade schon letztes Jahr damit begonnen, indem wir jetzt jedem Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie den Anspruch auf eine Bildungsfreizeit eröffnet haben, selbstständig, selbstbestimmt berufliche Entwicklung gestalten zu können und die Möglichkeit, sich während des Arbeitslebens weiterzuentwickeln. Das ist mal ein erster Baustein von weiteren, die kommen müssen. Ich nehme mal an, das ganze Thema, wie können wir auch neue Arbeitsmodelle, neue Flexibilitätsmodelle stärker vereinbaren auch mit Arbeit und Leben. Das wird eine ganz zentrale Fragestellung sein, wie wir die Zukunft der Arbeitsgesellschaft gestalten können. Deswegen ist auch jetzt auf diesem Gewerkschaftstag das Thema Arbeitszeit und Arbeitszeitgestaltung eines der zentralen, mit denen wir uns beschäftigen werden.
von Billerbeck: Wie wird denn die Gewerkschaft das regeln, wenn zukünftig das, was wir in vielen Berufen ja schon erleben, immer stärker sein wird, nämlich die Nicht-mehr-Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, dieses Viel-mehr-Überlappen von Arbeit in die Freizeit durch eben neue Technologien. Denn wir kennen das ja, wenn man mal frei haben will, dann muss man sich eigentlich komplett abschalten.
"Selbstbestimmung der Beschäftigten ist ein ganz entscheidender Schlüssel"
Hofmann: Ich denke, wir müssen diese Frage, dass sich der Arbeitstag eben nicht mehr so stringent gliedert, wie wir es bisher in vielen Bereichen kennen und heute auch noch kennen, diese Frage aufgreifen. Und da ist für mich das Stichwort Selbstbestimmung der Beschäftigten ein ganz entscheidender Schlüssel. Die kommt aber nicht automatisch, und man kann sie auch nicht nur erklären. Sie braucht auch ihre Rahmenbedingungen, ihre Rechte, ihre Ansprüche, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Regelungen, die sinnvollerweise kollektiv erzielt werden, weil der Einzelne ist dann im konkreten Aushandlungsprozess doch in der Regel der Unterlegene?
von Billerbeck: Und wie machen Sie das, dass sie die Einzelnen, die da manchmal auch eben sehr alleinkämpferisch tätig sind und eben nicht die starke Gewerkschaft hinter sich haben, dann doch spüren, dass da so etwas wie Ihre Organisation hinter ihnen steht?
Hofmann: Indem man die Menschen auch beteiligt, auch beteiligt an der Frage, was sind unsere Prioritäten, wenn wir etwa über mobiles Arbeiten reden. Wir haben gerade wunderbare Beteiligungsprozesse in einigen Unternehmen, wo Tausende von Kolleginnen und Kollegen von sich aus die Regeln diskutieren, die notwendig sind, dass ein faires Miteinander von Arbeit und Leben, auch etwa bei mobiler Arbeit in Zukunft möglich ist.
von Billerbeck: Jörg Hofmann war das, der frisch gekürte IG-Metall-Vorsitzende. Danke Ihnen, und alles Gute für Ihre Arbeit!
Hofmann: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.