Der Trend zur meditativen Langsam-Guckerei
Ohne Special Effects, Gebrüll oder Gags – das sogenannte Slow TV findet sich nun auch in der Werbung wieder. Die schwedischen Macher einer neuen IKEA-Kampagne haben sich davon inspirieren lassen. Ihr Reklamefilm beginnt mit einer minutenlangen Abwaschszene.
"Wollt ihr das wirklich sehen?", fragt der junge Mann, der gerade den Abwasch macht, auf Schwedisch mit englischen Untertiteln: "Ihr wisst, dass ihr jetzt weiterskippen könnt, oder?" Na klar wissen wir das, denn dies ist ja eins dieser typischen YouTube-Reklamefilmchen, bei denen man nach ein paar Sekunden endlich "Skip Ad" klicken kann.
"Das wird ziemlich lange dauern ...", warnt der junge Mann: Aber fast alle gucken weiter zu, wie er fünf Minuten lang sein Geschirr abwäscht, während im Hintergrund ein Radio quasselt und gelegentlich ein Hund quengelt. Und manchmal wird, ganz kurz nur, der Name und Preis eines Produktes eingeblendet – der Lampe etwa, oder der Tasse.
Knutschen vor dem Fernseher
Die jungen Leute, die sich in der Kneipe beim lustigen Armdrücken abwechseln, lassen sich nicht von der Kamera irritieren. Das Pärchen aber, das beim Fernsehen rumknutscht, beschwert sich: "Ihr könnt die Werbung jetzt überspringen", sagt die Frau, "dies ist irgendwie privat!" Weil wir aber nicht aufhören, zuzugucken, steht sie irgendwann genervt auf, und die restlichen Minuten liegt er allein auf dem Sofa und guckt in die Glotze. Ende.
Die schwedische Kreativagentur, die diese IKEA-Kampagne betreut, hat sich vom in Norwegen höchst erfolgreichen Phänomen des Slow TV inspirieren lassen. Mehrstündige Führerstands-Zugfahrten durch wunderschöne Landschaften gibt es inzwischen zu Tausenden im Internet, und in den Neunzigern gab es die auch bei uns im Fernsehen in den nächtlichen Programmpausen.
Szene einer 134 Stunden Nonstop-Übertragung unterwegs mit Hurtigruten, der traditionellen norwegischen Postschifflinie, von Bergen nach Kirkenes© picture alliance / dpa / NRK
Aber eine 134-stündige Fahrt mit dem Hurtigrutenschiff von Bergen im norwegischen Süden bis nach Kirkenes in der Barentssee im Fernseh-Hauptprogramm, ach was: als Rund-um-die-Uhr-Sendung von Donnerstag bis Mittwoch nonstop, die dann sogar zu einem Volksfest ausartete mit an die Küste gestürmten Zuschauern, die tanzten – das war doch ein anderes Kaliber! Das zog einen hypnotisch in seinen Bann. Und irgendwann fragte man sich, wohin wohl grad die Kuh am Ufer geht, die seit fast zehn Minuten im Bild ist.
Strick-Übertragung und Feuerholznacht
Danach kamen die norwegischen Macher mit einer Strick-Übertragung: die komplette Herstellung eines Pullovers – vom Scheren des Schafes über das Spinnen der Wolle bis zum Stricken des Pullovers in Originalzeit.
Zuschauerproteste gab es nur mal nach der Nationalen Feuerholznacht - in den Wald gehen, Feuerholz schlagen, es aufschichten, ein bisschen Palaver und eine singende Säge und dann acht Stunden, in denen das Feuerholz in verschiedenen Kaminen und Öfen brannte. Das Publikum aber regte sich auf über die Frage, ob das Feuerholz zum Trocknen mit der Rinde nach oben oder nach unten gestapelt werden muss. Und die Einschaltquote lag bei 20 Prozent!
Seit acht Jahren laufen die Programme jetzt in Norwegen. Inzwischen ist Netflix bei der meditativen Langsam-Fernseherei eingestiegen. Die BBC zeigt Bootsfahrten auf den schönen englischen Kanälen, der NDR "Die Elbe - Ganz in Ruhe".
Michael Nyman komponiert für eine Waschmaschine
Und jetzt aber: IKEA! Die Möbelhaus-Kampagne ist der Fanfarenstoß, der die Subkultur aus der Nische in die offizielle Kultur katapultiert: Der englische Komponist Michael Nyman, bekannt vor allem für seine Filmmusiken zu Peter Greenaway-Filmen, gab vor ein paar Tagen bekannt, dass er jetzt einen 40-Grad-Waschgang einer Samsung-Waschmaschine in einer einzigen Kameraeinstellung vertonen wird.
