Doppelspitze als "Leitungsmodell der Zukunft"
Erprobung neuer Theaterformen mit einem festen Kreis von Regisseuren und Autoren – das sind nur einige der Pläne von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg für das Schauspielhaus Zürich. Sie übernehmen dort ab der Saison 2019 als Doppelspitze die Intendanz.
Eckhard Roelcke: Matthias Lilienthal, der Intendant der Münchner Kammerspiele hat bereits gratuliert, Zitat: "Gute Leute bekommen gute Jobs. Die Stadt Zürich kann glücklich sein, die beiden im Schauspielhaus zu haben. Lilienthal gratulierte Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg, der eine Hausregisseur an den Kammerspielen, der andere Chefdramaturg.
Jetzt ist Nicolas Stemann, von Zürich kommend, direkt zu mir ins Studio gekommen, Benjamin von Blomberg ist telefonisch aus München zugeschaltet. Herr Stemann, Herr von Blomberg, guten Abend! Herr Stemann, es gab in Zürich eine Findungskommission, die haben Sie mit Ihrem Konzept überzeugt. Gibt es denn in diesem Konzept einen Punkt, von dem Sie sagen, der ist für uns ganz wesentlich, ganz entscheidend?
Nicolas Stemann: Es gibt natürlich sehr viele Punkte, aber das, was vielleicht das Überzeugende ist, dass wir verschiedene Erfahrungen aus Theaterzusammenhängen, die ich gemacht habe, zusammenbringen wollen und tatsächlich gucken wollen, wie kann eigentlich ein Stadttheater heute aussehen. Muss das so aussehen, wie wir es kennen, oder kann das auch eine völlig andere Form kriegen?
Und da haben wir vor, mit einer relativ kleinen Gruppe von Theatermachern uns zusammen zu tun, also eine Gruppe von vier, fünf Leuten einzuladen, und zusagen: Ihr könnt hier euer Theater verwirklichen, wenn ihr euch in dieser Stadt niederlasst mit uns zusammen, wenn ihr richtig fest an dieses Theater kommt.
Und da haben wir vor, mit einer relativ kleinen Gruppe von Theatermachern uns zusammen zu tun, also eine Gruppe von vier, fünf Leuten einzuladen, und zusagen: Ihr könnt hier euer Theater verwirklichen, wenn ihr euch in dieser Stadt niederlasst mit uns zusammen, wenn ihr richtig fest an dieses Theater kommt.
Und dann wollen wir mit diesen Leuten sehr unverwechselbare, eigenständige, vielleicht auch ganz neue Theaterformen entwickeln. Und die sollen dann gezeigt werden, gern in Zürich sowieso, die sollen in und für Zürich entstehen. Und dann sollen sie aber auch woanders hin, touren können. Wir überlegen, Koproduktionen zu machen, uns international zu vernetzen.
Klare Abgrenzung zum Theater als Festivalbetrieb oder Gastspielort
Roelcke: Die sollen also nach Zürich kommen, die sollen in Zürich wohnen. Das bedeutet, Sie wollen das Theater, das Stadttheater ganz neu verankern in der Stadt.
Stemann: Genau. Das ist eine deutliche Abgrenzung zu einer Form von Theater, die es ja auch gibt, die es auch neuerdings dann in dieser Stadt wahrscheinlich geben wird. Dass man sagt, wir kuratieren, wir gehen mit einem großen Scheckheft durch die Welt und laden Sachen ein, die an anderen Orten entstanden sind und machen aus diesen Stadttheatern, die ja Produktionsstätten sind, das sind Orte, an denen soll Theater produziert werden und entstehen, machen aus diesen Orten dann so was wie Festivalbetriebe oder Gastspielorte. Und davon grenzen wir uns ganz klar ab.
Roelcke: Gibt es da einen Namen, von dem Sie sich da auch abgrenzen?
Stemann: Ich glaube, das kann sich jetzt vielleicht jeder selbst denken, der steht hier so groß im Raum.
Stemann und Blomberg schöpfen aus dem Fundus einer jahrelangen Zusammenarbeit
Roelcke: Herr von Blomberg, seit vielen Jahren arbeiten Sie mit Nicolas Stemann zusammen, er der Regisseur, Sie der Dramaturg. Wie verteilen Sie denn künftig da die Rollen in Zürich, wenn Sie nun beide Intendanten werden?
von Blomberg: Ich weiß gar nicht, ob das dann im konkreten Erleben so anders sein wird. Das eine, was wir tatsächlich haben, ist eine konkrete Zusammenarbeit in den Produktionen, da bin ich sein Produktionsdramaturg. Das andere ist, dass ich an dem Ort, wo wir jetzt gerade zusammenarbeiten, in München, auch Chefdramaturg bin und deswegen mit ihm auch als Hausregisseur im Gespräch darüber war, wie man prinzipiell über einen Ort nachdenkt und wie man da eine Kultur des Zusammenarbeitens schafft.
Da sind wir extrem geübt drin, und ich würde tatsächlich denken, dass das irgendwie ein Versprechen sein könnte, dass das, was die aber auch in der konkreten Arbeit suchen, also wie man es schafft, dass sehr unterschiedliche Menschen zusammen Theater machen, darin möglichst frei werden, möglichst zu ihrer eigenen Kraft finden.
Und trotzdem hat man das gemeinsame Arbeiten in einem sehr lebendigen und offenen und auch diskursfreudigen und durchaus auch streitbaren Prozess, dass sich das verlängern lässt auf eine ganze Institution, da sind wir überzeugt von.
Spielerischer Umgang mit der Frage "Who is the boss?"
Roelcke: Streitbarer Prozess – kann es denn auch sein, dass sich mal die Frage stellt, who is the boss, oder anders gefragt, ist der Konsens zwischen Ihnen irgendwie verpflichtend?
von Blomberg: Ganz im Gegenteil.
Stemann: Jetzt müssen wir uns so ein bisschen ins Wort fallen.
von Blomberg: Jetzt schon, die ganze Zeit, genau. Also ich glaube, das ist etwas Spielerisches, was Sie jetzt gerade erleben. Wir kennen uns einfach sehr lange. Man kennt sich zwölf Jahre, hat sich in sehr unterschiedlichen Situationen erlebt, auch in Situationen des großen Dissens, und auch in Situationen, in denen Konflikte entstanden sind. Und dass man die aber schon mal bewältigt hat, das ist erstens etwas, worauf man aufbauen kann.
Mit der Doppelspitze in der Intendanz werden "Hierarchien abgebaut"
Roelcke: Herr Stemann, Sie nicken …
Stemann: Ich nicke, ja, also jetzt mal Konsens in diesem Punkt. Und wir glauben ja, dass das tatsächlich ein Leitungsmodell der Zukunft ist. Theater sind sehr hierarchisch organisierte Betriebe. Da gibt es immer einen Menschen, der steht an der Spitze. Und tatsächlich, die Persönlichkeit dieses Menschen prägt auch sehr den Betrieb. Ich glaube, das ist in keiner anderen Form von Betrieben ähnlich, so wie am Theater.
Und wenn wir jetzt schon mal sagen, diese Spitze, die es wahrscheinlich braucht – es braucht Leute, die die letzte Verantwortung übernehmen und die wahrscheinlich auch die Impulse setzen. Aber wenn wir die schon so ein bisschen flacher machen dadurch, dass da nicht einer steht, sondern zwei, dann strahlt das vielleicht auch in den Rest des Betriebes ab und ermöglicht tatsächlich auch, Hierarchien abzubauen und flacher zu gestalten.
von Blomberg:
Roelcke: Herr von Blomberg, gibt es denn ein Vorbild für diese Doppelspitze? Mir fällt da zum Beispiel das Tandem Jossi Wieler und Sergio Morabito an der Staatsoper in Stuttgart ein, wobei dort ja formal Jossi Wieler der Intendant ist.
Stemann: Das ist jetzt nämlich bei uns ganz anders. Normalerweise gibt es dann den Intendanten und den Chefdramaturgen. Wir beide treten nicht als Intendant und Chefdramaturg an, sondern als zwei Intendanten. Ich glaube, in Zürich gab es das. Das habe ich jetzt der Presse, also Reaktionen auf unseren heutigen Auftritt entnommen, da gab es das mehrmals. Helfen Sie mir, Ko-Intendant.
von Blomberg: Ich habe leider den Faden nicht richtig aufnehmen können, außer dass ich Ihnen sagen kann, dass ich tatsächlich glaube, dass es in verhältnismäßig vielen Konstellationen eigentlich Praxis ist, dass ein Regie führender Intendant mit einem Chefdramaturgen vergleichbar zusammenarbeitet, aber es eben nicht so konkret benannt wird auf diese Art und Weise.
Und das ist, glaube ich, nicht von Vorteil für den Betrieb, weil es am Ende dann doch immer so was produziert, dass man denkt, die eigentliche Anerkennung, das eigentliche Profil, das schärft sich über den Intendantenintendanten, und es passieren kann, dass dann doch irgendwie, immer in der Hoffnung, das letzte Wort von ihm gehört zu haben, alle in den Instanzen darunter daneben schielen.
Und "wir haben) die Hoffnung, dass das nicht passiert. Im Übrigen, was, glaube ich, ziemlich schön gelingt mit Jens Hillje und Shermin Langhoff am Maxim-Gorki-Theater. Die sind, so weit ich weiß, auch ein Ko-Intendantenteam. Davon zu profitieren, dass sich die Aufgaben verteilen und alle damit umgehen müssen, dass das Grundprinzip der Dialog ist, das ist, glaube ich, das, was wir uns erhoffen.
Ist die Entstehung einer "Züricher Dramaturgie" geplant?
Stemann: Das gab es mehrmals am Neumarkt-Theater in Zürich, da gab es jetzt zweimal bereits eine Doppelspitze.
von Blomberg: Ach genau, das meintest du, Neumarkt-Theater, natürlich.
Roelcke: Herr von Blomberg, ich spreche Sie jetzt noch mal als aktuellen Dramaturgen an. Regisseure, Autoren, die sollen irgendwie exklusiv künftig in Zürich arbeiten für Sie. Die sollen sich niederlassen, wie Herr Stemann gesagt hat. Soll da so was wie eine Züricher Dramaturgie entstehen im Idealfall.
von Blomberg: Ich finde, das ist ein wunderbarer Begriff, weil wir sind tatsächlich immer noch so ein bisschen auf der Suche sind nach Begriffen. Und gleichzeitig uns auch immer wieder daran erinnern wollen, Gott sei Dank haben wir eben nicht eine erste Spielzeit präsentiert, sondern wir haben uns präsentiert in dem Versprechen, dass wir in zwei Jahren wissen, was wir da für eine konkrete Vision auch realisieren wollen. Deswegen, wir sind auf der Suche nach konkreteren Begriffen. Wir haben es für uns auch "Manufaktur" genannt. Ich finde "Züricher Dramaturgie" wunderbar. Es ist zumindest die Hoffnung –
Roelcke: Züricher Schule …
von Blomberg: Züricher Schule – dass Künstlerinnen und Künstler sich konkret vor Ort in einem Dialog mit den Künstlern, die auch dort sind, bewegen und schauen, was für einen Theaterbegriff man gemeinsam bilden kann.
Der Umgang der Bürger mit dem Schauspielhaus Zürich
Roelcke: Züricher Schule könnte aber so ein bisschen nach Lehrer oder vielleicht sogar nach Oberlehrer klingen. Okay. Die Frage müssen Sie jetzt nicht entscheiden. Herr Stemann, in der Stadt leben und arbeiten, wie haben Sie denn Zürich bislang erlebt, die Bürger, die ins Theater gehen – da gibt es ja auch, wie soll ich sagen, eine bürgerlich-konservative Fraktion.
Stemann: Die gibt es sicher. Die gibt es natürlich auch in anderen Orten. Man hört jetzt immer, dass Zürich gar nicht so ein leichtes Pflaster ist, und da sind ja auch schon einige Menschen gescheitert. Es gibt so ein latentes Auslastungsproblem, wo ich allerdings den Eindruck habe, es wird sehr viel mehr darüber geredet, als dass es tatsächlich spürbar ist.
Ich habe da eigentlich immer sehr volle Vorstellungen bislang erlebt in meiner Zeit, wo ich mich damit auseinandergesetzt habe. Es gehen, glaube ich, 150.000 Menschen im Jahr da ins Theater, das ist für eine Stadt, die insgesamt 300.000 oder 400.000 Einwohner hat, ja gar nicht so wenig.
Blomberg: "Die Stadt ist maximal aufgeschlossen und kunstsinnig"
Roelcke: Herr von Blomberg, wie haben Sie die Züricher erlebt?
von Blomberg: Ich muss zugeben, ich lerne die Stadt wirklich noch kennen. Es ist so, dass ich eine Gastdramaturgie gemacht habe dort für Stefan Pucher, und ich da in Kontakt gekommen bin, kann ich erstmal sagen, mit dem Haus. Und manchmal steht ein Haus und die Mitarbeiter irgendwie dann auch repräsentativ für eine Stadt.
Erstmal würde ich sagen, die Stadt ist maximal aufgeschlossen und kunstsinnig. Sie kultiviert für sich wiederum, einen internationalen Geist zu haben. Sie schaut auch gerne auch, was an anderen Orten stattfindet und möchte, dass an ihrem Ort wiederum auch Einzigartiges stattfindet. Das sind wunderbare Voraussetzungen für Kultur.
Ich scheue übrigens den Bildungsbürger und den Abonnenten und so was, was man so Bildungsbürgertum nennt, überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie sind echt ein extrem wichtiger Humus für Theater. Und auch die zu gewinnen fürs Theater und zu halten und gleichzeitig aber zu wissen, dass es immer darum gehen wird, auch anderes Publikum zu gewinnen, auch das wird eine Aufgabe sein. Und darauf haben wir auch Antworten.
Stemann: Und das ist uns auch schon ein paar Mal gelungen. Ich habe immer die Erfahrung gemacht in meiner konkreten Theaterarbeit, dass es durchaus möglich ist, Leute dazu zu verführen, sich für Sachen zu interessieren, von denen sie bislang nicht wussten, dass es die überhaupt gibt und dass sie die überhaupt mögen würden. Und da bin ich in Städten wie Hamburg oder jetzt auch München tatsächlich immer sehr interessante Wege gegangen mit den Zuschauern.
Bedeutung des Repertoires steht "noch im Zentrum"
Roelcke: Regisseure, Autoren fest an ein Haus binden, dem Ensemble eine große Bedeutung geben, so wie Sie es vorhaben – welche Auswirkungen hat das fürs Repertoire?
Stemann: Repertoire steht ganz klar noch im Zentrum dieser Theaterstruktur, das ist richtig.
von Blomberg: Es ist tatsächlich so, dass wir ein bisschen die Hoffnung haben, um schon konkreter zu sein, eher hinsichtlich einer Wahrnehmung, die uns tatsächlich auch viel mitgeteilt wird. Das, was ja tatsächlich in Zürich im Moment ein Problem ist, ist, dass das Repertoire oft gespielt wird. Relativ viele Produktionen werden relativ schnell abgespielt.
Und ich glaube, unser Repertoirebegriff ist aber auch einer, der sich fortsetzen könnte darüber, dass man sagt: Man versucht eine Produktion wertvoller zu machen auch darüber, dass man sich verpartnert und diese Produktion am Leben erhalten wird, spielt womöglich auch noch an anderen Orten, um wieder zurückzukehren.
Ich glaube, das Repertoire extrem wichtig ist dafür, dass sich ein Begriff von Theater und Gemeinsamkeit kultiviert, weil man wird einfach, je öfter man spielt, desto besser auch miteinander. Dass das vielleicht aber manchmal sich auch nicht immer nur vor Ort, sondern auch an verpartnerten Institutionen ereignen kann, könnte Teil der Verabredung sein.
Roelcke: Neue Doppelspitze für das Schauspielhaus Zürich ab der Saison 2019. Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.