Oktopus für die Museumsinsel
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Der Louvre hat eine Pyramide, die Berliner Museumsinsel nun die James-Simon-Galerie. Das zentrale Empfangsgebäude, nach Plänen von David Chipperfield, verbindet krakengleich Garderobe, Auditorium und Übergänge zum Pergamonmuseum und Neuen Museum.
Der Empfangslöwe ist schon da. Hochmütig und fast gelangweilt liegt er auf seinem Sockel im Foyer der James-Simon-Galerie und lässt die ersten Besucher an sich vorüberziehen. Ein steinerner Löwe, geschaffen im Jahr 1903 von der Hand des berühmten Berliner Tierbildhauers August Gaul.
Er ist ein Rückkehrer. Ursprünglich wachte er vor dem Verlagshaus und Museum des jüdischen Zeitungsverlegers und Kunstsammlers Rudolf Mosse, der hatte den Löwen bei Gaul in Auftrag gegeben. Als die Familie ins Exil fliehen musste, wurde Mosses einzigartige Sammlung von den Nazis verhökert – nur der Löwe blieb zurück. Nach dem Krieg ging er in den Bestand der Nationalgalerie Ost über, jahrzehntelang fragte niemand nach dem ursprünglichen Besitzer.
"Und dann nach der Wiedervereinigung im Zuge der Provenienzforschung haben wir festgestellt, dass dieses Stück eben in die Sammlung von Rudolf Mosse gehört, zusammen mit anderen, haben mit der Erbengemeinschaft in den USA Kontakt aufgenommen, haben es restituiert, und haben es aber zurückerwerben können", erklärt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Und weiter: "Wir finden, dass das hier eigentlich ein passender Ort ist. Die Empfangssituation einmal, und zum anderen halt auch an Rudolf Mosse und daran erinnern, was Provenienzforschung eigentlich ist – und dass es heute eben ganz zentral für Museen ist."
Benannt nach dem größten Mäzen der Museumsinsel
So steht der zurückgekehrte Löwe als Sinnbild für eine lange Erinnerungslücke, genauso wie auch der Name James Simon, jahrzehntelang fehlte er an den Objekten. Er war der größte Mäzen der Berliner Museumsinsel – ohne dessen großzügige Schenkungen die Berliner Museen wohl kaum zu der Bedeutung gelangt wären, die sie Anfang des 20. Jahrhunderts einnahmen.
Jetzt erinnert im Foyer eine hochwertige Bronze-Inschrift an den jüdischen Großkaufmann, dem es bei seinem Engagement immer auch um die Bildung des Volkes gegangen war. Insofern passt, dass die nach ihm benannte James-Simon-Galerie vor allem ein Zweckbau ist, der die Museen des 19. Jahrhunderts für ein internationales Massenpublikum zugänglich machen soll.
"Die Gebäude der Museumsinsel sind, was Museen des 19. Jahrhunderts klassischerweise waren: bewahrend. Sie waren in erster Linie Schatztruhen. Heute sind die Anforderungen mit Blick auf die Besucher ganz andere. Die Idee von Museen ist heute viel offener und transparenter. Das war für uns der Schlüssel für dieses Gebäude", erläutert der britische Architekt David Chipperfield.
Garderobe, Auditorium und Buchladen in Einem
Das Ergebnis ist mehr als gelungen. Eine große Freitreppe führt – wie eine einladende Geste – in ein lichtes hohes Foyer mit Informationstresen und Ticketschalter, von dort öffnen sich verschiedene Ebenen – nach unten zu Garderobe, Auditorium und Bookshop, nach oben zu einer kolonnadengesäumten Cafeteria hoch über der Spree mit Blick auf die Kuppel des Humboldtforums und den Kupfergraben.
Von den Ebenen aus öffnen sich verschiedene Übergänge zum Pergamonmuseum, zum Neuen Museum und später dann mal zur Archäologischen Promenade, die alle Gebäude auf der Museumsinsel unterirdisch miteinander verbinden wird. Wen das verwirrt, für den geben immer wieder Glasflächen Sichtachsen nach draußen frei, um zu sehen, wo man sich gerade befindet. Er gebe zu, sein Gebäude habe etwas von einem Oktopus, räumt Chipperfield ein.
"Es geht ja auch darum, Verbindungen zu schaffen zu Gebäuden, die eigentlich alle Solitäre sind. Und dieses Gebäude ist das Gegenteil davon. Es ist nicht ganz klar, wo es eigentlich anfängt und wo es endet. Richtig wird man es erst verstehen, wenn das Pergamonmuseum fertig ist und man von hier aus durch diese Tür die archäologische Promenade betreten kann", so Chipperfield.
Die Krake reckt vergeblich die Arme
So wird der Oktopus einige seiner Arme noch ein paar Jahre lang vergeblich ausstrecken – bis in die 30er-Jahre wird die Archäologische Promenade wohl noch Vision bleiben. Vorerst muss ein Modell im Untergeschoss der James-Simon-Galerie reichen, das die Museumsinsel in Vergangenheit und Zukunft zeigt.
In einer zeitgemäßen Version: zum Anfassen und Betasten, mit Beschriftungen in Brailleschrift. Bis dahin aber wird die James-Simon-Galerie mit seinem Kolonnaden-Café über der Spree, das auch ohne Museumsbesuch zugänglich ist, mit dem Auditorium für Veranstaltungen, mit seinen Wechselausstellungen und dem neu entstandenen öffentlichen Raum durch Freitreppe und Innenhof eins sicher schaffen: Es wird Leben auf die Museumsinsel bringen. Auch das: ein Gewinn.