Neue Korruptionsregeln

Warum viele Rumänen immer noch demonstrieren

Menschen protestieren mit Bannern und rumänischen Flaggen gegen das umstrittene Korruptionsdekret vor dem Gebäude der rumänischen Regierung in Bukarest.
Die Proteste gegen die Regierung in Rumänien gehen weiter. © afp / Daniel Mihailescu
Von Thomas Wagner |
Viele Rumänen sind weiter in Aufruhr: Zwar hat die Regierung nach heftigen Protesten ihre Eilverordnung zurückgezogen, mit denen Korruption im Amt unter bestimmten Bedingungen nicht mehr geahndet würde. Aber das Vertrauen der Bürger hat sie verloren.
"Ich persönlich bin sehr wütend. Wir haben eine politische Klasse, die nur ein Interesse hat: Sich persönlich zu bereichern. Sie haben jetzt ein paar Verordnung erlassen. Und diese Maßnahmen werden korrupten Politikern erlauben, einer Bestrafung zu entkommen."
Und deshalb ist Alexandra Pintea, Mitte 30, abends immer bei den Kundgebungen mit dabei, auf dem großen Platz zwischen orthodoxer Kathedrale und Oper, mitten in der westrumänischen Stadt Temeswar. "Rusine, Rusine", zu Deutsch, "Schande, Schande" rufen die Demonstrierenden. Von ihrem Arbeitsplatz, dem Deutschen Kulturzentrum, hat sie nur zehn Gehminuten zum Demonstrationsort. Und die läuft sie derzeit jeden Tag.
"Gemeinsam werden wir Rumänien retten", skandiert die Menge vor dem Eingang der Oper. Dass viele Rumäninnen und Rumänen mit großer Wut im Bauch gegen die Regierenden in Bukarest protestieren, hängt mit einer Regierungs-Eilverordnung zusammen, die es in sich hat:
"Man muss dann doch zusammenzucken, wenn man sieht, wie diese Eilverordnung zustande gekommen ist, wie schnell die Regierung sie verabschiedet hat, wie schnell sie im Amtsblatt veröffentlicht wurde, mitten in der Nacht. Und wenn man dann auch sieht, dass einige Politiker der Regierungsparteien davon profitieren und profitiert hätten - da sind rechtsstaatliche Traditionen und Verfassungsgrundsätze missachtet worden."

Amtsmissbrauch erst ab 50.000 Euro Schaden strafbar

Dan Caramidaru ist Jurist und Publizist in Temeswar. Die umstrittene Eilverordnung, um die es geht, hat er ganz genau durchgelesen. Seine überraschende Bemerkung:
"Ich muss da einiges richtigstellen: Es war nie die Rede davon, dass Korruption entkriminalisiert wird."
Allerdings ist beabsichtigt, den Straftatbestand der groben Fahrlässigkeit in Zusammenhang mit Korruption zu streichen, und dass Vorwürfe des Amtsmissbrauchs erst dann verfolgt werden, wenn damit eine Schadensumme von mindestens 50 000 Euro verbunden ist. Schließlich sollen Begnadigungsrechte für Straffällige ausgeweitet werden, aber eben auch für verurteilte Politiker:
"Der entstandene Eindruck ist der, dass die Regierung eine Verordnung verabschiedet hat quasi Geschenk, als gezieltes Geschenk für so manchen Politiker, dass ist das Problem."
Möglicherweise vor allem als Geschenk an Liviu Dragnea, Vorsitzender der "Partidul Sozialdemokrat", der Sozialdemokratischen Partei Rumäniens, der größten Regierungspartei. Doch Dragnea durfte, trotz Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Dezember, nicht Ministerpräsident werden. Grund: Dragnea ist wegen Wahlbetrugs zu zwei Jahren Bewährung verurteilt. Würde die neue Regelung in Kraft treten, hätte er unter Umständen wieder eine weiße Weste und dürfte ein Regierungsamt übernehmen. Und davon haben viele vor allem junge Rumänen die Nase gestrichen voll.

Eilverordnung soll in reguläres Gesetz umgewandelt werden

Immer wieder ruft die Menge "Timisoara, Timisoara" vor der Staatsoper in Temeswsar - wie damals, vor etwas über 27 Jahren, als hier viele Tausende ebenfalls protestierten, sich nicht von Geheimdienst und Armee einschüchtern ließen - der Auftakt der rumänischen Revolution.
"Meine Eltern haben genau hier, auf diesem Platz, vor 27 Jahren, gegen die Kommunisten gekämpft. Und heute kämpfen wir hier gegen die Post-Kommunisten. Nun fühle ich mich in der Verpflichtung jenes Vermächtnisses, das mir meine Eltern hinterlassen haben."
Andi Bufta ist von Beruf Architekt und wurde genau im Jahr der rumänischen Revolution geboren. Jeden Abend kommt er derzeit zum Protestieren auf den Opernplatz, wie so viele vor allem junge Leute in ganz Rumänien. Dass die Regierung die umstrittene Eilverordnung mittlerweile wieder zurückgenommen hat, hält ihn nicht vom weiteren Protest ab. Denn längst ist der Wortlaut in einen regulären Gesetzesentwurf gepackt worden.

Vor allem junge Leute waren gar nicht erst wählen

Im Funkhaus Temeswar des staatlichen rumänischen Rundfunks bereitet Adi Aredelan gerade das Programm der deutschen Sendung vor, die es dort schon seit Jahrzehnten gibt. Geplant ist ein Originalton von Ovideo Gant, Parlamentsabgeordneten der rumäniendeutschen Minderheit - und der findet drastische Worte für das Vorgehen der Regierung:
"Wie reagiert die Fraktion auf die Tatsache, dass die Regierung per Dringlichkeitserlass irgendwelche Verbrecher von ihren Taten zu amnestieren beziehungsweise begnadigen."
Die Stellungnahme reiht sich ein in die lange Reihe von Meldungen über Korruption, Unregelmäßigkeiten und Vetternwirtschaft in der rumänischen Politik mit fatalen Folgen: Rundfunkredakteur Adi Ardelean:
"Die Leute vertrauen den Politikern nicht mehr. Und deswegen waren sie auch nicht so interessiert, ihre Stimmen abzugeben, weil sie auch nicht sehr entschlossen waren, mit der einen oder anderen Partei abzustimmen. Sie wollten für keine der Parteien ihre Stimmen abgeben. Und deswegen sind sie gar nicht zur Wahl gegangen."
Tatsächlich lag die Wahlbeteiligung bei der zurückliegenden Parlamentswahl Mitte Dezember bei unter 50 Prozent. Ergebnis: Die postkommunistisch angehauchten Sozialdemokraten stellen die Regierung - ausgerechnet jene Partei, die nun Zielscheibe der Proteste ist. Für Dan Caramidaru ist das ein Vorgang, aus dem vor allem Jungwähler Lehren zu ziehen haben: Statt aus lauter Polit-Frust sich von den Wahlurnen fernzuhalten, sei im Gegenteil größeres Engagement nötig, um weitere umstrittene Gesetzesvorhaben zu verhindern:
"Am besten wäre es, wenn diese Leute, die jetzt auf die Straße gegangen sind, begreifen, dass sie sich nicht mehr fernhalten können von der Politik, dass Politik ihr Leben bestimmt. Wenn diese urbane etwas wohlhabendere Schicht in Großstädten, die jetzt vor allem demonstriert, merkt, dass sie sich politisch auch besser engagieren muss, wäre natürlich Rumänien sehr geholfen."
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