Neue kubanische Reisefreiheit als Zeichen an die USA
Ab Januar brauchen die Kubaner zum Verlassen keine Ausreisegenehmigung mehr, es reicht ein gültiger Pass. Der Buchautor und langjährige Botschafter in Kuba, Bernd Wulffen, sieht diese Maßnahme vor allem als Signal an die USA, mit denen Kuba stets im Streit um illegale Auswanderung lag.
Nana Brink: Die Nachricht von der Zuckerinsel hat uns dann doch überrascht. Wie die kommunistische Parteizeitung gestern ankündigte, soll das Reisen für die Mehrheit der Kubaner in Zukunft leichter werden. Ab Januar soll man zum Verlassen des Landes keine Ausreisegenehmigung brauchen, nur noch einen gültigen Pass. Die Frage ist, ob man den auch so leicht bekommt. Und dann kann man auch bis zu zwei Jahre der Insel fern bleiben. Am Telefon ist jetzt der Buchautor und langjährige Botschafter in Kuba, Bernd Wulffen. Schönen guten Morgen, Herr Wulffen!
Bernd Wulffen: Schönen guten Morgen, Frau Brink.
Brink: Das alles erinnert mich ein wenig an die legendäre Antwort des SED-Funktionärs Günter Schabowski am Abend des 9. November '89. Was halten Sie von diesen neuen Reiseregelungen in Kuba?
Wulffen: Also zunächst einmal glaube ich, dass das ein Fortschritt ist. Die Regelungen reihen sich ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die nach 2008, nach dem Amtsantritt von Raúl Castro, getroffen worden sind. Ich denke zum Beispiel auch an die Möglichkeit, Land zu erwerben für Bauern, ihre Anbaufläche zu vergrößern. Ich denke an die Möglichkeit, Handys und Computer zu kaufen, Kraftfahrzeuge, Wohnungen und dergleichen. Und das ist eine Maßnahme, die eigentlich schon lange erwartet worden ist, die offenbar immer wieder aufgeschoben wurde, und ich finde schon, dass wir das auch begrüßen sollten, dass die Kubaner jetzt Reisefreiheit haben.
Brink: Also Sie haben nicht das Empfinden, dass da so irgendwie auch ein Stöpsel aus einem Fass gezogen wird und das ganze implodiert?
Wulffen: Nein, nein. Aber ich habe dieses Dekret, Decreto-Lei 302 mal studiert. Ich finde, sehr interessant ist, dass eine Regelung aufgehoben worden ist aus dem Jahre 1961, die Enteignungen möglich machte von Grundstücken von Kubanern, die die Insel dauerhaft verlassen haben. Das ist aufgehoben worden und das scheint mir, sehr wichtig zu sein. Das zeigt eben, dass man etwas liberaler geworden ist, und das ganze ist auch ein Signal an die USA, was ich hoch interessant finde.
Die Kubaner und die USA haben sich immer wieder gestritten wegen der illegalen Ausreise von Kubanern. Die sind ja zum Teil lebensgefährlich über die Straße von Florida mit allem möglichen, mit Gummireifen und dergleichen gegangen, und das führte dann immer wieder zu Verwicklungen, natürlich kamen auch Menschen ums Leben dabei. Das ist jetzt mit einem Schlage vorbei. Diese ganzen langen Verhandlungen mit den USA sind jetzt durch diese Regelung hinfällig geworden.
Brink: Die Reiseregelungen allerdings, wenn man genau hinguckt, gelten ja nicht für jeden. Sie gelten nicht für Ärzte zum Beispiel, für Akademiker, bei denen man fürchten könnte, sie würden dauerhaft weg bleiben.
Wulffen: Ja. Also es ist eine interessante Generalklausel. Das Dekret spricht zum Beispiel von Gründen des öffentlichen Interesses, die angeführt werden können, um eine Ausreise zu verweigern. Man spricht auch von Fachleuten, die für die Entwicklung, die soziale, wissenschaftlich-technische Entwicklung des Landes benötigt werden, und dann eben – das ist eine ganz merkwürdige Formulierung – für die Sicherheit und den Schutz der öffentlichen Information. Was sich dahinter verbirgt, weiß ich nicht. Ich kann nur vermuten, dass es also Geheimdienstleute sind.
Brink: Es ist aber gleich in diesem Zusammenhang vom Diebstahl der Talentierten durch die Mächtigen die Rede, und das geht ja nun schon in Richtung USA. Das ist doch eigentlich auch diese kommunistische Rhetorik, die wir kennen, weil Sie gerade darauf abgehoben haben, dass es vielleicht auch eine Erleichterung in dem Verhältnis zur USA wäre.
Wulffen: Ja, eine Erleichterung insofern, als der Streit, der ständig über die illegale Auswanderung herrscht, dass dieser Streit beendet ist. Der entzündete sich ja daran, dass die Kubaner immer wieder den USA vorgeworfen haben, sie würden im Grunde die Ausreise, die illegale Ausreise provozieren. Da gab es eine Maßnahme, die nannte sich "Cuban Adjustment Act" aus dem Jahr 1966, wo man Kubanern, die nach Miami beispielsweise gekommen sind, dann die Residence, die Aufenthaltsgenehmigung gewährt hat, und das hat Castro dann zu wütenden Attacken verwandt gegen die USA, und das ist jetzt vorbei.
Brink: Noch eine kurze letzte Frage. Ist das Tauwetter? Ist das wirklich ein neuer Trend?
Wulffen: Also es ist die Fortsetzung von Maßnahmen. Ich würde sagen, ein neuer Trend ist vielleicht etwas zu viel gesagt. Es geht in Richtung ja ein bisschen Liberalisierung, wobei aber die Hauptfrage, die Wirtschaftsliberalisierung, weiterhin nicht gelöst ist. Staatsverwaltungswirtschaft statt Privatwirtschaft und das kann einfach nicht klappen, und das ist der Pferdefuß, den ich hier sehe.
Brink: Und meinen Sie, dass viele Menschen wirklich gehen?
Wulffen: Glaube ich nicht. Das glaube ich nicht. Auch jetzt hätte man schon ausreisen können. Es war natürlich oft ein sehr langwieriges Verfahren. Und dann kommt noch hinzu, dass ja viele Menschen einfach nicht die finanziellen Mittel haben, das Geld haben, um so eine Reise zu finanzieren. Das ist ein Flug, der erforderlich ist. Wir befinden uns ja auf einer Insel, da können Sie nicht einfach losreisen, da brauchen Sie einen Flug, und diese Flüge sind teuer.
Brink: Der Buchautor und langjährige Botschafter in Kuba, Bernd Wulffen. Herzlichen Dank, Herr Wulffen, für das Gespräch.
Wulffen: Ja gerne, Frau Brink! Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bernd Wulffen: Schönen guten Morgen, Frau Brink.
Brink: Das alles erinnert mich ein wenig an die legendäre Antwort des SED-Funktionärs Günter Schabowski am Abend des 9. November '89. Was halten Sie von diesen neuen Reiseregelungen in Kuba?
Wulffen: Also zunächst einmal glaube ich, dass das ein Fortschritt ist. Die Regelungen reihen sich ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die nach 2008, nach dem Amtsantritt von Raúl Castro, getroffen worden sind. Ich denke zum Beispiel auch an die Möglichkeit, Land zu erwerben für Bauern, ihre Anbaufläche zu vergrößern. Ich denke an die Möglichkeit, Handys und Computer zu kaufen, Kraftfahrzeuge, Wohnungen und dergleichen. Und das ist eine Maßnahme, die eigentlich schon lange erwartet worden ist, die offenbar immer wieder aufgeschoben wurde, und ich finde schon, dass wir das auch begrüßen sollten, dass die Kubaner jetzt Reisefreiheit haben.
Brink: Also Sie haben nicht das Empfinden, dass da so irgendwie auch ein Stöpsel aus einem Fass gezogen wird und das ganze implodiert?
Wulffen: Nein, nein. Aber ich habe dieses Dekret, Decreto-Lei 302 mal studiert. Ich finde, sehr interessant ist, dass eine Regelung aufgehoben worden ist aus dem Jahre 1961, die Enteignungen möglich machte von Grundstücken von Kubanern, die die Insel dauerhaft verlassen haben. Das ist aufgehoben worden und das scheint mir, sehr wichtig zu sein. Das zeigt eben, dass man etwas liberaler geworden ist, und das ganze ist auch ein Signal an die USA, was ich hoch interessant finde.
Die Kubaner und die USA haben sich immer wieder gestritten wegen der illegalen Ausreise von Kubanern. Die sind ja zum Teil lebensgefährlich über die Straße von Florida mit allem möglichen, mit Gummireifen und dergleichen gegangen, und das führte dann immer wieder zu Verwicklungen, natürlich kamen auch Menschen ums Leben dabei. Das ist jetzt mit einem Schlage vorbei. Diese ganzen langen Verhandlungen mit den USA sind jetzt durch diese Regelung hinfällig geworden.
Brink: Die Reiseregelungen allerdings, wenn man genau hinguckt, gelten ja nicht für jeden. Sie gelten nicht für Ärzte zum Beispiel, für Akademiker, bei denen man fürchten könnte, sie würden dauerhaft weg bleiben.
Wulffen: Ja. Also es ist eine interessante Generalklausel. Das Dekret spricht zum Beispiel von Gründen des öffentlichen Interesses, die angeführt werden können, um eine Ausreise zu verweigern. Man spricht auch von Fachleuten, die für die Entwicklung, die soziale, wissenschaftlich-technische Entwicklung des Landes benötigt werden, und dann eben – das ist eine ganz merkwürdige Formulierung – für die Sicherheit und den Schutz der öffentlichen Information. Was sich dahinter verbirgt, weiß ich nicht. Ich kann nur vermuten, dass es also Geheimdienstleute sind.
Brink: Es ist aber gleich in diesem Zusammenhang vom Diebstahl der Talentierten durch die Mächtigen die Rede, und das geht ja nun schon in Richtung USA. Das ist doch eigentlich auch diese kommunistische Rhetorik, die wir kennen, weil Sie gerade darauf abgehoben haben, dass es vielleicht auch eine Erleichterung in dem Verhältnis zur USA wäre.
Wulffen: Ja, eine Erleichterung insofern, als der Streit, der ständig über die illegale Auswanderung herrscht, dass dieser Streit beendet ist. Der entzündete sich ja daran, dass die Kubaner immer wieder den USA vorgeworfen haben, sie würden im Grunde die Ausreise, die illegale Ausreise provozieren. Da gab es eine Maßnahme, die nannte sich "Cuban Adjustment Act" aus dem Jahr 1966, wo man Kubanern, die nach Miami beispielsweise gekommen sind, dann die Residence, die Aufenthaltsgenehmigung gewährt hat, und das hat Castro dann zu wütenden Attacken verwandt gegen die USA, und das ist jetzt vorbei.
Brink: Noch eine kurze letzte Frage. Ist das Tauwetter? Ist das wirklich ein neuer Trend?
Wulffen: Also es ist die Fortsetzung von Maßnahmen. Ich würde sagen, ein neuer Trend ist vielleicht etwas zu viel gesagt. Es geht in Richtung ja ein bisschen Liberalisierung, wobei aber die Hauptfrage, die Wirtschaftsliberalisierung, weiterhin nicht gelöst ist. Staatsverwaltungswirtschaft statt Privatwirtschaft und das kann einfach nicht klappen, und das ist der Pferdefuß, den ich hier sehe.
Brink: Und meinen Sie, dass viele Menschen wirklich gehen?
Wulffen: Glaube ich nicht. Das glaube ich nicht. Auch jetzt hätte man schon ausreisen können. Es war natürlich oft ein sehr langwieriges Verfahren. Und dann kommt noch hinzu, dass ja viele Menschen einfach nicht die finanziellen Mittel haben, das Geld haben, um so eine Reise zu finanzieren. Das ist ein Flug, der erforderlich ist. Wir befinden uns ja auf einer Insel, da können Sie nicht einfach losreisen, da brauchen Sie einen Flug, und diese Flüge sind teuer.
Brink: Der Buchautor und langjährige Botschafter in Kuba, Bernd Wulffen. Herzlichen Dank, Herr Wulffen, für das Gespräch.
Wulffen: Ja gerne, Frau Brink! Auf Wiederhören!
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