Die Apotheke der Maden und Käfer
07:20 Minuten
Insekten sind äußerst widerstandsfähig und entpuppen sich aufgrund dessen als Lieferanten neuer medizinischer Wirkstoffe. Die gelbe Biotechnologie will diese für den Menschen nutzbar machen.
Ein Spätsommertag Ende September. Auf dem Fensterbrett meines Berliner Wohnzimmerfensters beobachte ich Harlekine. Die Asiatischen Marienkäfer sind zwischen sechs und acht Millimeter klein und bewegen sich auf sechs Beinen fort. Jährlich im Herbst schwärmen sie aus, um sich ein Winterquartier zu suchen. Ursprünglich stammen Harlekine aus China und Japan und wurden als biologische Schädlingsbekämpfer gegen Blattläuse eingesetzt. Mittlerweile breiten sie sich weltweit aus und drängen auch in Deutschland heimische Marienkäfer zurück. Wissenschaftlich gesehen sind die Harlekine jedoch wahre Schatzkammern.
500 km entfernt in Gießen: Andreas Vilcinskas faszinieren Insekten seit seiner Kindheit. Er machte seine Passion zum Beruf – und leitet heute das Institut für Biotechnologie der Justus-Liebig-Universität Gießen und den Institutsteil "Bioressourcen" des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME). Der Harlekin-Marienkäfer ist für ihn ein alter Bekannter: ein beliebtes, jahrelanges Forschungsobjekt.
500 km entfernt in Gießen: Andreas Vilcinskas faszinieren Insekten seit seiner Kindheit. Er machte seine Passion zum Beruf – und leitet heute das Institut für Biotechnologie der Justus-Liebig-Universität Gießen und den Institutsteil "Bioressourcen" des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME). Der Harlekin-Marienkäfer ist für ihn ein alter Bekannter: ein beliebtes, jahrelanges Forschungsobjekt.
"Da hatten wir herausgefunden, dass der Asiatische Marienkäfer Parasiten im Blut hat, die auf die einheimischen überspringen und dann zu deren Aussterben führen können. Das hat zu der Frage geführt, wieso der Asiatische Marienkäfer gegen diese Parasiten resistent ist. Da haben wir in der Hämolymphe, dem Blut der Käfer, eine Substanz gefunden, die Harmonin heißt. Dieses Harmonin, konnten wir damals zeigen, ist gegen Malaria wirksam und gegen verschiedene Bakterien."
Ein potenzielles Medikament gegen Malaria
In einer aktuellen Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Veterinärmedizin fand Vilcinskas heraus, dass Harmonin, chemisch gesehen ein Alkaloid, sogar gegen weitere Parasiten wirkt: die Erreger der Tropenkrankheiten Bilharziose und Leishmaniose. In diesem Naturstoff steckt Vilcinskas zufolge ein großes Potenzial für die Herstellung von Medikamenten.
"Da stellt sich jetzt auch die Frage, ob ein Industriepartner gewillt ist, da weiter zu investieren: Wie groß ist der Markt? Wie lange dauert es, das zu entwickeln? Aber die Befunde sind interessant, dass wir in einem Marienkäfer eine Substanz finden, die gegen ein breites Spektrum an Parasiten wirksam ist."
"Da stellt sich jetzt auch die Frage, ob ein Industriepartner gewillt ist, da weiter zu investieren: Wie groß ist der Markt? Wie lange dauert es, das zu entwickeln? Aber die Befunde sind interessant, dass wir in einem Marienkäfer eine Substanz finden, die gegen ein breites Spektrum an Parasiten wirksam ist."
Insekten gelten als erfolgreichste Tiergruppe
Andreas Vilcinskas hat inzwischen eine Vielzahl von Substanzen nicht nur in Harlekinen, sondern auch in anderen Insekten gefunden: Es können wie bei Harmonin Alkaloide sein, meist aber handelt es sich um kleine Eiweißmoleküle – sogenannte antimikrobielle Peptide. Insekten setzen sie in ihren natürlichen Lebensräumen erfolgreich gegen Krankheitserreger ein, wehren sich damit gegen Fressfeinde oder töten ihre Beutetiere. Überhaupt sind Insekten die erfolgreichste Tiergruppe. Es gibt mehr als eine Million beschriebene Arten auf unserem Planeten, mehr als jede zweite überhaupt ist ein Insekt.
"Die Insekten sind extrem widerstandfähig", sagt Klaus Dettner. Bis zu seiner Emeritierung hat der Professor für Tierökologie an der Universität Bayreuth seine Arbeit den Insekten gewidmet. "Sie haben Wundheilung. Sie haben gegen alle möglichen Zielorganismen, die ihnen gefährlich werden können, eine Strategie entwickelt. Dann ist ganz wichtig, dass Insekten im Vergleich zu Pflanzen in Symbiose leben können mit Bakterien. Da gibt es einen richtigen Mehrwert."
"Die Insekten sind extrem widerstandfähig", sagt Klaus Dettner. Bis zu seiner Emeritierung hat der Professor für Tierökologie an der Universität Bayreuth seine Arbeit den Insekten gewidmet. "Sie haben Wundheilung. Sie haben gegen alle möglichen Zielorganismen, die ihnen gefährlich werden können, eine Strategie entwickelt. Dann ist ganz wichtig, dass Insekten im Vergleich zu Pflanzen in Symbiose leben können mit Bakterien. Da gibt es einen richtigen Mehrwert."
Einen solchen Mehrwert nutzen zum Beispiel Termiten, die Holz fressen können. Im Termitendarm existiert der kleinste Mikro-Reaktor der Welt. Viele Mikroorganismen darin stellen Enzyme her, die Holz zersetzen können und den Termiten so ihre Nahrung aufbereiten. Eben diese Fähigkeit der Insekten, mit Mikroorganismen nützliche Gemeinschaften einzugehen und Substanzen zu produzieren, will sich die gelbe Biotechnologie zunutze machen. Unter anderem, indem sie nach Substanzen sucht, die medizinische Wirkung haben.
Die Wundheilungskräfte der Maden
Vilcinskas hat deshalb mit der Firma Sanofi in einem groß angelegten Projekt 100 antimikrobielle Peptide aus Insekten künstlich hergestellt und im Labor gezielt getestet, gegen welche Bakterien sie wirksam sind. Das ist jedoch erst der Anfang, so Vilcinskas.
"Da musste dann erstmal geprüft werden, funktioniert das auch unter physiologischen Bedingungen, also im Körper. Es muss geprüft werden, ob Nebenwirkungen zu erwarten sind. Da gibt es Standardverfahren. Da gibt es einen Kriterienkatalog, der von der Industrie entwickelt wurde, und den haben wir abgearbeitet. Von den 100 antimikrobiellen Peptiden aus Insekten sind zwei übrig geblieben, die alle Kriterien erfüllt haben und die jetzt als Kandidaten in die Wirkstoff-Forschung gehen."
Zwei weitere interessante antimikrobielle Peptide fand er im Speichel von sogenannten Wundmaden. Wird der Madenspeichel in eine Wunde gegeben, töten antimikrobielle Peptide die Krankheitserreger in der Wunde ab. Andere Substanzen verdauen das kranke Gewebe, lassen das gesunde aber in Ruhe.
"Da musste dann erstmal geprüft werden, funktioniert das auch unter physiologischen Bedingungen, also im Körper. Es muss geprüft werden, ob Nebenwirkungen zu erwarten sind. Da gibt es Standardverfahren. Da gibt es einen Kriterienkatalog, der von der Industrie entwickelt wurde, und den haben wir abgearbeitet. Von den 100 antimikrobiellen Peptiden aus Insekten sind zwei übrig geblieben, die alle Kriterien erfüllt haben und die jetzt als Kandidaten in die Wirkstoff-Forschung gehen."
Zwei weitere interessante antimikrobielle Peptide fand er im Speichel von sogenannten Wundmaden. Wird der Madenspeichel in eine Wunde gegeben, töten antimikrobielle Peptide die Krankheitserreger in der Wunde ab. Andere Substanzen verdauen das kranke Gewebe, lassen das gesunde aber in Ruhe.
Das Resultat ist enorm: Die Wunde heilt 18 Mal schneller. Mit Industrie-Partnern, so Andreas Vilcinskas, sollen Wundsalben mit Insektenpeptiden entstehen, die auf der Haut getestet werden.
"Man kann solche Peptide auch auf kleine Partikel binden und inhalieren und wir prüfen gerade, ob man solche Peptide nutzen kann, um Lungeninfektionen zu heilen, indem man sie inhaliert, auf kleine Partikel gebunden." Möglicherweise ein Medikament gegen Covid-19? Nein, sagt Professor Vilcinskas entschieden, denn dies sei ja eine Virus-Erkrankung.
"Man kann solche Peptide auch auf kleine Partikel binden und inhalieren und wir prüfen gerade, ob man solche Peptide nutzen kann, um Lungeninfektionen zu heilen, indem man sie inhaliert, auf kleine Partikel gebunden." Möglicherweise ein Medikament gegen Covid-19? Nein, sagt Professor Vilcinskas entschieden, denn dies sei ja eine Virus-Erkrankung.
Mögliche Alternative zu Antibiotika
Zur Behandlung von bakteriellen Lungeninfektionen sind Wirkstoffe aus Insekten möglicherweise aber dennoch interessant, wenn sie inhaliert werden können:
"Wir müssen auch gucken, dass wir die Lungeninfektionen behandeln können und dann gibt es Krankheitserreger wie Pseudomonas aeruginosa, die dazu neigen, sehr resistent zu werden, also sehr schnell Resistenzen ausbilden, wo wir Schwierigkeiten haben, manche Stämme noch mit Antibiotika therapieren zu können. Und da prüfen wir, ob Insektenpeptide eine sinnvolle Alternative darstellen können."
Wundsalben mit solchen Insektenpeptiden, so Professor Vilcinskas, könnten schon in zwei bis drei Jahren am Menschen angewendet werden. Das Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) ist dabei eine wichtige Schnittstelle zwischen akademischer und industrieller Forschung.
Je umfangreicher und spezifischer die biotechnologischen Verfahren und Analysen werden, desto mehr Geheimnisse wollen Andreas Vilcinskas und seine Mitarbeiter den Insekten entlocken.
"Wir müssen auch gucken, dass wir die Lungeninfektionen behandeln können und dann gibt es Krankheitserreger wie Pseudomonas aeruginosa, die dazu neigen, sehr resistent zu werden, also sehr schnell Resistenzen ausbilden, wo wir Schwierigkeiten haben, manche Stämme noch mit Antibiotika therapieren zu können. Und da prüfen wir, ob Insektenpeptide eine sinnvolle Alternative darstellen können."
Wundsalben mit solchen Insektenpeptiden, so Professor Vilcinskas, könnten schon in zwei bis drei Jahren am Menschen angewendet werden. Das Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) ist dabei eine wichtige Schnittstelle zwischen akademischer und industrieller Forschung.
Je umfangreicher und spezifischer die biotechnologischen Verfahren und Analysen werden, desto mehr Geheimnisse wollen Andreas Vilcinskas und seine Mitarbeiter den Insekten entlocken.
"Diese riesige Vielfalt an Molekülen ist eine bisher ungenutzte Ressource, die wir erschließen wollen, zum Wohle der Menschheit. Das ist unser übergeordnetes Ziel, das wir mit der gelben Biotechnologie verfolgen."