Der "Tempel der Moderne" in neuem alten Glanz
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Im August wird die Neue Nationalgalerie in Berlin wiedereröffnet. Das Museum von Bauhaus-Architekt Mies van der Rohe wurde mehr als sechs Jahre lang saniert, in zehntausende Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt.
"ZU" – stand in großen weißen, vorwurfsvollen Lettern auf den Scheiben der Neuen Nationalgalerie, als diese vor über sechs Jahren auf unbestimmte Zeit ihre Tore schließen musste. Eine letzte Kunstbotschaft an die frustrierte Berliner Öffentlichkeit.
Doch die Architekturikone, Baujahr 1968, war so in die Jahre gekommen, dass ein Museumsbetrieb ohne Gefahr für Leib und Seele der Besucher nicht mehr gewährleistet werden konnte. Der Skulpturengarten war schon seit Jahren nicht mehr begehbar, die großen Scheiben zum Teil gesprungen, das Interieur vergilbt und ranzig.
Eines der bedeutendsten Museen der Moderne
Jetzt erstrahlt alles wieder in neuem alten Glanz. Am Donnerstagabend wird das Gebäude, ein Jahr später als geplant, feierlich an den Nutzer, die Staatlichen Museen, übergeben – pandemiebedingt rein digital. Eine Kulturbaustelle weniger.
Hermann Parzinger, Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ist sichtlich froh darüber. "Das ist ein großartiger Tag, dass wir dieses wunderbare Museum, eines der bedeutendsten Museen der Moderne, wiedereröffnen können, dass die Besucher das wieder genießen können, als einen Ort der Begegnung mit Kunst. Natürlich hoffen wir, dass die Pandemie das bald zulassen wird. Wir freuen uns auf die Eröffnung im August", sagt er.
Die Neue Nationalgalerie beherbergt nicht nur bedeutende Kunst – vor allem die umfangreichen Berliner Sammlungen der Klassischen Moderne. Sie ist auch selber ein Kunstobjekt im öffentlichen Raum: ein "Tempel der Moderne" – und das einzige Bauwerk, das der weltberühmte Bauhaus-Veteran Mies van der Rohe nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland realisierte.
Viel Haut und Knochen, wenig Fleisch
Die minimalistische Bauweise der großen, lichten Glashalle mit dem scheinbar schwebenden Dach machte die Sanierung schwierig. Für den Einbau von moderner Klima- und Lichttechnik, heutige Anforderungen an Barrierefreiheit, fehlte oft schlicht der Platz. Viel Haut und Knochen, wenig Fleisch, so drückt es Martin Reichert vom Architekturbüro David Chipperfield, das die behutsame Sanierung durchführte, aus. Dennoch sollte sich am Erscheinungsbild nach außen möglichst nichts verändern.
"Das Leitbild war der Zustand von 1968 zum Zeitpunkt der Eröffnung, allerdings mit der Akzeptanz von Patina", sagt er. Die Instandsetzungsarbeiten durch das Büro Chipperfield glichen in großen Teilen eher einer Operation am offenen Herzen. Die Glasscheiben mussten in China neu gefertigt werden – nur dort fand man eine Werkstatt, die diese großen Formate noch herstellen konnte. Das Haus wurde in 35.000 Einzelteile zerlegt, jedes einzelne nummeriert, kartiert, restauriert und an seinen alten Platz wieder eingesetzt.
35.000 Teile neu zusammengesetzt
"Die Repositionierung war extrem anspruchsvoll", berichtet Reichert. "Also dieses Puzzle wieder zusammenzusetzen. Wir wussten zwar, wo alle Teile hingehören, aber man hat ja plötzlich eine höhere Perfektion der Maßhaltigkeit durch die Grundinstandsetzung. Vor allem im großen Ausstellungsgeschoss war das ein sehr komplizierter Zusammenbauprozess."
So viel Mies wie möglich erhalten, das war die Prämisse über allem – manchen war es aber auch ein bisschen zu viel Mies und 60er-Jahre-Flair. Der Teppichboden etwa, musste der wieder rein? Und die Raufasertapete?
Udo Kittelmann und sein Nachfolger Joachim Jäger auf dem Direktorenposten hätten das gerne verhindert. Vor einer Raufasertapete bekäme jedes Kunstwerk einen 6oer-Jahre-Beigeschmack, klagten sie. Und eine moderne Skulptur auf Teppichboden? Heraus kam ein Kompromiss.
"Wir hatten, als wir den Teppich durchgesetzt haben im Ergebnis einer extrem kontroversen Diskussion, ein schlechtes Gewissen und dachten, jetzt können wir nicht auch noch mit der Raufasertapete anfangen", erzählt Reichert.
"Wir hatten, als wir den Teppich durchgesetzt haben im Ergebnis einer extrem kontroversen Diskussion, ein schlechtes Gewissen und dachten, jetzt können wir nicht auch noch mit der Raufasertapete anfangen", erzählt Reichert.
Die Barcelona-Chairs kehren aus dem Depot zurück
Zumindest in den Ausstellungsräumen sind die Wände nun glatt. Auch sonst wird vieles wieder erstehen von der über die Jahre verschlissenen und ins Depot gewanderten Original-Innenausstattung. Die Barcelona-Chairs etwa, die Sessel-Klassiker, die Mies van der Rohe 1929 für die Weltausstellung in Barcelona entworfen hatte. Oder das Automatencafé – letzter Schrei der 60er-Jahre - aus dem die Besucher Mettbrötchen mit Gürkchen und Bockwürste aus Fächern mit Klappen entnehmen konnten.
"Der Umgang mit dem Haus war in den 1960ern sehr viel lässiger, da durfte auch bei Vernissagen innen geraucht werden, und alle standen mit Weingläsern in der Ausstellung", sagt Reichert. "Das ist heute nicht mehr denkbar. Ursprünglich war das, was wir heute als Café bezeichnen, in den Planungen von 1967 noch eine Raucherlunge mit Barcelona-Chairs und Standaschenbechern."
"Der Umgang mit dem Haus war in den 1960ern sehr viel lässiger, da durfte auch bei Vernissagen innen geraucht werden, und alle standen mit Weingläsern in der Ausstellung", sagt Reichert. "Das ist heute nicht mehr denkbar. Ursprünglich war das, was wir heute als Café bezeichnen, in den Planungen von 1967 noch eine Raucherlunge mit Barcelona-Chairs und Standaschenbechern."
Die Standaschenbecher werden nicht wieder aufgestellt werden, wenn die Neue Nationalgalerie am 22. August ihre Pforten öffnet. Mit großen und kleinen Stahlmobiles des amerikanischen Bildhauers Alexander Calder soll die große Glashalle spektakulär und skulptural wieder eingeweiht werden – eine letzte kongeniale Idee von Ex-Direktor Udo Kittelmann. Man darf sich darauf freuen.