Gerhard-Richter-Ausstellung

100 Werke für Berlin

Gerhard Richter steht neben einem seiner Werke in einer Ausstellung in Dresden 2017.
Kunst für Berlin und Dresden: Der Maler Gerhard Richter hat 2021 eine Kooperation mit beiden Städten geschlossen. © Gerhard Richter Archiv Dresden / David Pinzer
Von Stefan Koldehoff |
Berlin kann sich glücklich schätzen: Der Maler Gerhard Richter hat der Neuen Nationalgalerie 100 Werke als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Fünf Bilder daraus stellen wir vor und erklären, warum es sich dabei um reine Kunst handelt.
Gerhard Richter, Jahrgang 1932, ist der wohl bedeutendste Künstler der Gegenwart. Seit den 1960er-Jahren versucht er herauszufinden, was mit den Mitteln der Malerei möglich ist. Gleichzeitig weist er immer wieder darauf hin, dass ein Bild nur ein Bild ist – und nicht die Wirklichkeit. Auf internationalen Auktionen werden für seine Arbeiten inzwischen regelmäßig zweistellige Millionenpreise gezahlt.
Ab dem 1. April 2023 zeigt die Neue Nationalgalerie nun eine Auswahl von 100 Werken in verschiedenen Techniken, die die „Gerhard Richter Kunststiftung“ den Berliner Museen als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat. Irgendwann einmal sollen sie eigene Räume im „Museum der Moderne“ am Kulturforum am Potsdamer Platz erhalten.

Kritikerin Laura Helena Wurth: Hintergründe zur Dauerleihgabe der 100 Werke von Gerhard Richter

31.03.2023
06:34 Minuten
Podcast: Fazit
Podcast: Fazit
Unser Kunstredakteur Stefan Koldehoff hat sich fünf der Werke ausgesucht und beschreibt hier, warum sie ganz große Kunst sind.

Birkenau-Zyklus

Vier von sieben Fotos, die Häftlinge unter Lebensgefahr aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau herausgeschmuggelt haben, liegen unter diesen Gemälden. Dass er sie nicht einfach abmalen konnte, sei ihm schon klar gewesen, als er damit begann, hat mir Gerhard Richter einmal in seinem Atelier erzählt. Deshalb übermalte er die schrecklichen Motive in vielen Schichten bis zur Unkenntlichkeit. Richter fragte damit, ob bildliches Dokumentieren und Erinnern angesichts des Grauens überhaupt funktionieren. So können deutsche Geschichtsbilder im 21. Jahrhundert aussehen.
Malerei: Gerhard Richter "Birkenau" (937/1-4), 2014. Öl auf Leinwand 260 x 200 cm.
Gerhard Richter "Birkenau" (937/1-4), 2014. Öl auf Leinwand 260 x 200 cm.© SMB / Gerhard Richter Kunststiftung

Besetztes Haus

Berühmt wurde Richter vor allem durch die leicht verschwommenen Bilder. Er malte sie seit den 1960er-Jahren nach Fotografien von Kerzen, Schädeln, Landschaften oder ganz profanen Motiven wie diesem besetzten Haus in der Nähe seines Ateliers in der Kölner Innenstadt. Was kann Malerei? lautete jedes Mal die Frage, die diese Bilder, aber später auch Richters Vermalungen und Farbfeldbilder und am Computer generierte „Patterns“ stellen. Eines jedenfalls nicht, lautete seine Antwort: die Wirklichkeit wiedergeben. Bilder sind nur Bilder – und er ist nur ein Maler.
Malerei: Gerhard Richter "Besetztes Haus" (695-3), 1989. Öl auf Leinwand 82 x 112 cm.
Gerhard Richter "Besetztes Haus" (695-3), 1989. Öl auf Leinwand 82 x 112 cm.© SMB / Gerhard Richter Kunststiftung

Abstraktes Bild

Richter beim Malen seiner berühmten Abstrakten Bilder zu beobachten, für die Sammler schon 46 Millionen US-Dollar bezahlt haben, ist faszinierend. Mit dem Pinsel trägt er Farbe auf, dann zieht er breite Rakel über die Leinwand und lässt die Töne so ineinander übergehen, reißt sie auf, verstreicht sie wieder. Er wiederholt den Vorgang unzählige Male und erreicht so, dass durch die vielen übereinander liegenden Schichten eine räumliche Tiefe entsteht: Das Bild scheint sich nach hinten zu öffnen. Steuern lässt sich das nur sehr begrenzt, sagt er selbst und spricht von einer Wirklichkeit, die wir weder sehen noch beschreiben können, auf deren Existenz wir aber schließen können. Eine solche ganz eigene Bildwelt jenseits der Realität hat im 20. Jahrhundert kein zweiter Maler geschaffen.
Malerei von Gerhard Richter: Abstraktes Bild (944-2), 2016. Öl auf Holz 40 x 30 cm.
Gerhard Richter: Abstraktes Bild (944-2), 2016. Öl auf Holz 40 x 30 cm.© SMB / Gerhard Richter Kunststiftung

Aladin

Dass Richter dem Zufall so oft souverän die entscheidende Rolle überlässt, beeindruckt mich immer wieder. Während er ihn bei den großen Abstrakten Bildern noch teilweise beeinflussen kann, ist das bei der Werkgruppe „Aladin“ nicht mehr der Fall. Lackfarbe, auf eine glatte Fläche getropft und zum Teil mit einem Spachtel verstrichen, läuft ineinander und wird mit einer Glasplatte abgenommen. Das Atelier verlässt aber nur, was den ästhetischen Ansprüchen des Malers genügt. Diese leuchtenden Bilder setzen einen Teil der Kunstgeschichte fort, den der Amerikaner Jackson Pollock nach dem Krieg berühmt gemacht hatte – und sind doch ganz eigen.

Übermaltes Foto

Eigentlich stimmt der Name dieser bekannten Werkgruppe gar nicht. Richter übermalt die oft ganz banalen Fotos nicht, die bei ihm im Atelier liegen. Er streicht sie an den Rakeln ab, mit denen er seine Abstrakten Bilder bearbeitet. Was auf den Fotos zurückbleibt, sind also die Farben von Gemälden. Damit gelingt ihm nicht nur die Verbindung zwischen den Medien Malerei und Fotografie; er erschafft auch hier ganz eigene, unwirkliche Bildwelten, die nur noch eins sind: reine Kunst.
Mehr zum Thema