Modern, aber baufällig
Mit ihrer großzügigen Glasfassade gilt die Neue Nationalgalerie in Berlin als Tempel der Moderne. Doch die eigensinnige Konstruktion von Ludwig Mies van der Rohe muss saniert werden: Sie genügt gegenwärtigen Anforderungen an Museen nicht mehr.
Fritz Neumeyer: "In der Nationalgalerie begegnen sich wie in keinem zweiten Bau von Mies klassische Monumentalität und moderne Transparenz. Mies setzt zwei von den Theoretikern der Moderne zu Todfeinden erklärte Gegensätze dialektisch ineinander. Wie eine Skulptur wird der moderne Stahlpavillon auf den sprichwörtlichen Sockel gestellt und feierlich in die Sichtbarkeit erhoben."
Präzis formuliert, mit knappen Worten stellte der Architekturtheoretiker Fritz Neumeyer den Zuhörern des Kolloquiums vor Augen, wie 1968 eine Idee Mies van der Rohes Gestalt angenommen hatten. "Haut und Knochen", das war auch das Credo des Architekten, der auf die ebenso nüchterne wie bildhafte Logik einer schlichten Konstruktion aus Stahl und Glas setzte. Die kann sich sehen lassen, heute mehr denn je. Aber um die Substanz steht es nicht zum Besten: An der großzügigen Glasfassade etwa bildet sich Tau, die Feuchtigkeit gefriert. Doch es geht um mehr als die bloß bautechnische Überholung. Denn die Architektur ist unlösbar verknüpft mit einer radikalen, auch eigensinnigen Idee: Eine gläserne, durch keinerlei Stützen oder Zwischenwände gegliederte Halle mit quadratischem Stahldach von fast 65 Metern als Tempel der Moderne mitten in die Stadt zu stellen.
Im besten Sinne zweckfrei
Meyer Voggenreiter:"Dieser Raum hat eine ganz, ganz große Zweckfreiheit, die sich unsere Gesellschaft nicht mehr leisten könnte. Der steht hier wie ein Meteorit, der aus der Vergangenheit hier herausgefallen ist. Wir sind glücklich, dass der heute da ist. Aber man muss sich schon fragen, wie sich Gesellschaft verändert hat – und das ist sicherlich auch eine Fragestellung an die Sanierung dieses Gebäudes. Wie geht man damit um, diese neuen Anforderungen hier abzubilden und zugleich das zu behalten, was daran so grandios und großartig ist."
Der Ausstellungsdesigner Meyer Voggenreiter spricht von "neuen Anforderungen" – hervorgerufen gleichermaßen durch eine Popularisierung der Museen und dem unvorstellbaren Boom des Kunstmarktes: Für den Ansturm auf Blockbuster-Ausstellungen braucht es auf Publikumsdurchsatz getrimmte "Museumsmaschinen". Die Nationalgalerie dagegen glänzt mit Garderoben-Einbauten aus edler Mooreiche – die gerade einmal Platz für 300 Mäntel bieten. Und für Kunstwerke, die angesichts der geradezu explodierten Auktionspreise nur noch unter strengsten Auflagen verliehen werden, waren damals weder Klimaschleuse noch Packraum vorgesehen. Dennoch hat sich in der Neuen Nationalgalerie bis heute kaum etwas geändert. David Chipperfield, beauftragt mit der Grundinstandsetzung:
"Nach 50 Jahren Gebrauch hinterlässt jede Institution Schäden an einem Gebäude – und Museen sind da unglaublich nachtragend. Wenn etwas nicht hinhaut, bauen sie sofort eigenhändig um. Deshalb ist das Außergewöhnliche an diesem Bauwerk mit seiner Aura der absoluten Zweckfreiheit: Es hat wunderbar funktioniert."
Vermutlich, weil der Architekt den idealen Raum erfunden hat für die kommenden Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst bis hin zu Installationen, Performances und concept art. Dirk Lohan, Enkel von Mies und damals Bauleiter des Berliner Projekts:
"Er hat oft davon gesprochen: Die Ausstellungshalle ist wie eine große Bühne im Theater. Und man brauchte nicht nur Kuratoren und Kunsthistoriker, sondern auch Entwerfer von Inszenierungen, also – ich weiß nicht: ist das deutsche Wort Bühnenbildner? Und das das sich im Laufe der Jahre entwickelt hat ist genau im Sinne von Mies, wie er sich das vorstellte."
Ideen des Gebäudes gegen Zwänge des Betriebs
Als Museumspraktiker mag Joachim Jäger, Kurator und Leiter der Neuen Nationalgalerie, da nicht ganz zustimmen. Sein Resümee im Blick auf ganz unterschiedliche Ausstellungen von der Eröffnung 1968 mit Mondrian-Bildern auf schwebenden Wänden über die 80er-Jahre mit unsäglichen Messeeinbauten bis hin zur Beseitigung der wandhohen Vorhänge oder das Einfärben der Glasfassade durch Imi Knoebel:
"Die viel beschworene Offenheit und Transparenz der Architektur – das, was dieses Denkmal eigentlich ausmacht – muss gerade ausgelöscht werden, um für die Kunst heute voll nutzbar zu sein. Hier stoßen die Idee des Gebäudes und die Zwänge des Betriebs wirklich hart aufeinander. Wirkliche Lösungen wird es nicht geben können. Hier müssen wir dem Denkmal in der jeweiligen Bespielung immer wieder Freiräume abringen, um offene Situationen für die Kunst zu schaffen."
Wenn Raumwirkung und Kunstwerke sich wirklich bereichern und ergänzen sollen – dann nur in jenem spannungsreichen Wechselspiel, das Mies selbst seinem Gebäude eingeschrieben hat. Dass diese Dialektik noch vor dem eigentlichen Sanierungsbeginn fortgeführt wird, spricht für die beteiligten Architekten und Museumsleute – und macht die Nationalgalerie am Ende zum "Denk-Mal" im besten Sinne.