Neue Perspektiven im alten Blumenladen
Die Leipziger Residenz "blumen" ist ein mittlerweile fest im kulturellen Leben der Stadt verankertes Projekt. Drei bis vier Monate lebt ein Künstler in einem Ladenlokal in der Leipziger Kolonnadenstraße - vorne arbeitet er, in den Hinterzimmern des alten Ladens wird gelebt, gekocht und geschlafen. Die Kunsthistorikerin Christine Rahn hat das Projekt vor drei Jahren aus der Taufe gehoben.
"Also, Pionierarbeit ist mir schon unglaublich wichtig. Wirklich auf aktuelle Positionen auch zu schauen, auch zu schauen: In welche Richtung kann das gehen? Das finde ich viel, viel reizvoller, als mich noch ein weiteres Mal mit diesem Künstler zu beschäftigen, der unglaublich groß ist. Gerade mit diesem kleinen Laden kann man sich das eben auch leisten, einfach noch nach neuen Sachen zu suchen."
Christine Rahn, eine junge, schlanke Frau, sitzt in der Küche ihrer Leipziger WG, in der sie mit einem Mann wohnt. Nicht ihr Freund, sondern ein Kommilitone. Sie nippt am Kaffee, streicht die dunkelblonden Strähnen aus der Stirn. Wenn sie von der Künstlerresidenz "blumen" erzählt, dann leuchten ihre Augen: Ein kleines Ladenlokal mitten im Leipziger Zentrum, wo internationale Künstler kostenlos arbeiten, ausstellen und wohnen können - das ist ihr Konzept.
Geld dafür aufzutreiben ist schwierig: Manchmal bezahlen Botschaften die Reisen der Stipendiaten, ansonsten lebt der kleine Laden hauptsächlich von Spenden. Zu DDR-Zeiten wurden dort tatsächlich Blumen verkauft - die Namensgebung war also pragmatisch.
"Also, ich denk' da mittlerweile auch gar nicht mehr drüber nach, was man damit alles assoziieren könnte. Mir wird es nur hin und wieder mal bewusst, wenn sich Leute bewerben, die sagen: Flower Power, wahnsinnig toll, euer Projekt! Und bewerben sich dann mit psychedelischen Aquarellen, oder so. Dann denke ich, ah ja, Blumen, Blumen, vielleicht sollte man doch mal den Titel überdenken, aber ich finde ihn halt gerade auch schön ... blumig." (lacht)
Kunstmanagerin, Kuratorin, PR-Frau - die Arbeit für blumen ist praktisch ein Vollzeitjob, von dem die junge Leipzigerin aber nicht leben kann. Geld verdient sie als freischaffende Kuratorin oder auch als Hausmeisterin. Viel kommt so nicht rein, aber es reicht.
Aufgewachsen ist Christine Rahn in Stendal, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt und verbrachte dort die klassische Provinzkindheit. Wäre da dieser eine Lehrer nicht gewesen, der ihr die Kunstgeschichte enthusiastisch näher brachte, erzählt die 29-jährige Leipzigerin lachend.
"Also, ich muss schon sagen, dass ich in der Zeit mir immer schon die aufregendsten Sachen auch rausgesucht habe, die man in der Stadt machen kann. Ich war im Theater, in allen möglichen Malkursen und ... hab halt viel, viel Quatsch auch gemacht." (lacht)
Nach dem Abitur wollte sie vor allem weg: nach Leipzig, weil sie die Stadt damals schon liebte. Die damals 18-Jährige bewarb sich auf einen Studienplatz in Medizin, um etwas Seriöses zu lernen, wie sie heute sagt. Auch ihre Eltern haben handfeste Berufe. Die Mutter ist Laborantin, der Vater Ingenieur bei der Bahn. Doch schon nach wenigen Monaten war klar: Sie will in den kreativen Bereich.
"Also, ich freu mich mittlerweile, dass beispielsweise meine Mutter da einen Zugang entwickelt, aber ach, die wussten auch gar nicht, was ich da eigentlich studiere. Das konnten sie sich auch nie behalten. Nein, also, die sind eher so Naturwissenschaftler, ja."
Mit Anfang 20 beginnt Christine Rahn, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften zu studieren. Sie reist, entdeckt die Welt und taucht immer tiefer die Kunstszene ein. Im Rahmen eines Auslandssemesters in Paris lernt sie zufällig den Galeristen Jocelyn Wolff kennen, der sich ausgerechnet für Leipziger Medienkunst interessiert. Er bringt sie auf die Idee, ein Residenzprojekt in Leipzig auf die Beine zu stellen.
"In Leipzig hat man eben noch diese Freiräume, die man bespielen kann. Und man hat auch das Publikum, also, diese Stadt ist jetzt auch nicht so wahnsinnig groß. Das ist dichter und geballter und man bekommt einfach auch schneller eine
Aufmerksamkeit als woanders."
2006 schließlich gründet sie die Künstlerresidenz "blumen". Zehn unterschiedliche Künstler aus zehn Ländern haben in den letzten drei Jahren im alten Blumenladen gewohnt und Installationen, Zeichnungen oder Fotografien geschaffen.
"Unser erster Künstler, den wir da hatten, das war das speziellste Exemplar, was wir bisher hatten. Er war aus Nowosibirsk und konnte kaum Englisch, Deutsch sowieso nicht. Und dann sagte er: 'Christine, I have a question. I need a horse, tomorrow'. Der hat nämlich hier einen Film gedreht, und da mussten wir morgens mit dem Pferd an einem Plagwitzer Kanal sein, zum Beispiel."
Die junge Kunsthistorikerin denkt lange nach und formuliert präzise, wenn es um ihr Projekt geht. Nicht elitär soll es sein, sondern auch Publikum in den kleinen, gemütlichen Laden locken, das mit Kunst nichts zu tun hat. Und so hat während der letzten Ausstellungseröffnung der Friseur von gegenüber gratis die Haare geschnitten, der junge Kneipier von nebenan lädt gerne zu Freigetränken in seine Bar ein. Sich die Freiheit nehmen zu können, Kreatives jenseits aller Schulen und Strömungen zu ermöglichen - das ist es, was Christine Rahn umtreibt:
"Wenn die Künstler wahnsinnig zufrieden sind und sagen: Mann, Ihr habt dort jetzt noch eine Perspektive auf unsere Kunst gefunden, und wenn die sich halt freuen, dass sie halt sich mit Leuten austauschen können, die sie sonst halt auch nie getroffen hätten - das sind für mich echt Momente, wo es sich wirklich gelohnt hat."
Service:
Die letzten Monate hat die New Yorker Künstlerin Donna Chung im "Blumenladen" verbracht - ihre Abschlussausstellung mit dem Titel "IMAGE FICTION" ist bis 20. Dezember zu sehen; und am 20. Dezember gibt es zum Jahresabschluss ein Künstlergespräch, wo Sie dann auch Christine Rahn persönlich kennen lernen können. Die Residenz "blumen" finden Sie in der Kolonnadenstraße 20 in Leipzig.
Christine Rahn, eine junge, schlanke Frau, sitzt in der Küche ihrer Leipziger WG, in der sie mit einem Mann wohnt. Nicht ihr Freund, sondern ein Kommilitone. Sie nippt am Kaffee, streicht die dunkelblonden Strähnen aus der Stirn. Wenn sie von der Künstlerresidenz "blumen" erzählt, dann leuchten ihre Augen: Ein kleines Ladenlokal mitten im Leipziger Zentrum, wo internationale Künstler kostenlos arbeiten, ausstellen und wohnen können - das ist ihr Konzept.
Geld dafür aufzutreiben ist schwierig: Manchmal bezahlen Botschaften die Reisen der Stipendiaten, ansonsten lebt der kleine Laden hauptsächlich von Spenden. Zu DDR-Zeiten wurden dort tatsächlich Blumen verkauft - die Namensgebung war also pragmatisch.
"Also, ich denk' da mittlerweile auch gar nicht mehr drüber nach, was man damit alles assoziieren könnte. Mir wird es nur hin und wieder mal bewusst, wenn sich Leute bewerben, die sagen: Flower Power, wahnsinnig toll, euer Projekt! Und bewerben sich dann mit psychedelischen Aquarellen, oder so. Dann denke ich, ah ja, Blumen, Blumen, vielleicht sollte man doch mal den Titel überdenken, aber ich finde ihn halt gerade auch schön ... blumig." (lacht)
Kunstmanagerin, Kuratorin, PR-Frau - die Arbeit für blumen ist praktisch ein Vollzeitjob, von dem die junge Leipzigerin aber nicht leben kann. Geld verdient sie als freischaffende Kuratorin oder auch als Hausmeisterin. Viel kommt so nicht rein, aber es reicht.
Aufgewachsen ist Christine Rahn in Stendal, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt und verbrachte dort die klassische Provinzkindheit. Wäre da dieser eine Lehrer nicht gewesen, der ihr die Kunstgeschichte enthusiastisch näher brachte, erzählt die 29-jährige Leipzigerin lachend.
"Also, ich muss schon sagen, dass ich in der Zeit mir immer schon die aufregendsten Sachen auch rausgesucht habe, die man in der Stadt machen kann. Ich war im Theater, in allen möglichen Malkursen und ... hab halt viel, viel Quatsch auch gemacht." (lacht)
Nach dem Abitur wollte sie vor allem weg: nach Leipzig, weil sie die Stadt damals schon liebte. Die damals 18-Jährige bewarb sich auf einen Studienplatz in Medizin, um etwas Seriöses zu lernen, wie sie heute sagt. Auch ihre Eltern haben handfeste Berufe. Die Mutter ist Laborantin, der Vater Ingenieur bei der Bahn. Doch schon nach wenigen Monaten war klar: Sie will in den kreativen Bereich.
"Also, ich freu mich mittlerweile, dass beispielsweise meine Mutter da einen Zugang entwickelt, aber ach, die wussten auch gar nicht, was ich da eigentlich studiere. Das konnten sie sich auch nie behalten. Nein, also, die sind eher so Naturwissenschaftler, ja."
Mit Anfang 20 beginnt Christine Rahn, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften zu studieren. Sie reist, entdeckt die Welt und taucht immer tiefer die Kunstszene ein. Im Rahmen eines Auslandssemesters in Paris lernt sie zufällig den Galeristen Jocelyn Wolff kennen, der sich ausgerechnet für Leipziger Medienkunst interessiert. Er bringt sie auf die Idee, ein Residenzprojekt in Leipzig auf die Beine zu stellen.
"In Leipzig hat man eben noch diese Freiräume, die man bespielen kann. Und man hat auch das Publikum, also, diese Stadt ist jetzt auch nicht so wahnsinnig groß. Das ist dichter und geballter und man bekommt einfach auch schneller eine
Aufmerksamkeit als woanders."
2006 schließlich gründet sie die Künstlerresidenz "blumen". Zehn unterschiedliche Künstler aus zehn Ländern haben in den letzten drei Jahren im alten Blumenladen gewohnt und Installationen, Zeichnungen oder Fotografien geschaffen.
"Unser erster Künstler, den wir da hatten, das war das speziellste Exemplar, was wir bisher hatten. Er war aus Nowosibirsk und konnte kaum Englisch, Deutsch sowieso nicht. Und dann sagte er: 'Christine, I have a question. I need a horse, tomorrow'. Der hat nämlich hier einen Film gedreht, und da mussten wir morgens mit dem Pferd an einem Plagwitzer Kanal sein, zum Beispiel."
Die junge Kunsthistorikerin denkt lange nach und formuliert präzise, wenn es um ihr Projekt geht. Nicht elitär soll es sein, sondern auch Publikum in den kleinen, gemütlichen Laden locken, das mit Kunst nichts zu tun hat. Und so hat während der letzten Ausstellungseröffnung der Friseur von gegenüber gratis die Haare geschnitten, der junge Kneipier von nebenan lädt gerne zu Freigetränken in seine Bar ein. Sich die Freiheit nehmen zu können, Kreatives jenseits aller Schulen und Strömungen zu ermöglichen - das ist es, was Christine Rahn umtreibt:
"Wenn die Künstler wahnsinnig zufrieden sind und sagen: Mann, Ihr habt dort jetzt noch eine Perspektive auf unsere Kunst gefunden, und wenn die sich halt freuen, dass sie halt sich mit Leuten austauschen können, die sie sonst halt auch nie getroffen hätten - das sind für mich echt Momente, wo es sich wirklich gelohnt hat."
Service:
Die letzten Monate hat die New Yorker Künstlerin Donna Chung im "Blumenladen" verbracht - ihre Abschlussausstellung mit dem Titel "IMAGE FICTION" ist bis 20. Dezember zu sehen; und am 20. Dezember gibt es zum Jahresabschluss ein Künstlergespräch, wo Sie dann auch Christine Rahn persönlich kennen lernen können. Die Residenz "blumen" finden Sie in der Kolonnadenstraße 20 in Leipzig.