Um die Ecke denken
Die Pisa-Studie bestätigt erneut das Kernproblem des deutschen Bildungssystems: Die schwächsten Schüler fallen durchs Raster. Das ist in den asiatischen Ländern nicht der Fall, die auch insgesamt zu den Spitzenreitern der Studie gehören.
Die kreative Lösung von Alltagsproblemen, für die man mehr benötigt, als das erlernte Schulwissen, das stand im Mittelpunkt des fünften und letzten Teils der Pisa-Studie von 2012. Die Ergebnisse wurden am Dienstag veröffentlicht und herausgekommen ist: Deutsche Schüler haben beim kreativen Problemlösen etwas besser abgeschnitten als der internationale Durchschnitt.
Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ging es in ihrer Studie um Folgendes: "Problem lösen bedeutet, die Fähigkeit, Prozesse kognitiv zu verarbeiten, um Problemsituationen zu verstehen und zu lösen, in denen die Lösungsmethoden nicht unmittelbar auf der Hand liegen", zitiert Christiane Habermalz im Deutschlandradio Kultur.
Ob die 15-Jährigen Schüler der Mitgliedstaaten um die Ecke denken können, testete die OECD anhand verschiedener Aufgaben. So mussten sie an einem ihnen unbekannten Fahrscheinautomaten die günstigsten Tickets für eine bestimmte Strecke kaufen oder das Funktionieren eines elektrischen Gerätes verstehen, für das es keine Gebrauchsanweisung gibt. Gefragt war zum Beispiel auch, den Sitzplan für eine Geburtstagsgesellschaft zu entwerfen, bei dem viele Sonderwünsche zu berücksichtigen waren.
Mehr Jungen als Mädchen in der Spitzengruppe
Christiane Habermalz macht auf eine Besonderheit aufmerksam: In allen Ländern, mit Ausnahme der skandinavischen Länder, sind in der Spitzengruppe deutlich mehr Jungen als Mädchen vertreten. 60 Prozent der Jungen gehören zu den guten Problemlösern und nur 40 Prozent der Mädchen.
Der OECD-Experte und Hauptautor der Studie, Francesco Avvisati, führte aus: "Wie groß ist der Anteil der Schüler mit schwachen Leistungen im Problemlösen? Allgemein im OECD-Schnitt sind es etwa ein Schüler auf fünf, 21 Prozent der Schüler, das heißt, solche Schüler können nicht im voraus planen und können sich nur mit Aufgaben befassen, die in vertrauten Kontexten gestellt werden. Deutschland und Österreich sind knapp unter dem OECD-Schnitt. Dabei zeigt sich schon, dass, obwohl Deutschland im Mittelwert etwas besser als Österreich abschneidet, Deutschland eine größere Anzahl Schüler hat, die das Basisniveau im Problemlösen nicht erreichen."
Das weist auf den Kern des deutschen Bildungsproblems hin, den Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, die sich in vielen Studien mit dem Thema Bildung auseinandergesetzt hat, unterstreicht. Jörg Dräger sagte im Deutschlandradio Kultur, dass "unser wirkliches und wahres Problem ist, dass immer zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Kinder - je nach Disziplin - uns wirklich unten durchs Raster fällt. Und die haben langfristig in ihrem Leben kaum Chance teilzuhaben, denn wer diese Basiskompetenzen, also Rechnen, Lesen von längeren Sätzen oder eben auch Problemlösen nicht beherrscht, der kann in der Gesellschaft und im Arbeitsmarkt nicht richtig Fuß fassen."
Ergebnisse eher enttäuschend
Und auch wenn die deutschen Schüler etwas besser als der internationale Durchschnitt abgeschnitten haben, so hält Jörg Dräger die Ergebnisse eher für enttäuschend. "Wir haben ja in den letzten zehn Jahren, seitdem es die Pisa-Untersuchung gibt, in den klassischen Bereichen, Mathematik, Naturwissenschaft und Lesen, riesengroße Fortschritte gemacht, sind inzwischen im oberen Drittel der Vergleichsgruppe. Und da war natürlich auch die Hoffnung, dass es im Bereich dieser 'Königsdisziplin des Problemlösens' ähnlich nach oben geht. Aber da ist es so, wir verharren im Mittelfeld, das ginge besser, es ging sogar leicht zurück."
Zumindest habe der Vergleich mit einem Vorurteil aufgeräumt, die Asiaten könnten nur pauken. Das Interessante sei, dass Korea, China, Japan und andere "nicht nur Spitze in der Spitze" seien, sondern auch "Spitze bei den schwächsten Schülern".
Analysen oder Handlungsempfehlungen birgt die Studie nicht, das ist jetzt Experten in den einzelnen Ländern selbst überlassen. Dabei müsse es um Rahmenbedingungen eines Unterrichts gehen, der allen Schülern die Chance gebe, sich zu verbessern, so Jörg Dräger.